fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es war Werktag bei andern Leuten und draussen heulte der Sturm, die Windfahnen stimmten sonderbare Weisen an und der Regen rauschte auf das Pflaster des Domhofs. Aber der Raths¬ diener maß mich mit fragenden Blicken vom Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweisung auf einigen Wein darreichte.
"So spät noch, und heute, in dieser Nacht?" rief er.
"Mir ist es vor zwölf Uhr nie zu spät," entgegnete ich, "und nachher ist es wohl frühe genug am Tage."
"Aber muß es denn --" wollte er eben fragen, doch Sigill und Handschrift seiner Obern fiel ihm wieder ins Auge, und schweigend, aber nicht ohne Zögern schritt er voraus durch die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick, wenn sein Windlicht über die lange Reihe der Fäßer hinstreifte, welch' sonderbare Formen
fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es war Werktag bei andern Leuten und drauſſen heulte der Sturm, die Windfahnen ſtimmten ſonderbare Weiſen an und der Regen rauſchte auf das Pflaſter des Domhofs. Aber der Raths¬ diener maß mich mit fragenden Blicken vom Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweiſung auf einigen Wein darreichte.
„So ſpaͤt noch, und heute, in dieſer Nacht?“ rief er.
„Mir iſt es vor zwoͤlf Uhr nie zu ſpaͤt,“ entgegnete ich, „und nachher iſt es wohl fruͤhe genug am Tage.“
„Aber muß es denn —“ wollte er eben fragen, doch Sigill und Handſchrift ſeiner Obern fiel ihm wieder ins Auge, und ſchweigend, aber nicht ohne Zoͤgern ſchritt er voraus durch die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick, wenn ſein Windlicht uͤber die lange Reihe der Faͤßer hinſtreifte, welch' ſonderbare Formen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0020"n="14"/>
fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es<lb/>
war Werktag bei andern Leuten und drauſſen<lb/>
heulte der Sturm, die Windfahnen ſtimmten<lb/>ſonderbare Weiſen an und der Regen rauſchte<lb/>
auf das Pflaſter des Domhofs. Aber der Raths¬<lb/>
diener maß mich mit fragenden Blicken vom<lb/>
Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweiſung<lb/>
auf einigen Wein darreichte.</p><lb/><p>„So ſpaͤt noch, und heute, in <hirendition="#g">dieſer</hi><lb/>
Nacht?“ rief er.</p><lb/><p>„Mir iſt es vor zwoͤlf Uhr nie zu ſpaͤt,“<lb/>
entgegnete ich, „und nachher iſt es wohl fruͤhe<lb/>
genug am Tage.“</p><lb/><p>„Aber muß es denn —“ wollte er eben<lb/>
fragen, doch Sigill und Handſchrift ſeiner<lb/>
Obern fiel ihm wieder ins Auge, und ſchweigend,<lb/>
aber nicht ohne Zoͤgern ſchritt er voraus durch<lb/>
die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick,<lb/>
wenn ſein Windlicht uͤber die lange Reihe der<lb/>
Faͤßer hinſtreifte, welch' ſonderbare Formen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[14/0020]
fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es
war Werktag bei andern Leuten und drauſſen
heulte der Sturm, die Windfahnen ſtimmten
ſonderbare Weiſen an und der Regen rauſchte
auf das Pflaſter des Domhofs. Aber der Raths¬
diener maß mich mit fragenden Blicken vom
Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweiſung
auf einigen Wein darreichte.
„So ſpaͤt noch, und heute, in dieſer
Nacht?“ rief er.
„Mir iſt es vor zwoͤlf Uhr nie zu ſpaͤt,“
entgegnete ich, „und nachher iſt es wohl fruͤhe
genug am Tage.“
„Aber muß es denn —“ wollte er eben
fragen, doch Sigill und Handſchrift ſeiner
Obern fiel ihm wieder ins Auge, und ſchweigend,
aber nicht ohne Zoͤgern ſchritt er voraus durch
die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick,
wenn ſein Windlicht uͤber die lange Reihe der
Faͤßer hinſtreifte, welch' ſonderbare Formen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/20>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.