Und die wäre? Dieselbe, welche den Tauben arg- wöhnisch und das Volk abergläubig macht: die Unkenntniß von dem, was um uns vorgeht.
Gewöhnt wie ich bin, alle Gegenstände aus der Ferne zu sehen und ihren Eindruck von vorneherein zu berechnen, wie sollte ich, wenn ich meine Umge- bung nicht mehr wahrnehmen kann, mir nicht tausend Gestalten und tausend Bewegungen denken, die mir schaden können, und denen ich nicht entfliehen kann? Aus der gefundenen Ursache ergibt sich das Heilmittel. Jn allen Dingen stumpft die Gewohnheit die Einbil- dung ab, und nur neue Objecte können sie erwecken. Sucht also den, welchen ihr von der Furcht der Dunkelheit befreien wollt, nicht durch Ueberredung zu heilen, sondern führt ihn oft in die Dunkelheit und seid versichert, daß alle Gründe der Philosophen diese Gewohnheit nicht aufwiegen werden. Die Dach- decker wissen nichts von Schwindel, und wer sich an die Dunkelheit gewöhnt, wird sie nicht mehr fürchten. Deßhalb viele Spiele im Dunkeln, aber um Er- folg zu haben, müssen diese Spiele fröhlich sein. Nichts macht trauriger als die Finsterniß. Das Kind muß lachend in das finstere Zimmer treten; das Lachen muß es überkommen, ehe es wieder heraus- geht: während es darin bleibt, muß der Gedanke an die Vergnügungen, die es verlassen und bald wie- derfinden wird, es vor allen phantastischen Einbil-
Und die waͤre? Dieſelbe, welche den Tauben arg- woͤhniſch und das Volk aberglaͤubig macht: die Unkenntniß von dem, was um uns vorgeht.
Gewoͤhnt wie ich bin, alle Gegenſtaͤnde aus der Ferne zu ſehen und ihren Eindruck von vorneherein zu berechnen, wie ſollte ich, wenn ich meine Umge- bung nicht mehr wahrnehmen kann, mir nicht tauſend Geſtalten und tauſend Bewegungen denken, die mir ſchaden koͤnnen, und denen ich nicht entfliehen kann? Aus der gefundenen Urſache ergibt ſich das Heilmittel. Jn allen Dingen ſtumpft die Gewohnheit die Einbil- dung ab, und nur neue Objecte koͤnnen ſie erwecken. Sucht alſo den, welchen ihr von der Furcht der Dunkelheit befreien wollt, nicht durch Ueberredung zu heilen, ſondern fuͤhrt ihn oft in die Dunkelheit und ſeid verſichert, daß alle Gruͤnde der Philoſophen dieſe Gewohnheit nicht aufwiegen werden. Die Dach- decker wiſſen nichts von Schwindel, und wer ſich an die Dunkelheit gewoͤhnt, wird ſie nicht mehr fuͤrchten. Deßhalb viele Spiele im Dunkeln, aber um Er- folg zu haben, muͤſſen dieſe Spiele froͤhlich ſein. Nichts macht trauriger als die Finſterniß. Das Kind muß lachend in das finſtere Zimmer treten; das Lachen muß es uͤberkommen, ehe es wieder heraus- geht: waͤhrend es darin bleibt, muß der Gedanke an die Vergnuͤgungen, die es verlaſſen und bald wie- derfinden wird, es vor allen phantaſtiſchen Einbil-
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Und die waͤre? Dieſelbe, welche den Tauben arg-
woͤhniſch und das Volk aberglaͤubig macht: die
Unkenntniß von dem, was um uns vorgeht.
Gewoͤhnt wie ich bin, alle Gegenſtaͤnde aus der
Ferne zu ſehen und ihren Eindruck von vorneherein
zu berechnen, wie ſollte ich, wenn ich meine Umge-
bung nicht mehr wahrnehmen kann, mir nicht tauſend
Geſtalten und tauſend Bewegungen denken, die mir
ſchaden koͤnnen, und denen ich nicht entfliehen kann?
Aus der gefundenen Urſache ergibt ſich das Heilmittel.
Jn allen Dingen ſtumpft die Gewohnheit die Einbil-
dung ab, und nur neue Objecte koͤnnen ſie erwecken.
Sucht alſo den, welchen ihr von der Furcht der
Dunkelheit befreien wollt, nicht durch Ueberredung
zu heilen, ſondern fuͤhrt ihn oft in die Dunkelheit
und ſeid verſichert, daß alle Gruͤnde der Philoſophen
dieſe Gewohnheit nicht aufwiegen werden. Die Dach-
decker wiſſen nichts von Schwindel, und wer ſich an
die Dunkelheit gewoͤhnt, wird ſie nicht mehr fuͤrchten.
Deßhalb viele Spiele im Dunkeln, aber um Er-
folg zu haben, muͤſſen dieſe Spiele froͤhlich ſein.
Nichts macht trauriger als die Finſterniß. Das Kind
muß lachend in das finſtere Zimmer treten; das
Lachen muß es uͤberkommen, ehe es wieder heraus-
geht: waͤhrend es darin bleibt, muß der Gedanke an
die Vergnuͤgungen, die es verlaſſen und bald wie-
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Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/118>, abgerufen am 22.07.2024.
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