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Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827.

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fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es
war Werktag bei andern Leuten und draussen
heulte der Sturm, die Windfahnen stimmten
sonderbare Weisen an und der Regen rauschte
auf das Pflaster des Domhofs. Aber der Raths¬
diener maß mich mit fragenden Blicken vom
Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweisung
auf einigen Wein darreichte.

"So spät noch, und heute, in dieser
Nacht?" rief er.

"Mir ist es vor zwölf Uhr nie zu spät,"
entgegnete ich, "und nachher ist es wohl frühe
genug am Tage."

"Aber muß es denn --" wollte er eben
fragen, doch Sigill und Handschrift seiner
Obern fiel ihm wieder ins Auge, und schweigend,
aber nicht ohne Zögern schritt er voraus durch
die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick,
wenn sein Windlicht über die lange Reihe der
Fäßer hinstreifte, welch' sonderbare Formen

fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es
war Werktag bei andern Leuten und drauſſen
heulte der Sturm, die Windfahnen ſtimmten
ſonderbare Weiſen an und der Regen rauſchte
auf das Pflaſter des Domhofs. Aber der Raths¬
diener maß mich mit fragenden Blicken vom
Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweiſung
auf einigen Wein darreichte.

„So ſpaͤt noch, und heute, in dieſer
Nacht?“ rief er.

„Mir iſt es vor zwoͤlf Uhr nie zu ſpaͤt,“
entgegnete ich, „und nachher iſt es wohl fruͤhe
genug am Tage.“

„Aber muß es denn —“ wollte er eben
fragen, doch Sigill und Handſchrift ſeiner
Obern fiel ihm wieder ins Auge, und ſchweigend,
aber nicht ohne Zoͤgern ſchritt er voraus durch
die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick,
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[14/0020] fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es war Werktag bei andern Leuten und drauſſen heulte der Sturm, die Windfahnen ſtimmten ſonderbare Weiſen an und der Regen rauſchte auf das Pflaſter des Domhofs. Aber der Raths¬ diener maß mich mit fragenden Blicken vom Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweiſung auf einigen Wein darreichte. „So ſpaͤt noch, und heute, in dieſer Nacht?“ rief er. „Mir iſt es vor zwoͤlf Uhr nie zu ſpaͤt,“ entgegnete ich, „und nachher iſt es wohl fruͤhe genug am Tage.“ „Aber muß es denn —“ wollte er eben fragen, doch Sigill und Handſchrift ſeiner Obern fiel ihm wieder ins Auge, und ſchweigend, aber nicht ohne Zoͤgern ſchritt er voraus durch die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick, wenn ſein Windlicht uͤber die lange Reihe der Faͤßer hinſtreifte, welch' ſonderbare Formen

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Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/20>, abgerufen am 26.04.2024.