Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.von ihren Gegnern, die erbitterte Kriege zu ihrer Vernichtung geführt hatten, errichtet worden sein: die Albigenser haben sie erfunden, weil Gurlitt irrthümlicherweise glaubt, nur die Evangelischen besäßen die Predigt und die Kathedrale von Alby sei eine Predigtkirche. Oder sollten etwa die Lungen der für Rom eifernden Cistercienser und Dominicaner diesem Raum eher gewachsen gewesen sein? Auch sie würden es bald aufgegeben haben, sich in einem solchen Raume abzuquälen mit Predigten, die der Hälfte der Zuhörerschaft unverständlich bleiben mußten, falls überhaupt der Raum gefüllt war. Und war er nicht darauf berechnet, gefüllt zu sein -- warum baute man denn die "Predigtkirche" ums doppelte zu lang? -- Einfach, weil sie eben gar keine Predigtkirche sein sollte, sondern eine Kathedrale, die sich der Bischof für sich und seine Bedürfnisse erbaute, eine richtige bischöfliche Kirche, deren Programm sie auch bestens und vollständig erfüllt, ein Programm, in welchem, wie gleich gezeigt werden wird, das Bedürfniß der Predigt erst an zweiter Stelle auftritt. Oder ist etwa das Programm des neuen Berliner Domes das einer evangelischen Predigtkirche? Kommt die Pfarr- und Predigtkirche hierbei nicht erst in zweiter Reihe in Betracht? Und wird die Predigtkirche wegen der zuvörderst und hauptsächlichst zu erfüllenden Programmpunkte dabei nicht schließlich geschädigt hervorgehen? Genau so verhält es sich mit den Kathedralen und klösterlichen Kirchen des Mittelalters. Die Kathedrale hat als die Kirche des Bischofs und seiner Domherren zuerst den Bedürfnissen dieser zu genügen. Die Domherren, also die Räthe des Bischofs bei der Verwaltung des Sprengels, haben als Geistliche jeden Tag -- ganz bestimmte Fälle nur ausgenommen -- die Messe zu lesen. Da dies nüchtern zu geschehen hat und die Tagesgeschäfte ihrer Erledigung harren, so muß in der Kathedrale die Möglichkeit geschaffen werden, daß diese vielen Geistlichen frühmorgens fast alle zur selben Zeit Messe lesen können, d. h. es muß eine große Anzahl Altäre zur Verfügung stehen. Daher die vielen Nebenaltäre, nicht der wachsenden Heiligenverehrung halber. von ihren Gegnern, die erbitterte Kriege zu ihrer Vernichtung geführt hatten, errichtet worden sein: die Albigenser haben sie erfunden, weil Gurlitt irrthümlicherweise glaubt, nur die Evangelischen besäßen die Predigt und die Kathedrale von Alby sei eine Predigtkirche. Oder sollten etwa die Lungen der für Rom eifernden Cistercienser und Dominicaner diesem Raum eher gewachsen gewesen sein? Auch sie würden es bald aufgegeben haben, sich in einem solchen Raume abzuquälen mit Predigten, die der Hälfte der Zuhörerschaft unverständlich bleiben mußten, falls überhaupt der Raum gefüllt war. Und war er nicht darauf berechnet, gefüllt zu sein — warum baute man denn die „Predigtkirche“ ums doppelte zu lang? — Einfach, weil sie eben gar keine Predigtkirche sein sollte, sondern eine Kathedrale, die sich der Bischof für sich und seine Bedürfnisse erbaute, eine richtige bischöfliche Kirche, deren Programm sie auch bestens und vollständig erfüllt, ein Programm, in welchem, wie gleich gezeigt werden wird, das Bedürfniß der Predigt erst an zweiter Stelle auftritt. Oder ist etwa das Programm des neuen Berliner Domes das einer evangelischen Predigtkirche? Kommt die Pfarr- und Predigtkirche hierbei nicht erst in zweiter Reihe in Betracht? Und wird die Predigtkirche wegen der zuvörderst und hauptsächlichst zu erfüllenden Programmpunkte dabei nicht schließlich geschädigt hervorgehen? Genau so verhält es sich mit den Kathedralen und klösterlichen Kirchen des Mittelalters. Die Kathedrale hat als die Kirche des Bischofs und seiner Domherren zuerst den Bedürfnissen dieser zu genügen. Die Domherren, also die Räthe des Bischofs bei der Verwaltung des Sprengels, haben als Geistliche jeden Tag — ganz bestimmte Fälle nur ausgenommen — die Messe zu lesen. Da dies nüchtern zu geschehen hat und die Tagesgeschäfte ihrer Erledigung harren, so muß in der Kathedrale die Möglichkeit geschaffen werden, daß diese vielen Geistlichen frühmorgens fast alle zur selben Zeit Messe lesen können, d. h. es muß eine große Anzahl Altäre zur Verfügung stehen. Daher die vielen Nebenaltäre, nicht der wachsenden Heiligenverehrung halber. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="12"/> von ihren Gegnern, die erbitterte Kriege zu ihrer Vernichtung geführt hatten, errichtet worden sein: die Albigenser haben sie erfunden, weil Gurlitt irrthümlicherweise glaubt, nur die Evangelischen besäßen die Predigt und die Kathedrale von Alby sei eine Predigtkirche.</p> <p>Oder sollten etwa die Lungen der für Rom eifernden Cistercienser und Dominicaner diesem Raum eher gewachsen gewesen sein? Auch sie würden es bald aufgegeben haben, sich in einem solchen Raume abzuquälen mit Predigten, die der Hälfte der Zuhörerschaft unverständlich bleiben mußten, falls überhaupt der Raum gefüllt war. Und war er nicht darauf berechnet, gefüllt zu sein — warum baute man denn die „Predigtkirche“ ums doppelte zu lang? — Einfach, weil sie eben gar keine Predigtkirche sein sollte, sondern eine Kathedrale, die sich der Bischof für sich und seine Bedürfnisse erbaute, eine richtige bischöfliche Kirche, deren Programm sie auch bestens und vollständig erfüllt, ein Programm, in welchem, wie gleich gezeigt werden wird, das Bedürfniß der Predigt erst an zweiter Stelle auftritt. Oder ist etwa das Programm des neuen Berliner Domes das einer evangelischen Predigtkirche? Kommt die Pfarr- und Predigtkirche hierbei nicht erst in zweiter Reihe in Betracht? Und wird die Predigtkirche wegen der zuvörderst und hauptsächlichst zu erfüllenden Programmpunkte dabei nicht schließlich geschädigt hervorgehen?</p> <p>Genau so verhält es sich mit den Kathedralen und klösterlichen Kirchen des Mittelalters. Die Kathedrale hat als die Kirche des Bischofs und seiner Domherren zuerst den Bedürfnissen dieser zu genügen. Die Domherren, also die Räthe des Bischofs bei der Verwaltung des Sprengels, haben als Geistliche jeden Tag — ganz bestimmte Fälle nur ausgenommen — die Messe zu lesen. Da dies nüchtern zu geschehen hat und die Tagesgeschäfte ihrer Erledigung harren, so muß in der Kathedrale die Möglichkeit geschaffen werden, daß diese vielen Geistlichen frühmorgens fast alle zur selben Zeit Messe lesen können, d. h. es muß eine große Anzahl Altäre zur Verfügung stehen. <hi rendition="#g">Daher</hi> die vielen Nebenaltäre, nicht der wachsenden Heiligenverehrung halber.</p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0018]
von ihren Gegnern, die erbitterte Kriege zu ihrer Vernichtung geführt hatten, errichtet worden sein: die Albigenser haben sie erfunden, weil Gurlitt irrthümlicherweise glaubt, nur die Evangelischen besäßen die Predigt und die Kathedrale von Alby sei eine Predigtkirche.
Oder sollten etwa die Lungen der für Rom eifernden Cistercienser und Dominicaner diesem Raum eher gewachsen gewesen sein? Auch sie würden es bald aufgegeben haben, sich in einem solchen Raume abzuquälen mit Predigten, die der Hälfte der Zuhörerschaft unverständlich bleiben mußten, falls überhaupt der Raum gefüllt war. Und war er nicht darauf berechnet, gefüllt zu sein — warum baute man denn die „Predigtkirche“ ums doppelte zu lang? — Einfach, weil sie eben gar keine Predigtkirche sein sollte, sondern eine Kathedrale, die sich der Bischof für sich und seine Bedürfnisse erbaute, eine richtige bischöfliche Kirche, deren Programm sie auch bestens und vollständig erfüllt, ein Programm, in welchem, wie gleich gezeigt werden wird, das Bedürfniß der Predigt erst an zweiter Stelle auftritt. Oder ist etwa das Programm des neuen Berliner Domes das einer evangelischen Predigtkirche? Kommt die Pfarr- und Predigtkirche hierbei nicht erst in zweiter Reihe in Betracht? Und wird die Predigtkirche wegen der zuvörderst und hauptsächlichst zu erfüllenden Programmpunkte dabei nicht schließlich geschädigt hervorgehen?
Genau so verhält es sich mit den Kathedralen und klösterlichen Kirchen des Mittelalters. Die Kathedrale hat als die Kirche des Bischofs und seiner Domherren zuerst den Bedürfnissen dieser zu genügen. Die Domherren, also die Räthe des Bischofs bei der Verwaltung des Sprengels, haben als Geistliche jeden Tag — ganz bestimmte Fälle nur ausgenommen — die Messe zu lesen. Da dies nüchtern zu geschehen hat und die Tagesgeschäfte ihrer Erledigung harren, so muß in der Kathedrale die Möglichkeit geschaffen werden, daß diese vielen Geistlichen frühmorgens fast alle zur selben Zeit Messe lesen können, d. h. es muß eine große Anzahl Altäre zur Verfügung stehen. Daher die vielen Nebenaltäre, nicht der wachsenden Heiligenverehrung halber.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |