Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hartmann, Eugen: Entwicklungs-Geschichte der Posten von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeitperiode gegenüber der eben verlassenen kennzeichnet. --
Es wird sich von selbst zeigen, ob und in wieweit die
Wiederaufnahme des römischen cursus publicus oder die Fort-
bildung desselben auf gleicher oder auch auf neuen Grundlagen
möglich oder wahrscheinlich war.

Wundervolle Bilder einer dämmernden Zeit treten uns jetzt
entgegen; ein anderes Geschlecht, ein anderer Schauplatz, ein
anderer Ton des Wirkens und des Leidens erscheint. Bisher
ungekannte oder thatlos schlummernde Völker haben sich wie
einbrechende Meeresfluthen über die römische Welt ergossen.

Die alte Cultur war nun gleichzeitig mit der alten Gesell-
schaft von den über ganz Europa und Nordafrika hinflutenden
Wogen der Völkerwanderung verschlungen. Auf die Eintönigkeit
des römischen Staatswesens, welches jede Spur eines selbst-
ständigen Lebens in den Gliedern des Riesenkörpers ertödtet
hatte, folgte die Eintönigkeit der Barbarei und eines rohen,
ungebändigten Naturlebens.

Der schwere Tritt der rohen Völker zermalmt -- ge-
dankenlos und unerleuchtet durch die Wissenschaft und durch die
Erfahrungen des dahin sinkenden Geschlechtes nicht belehrt --
die Denkmale der Weisheit und Tugend, wie jene der Thorheit
und des Verbrechens ohne Unterschied.

Mit wilder Lust oder doch des Verständnisses baar, schreiten sie
über die Trümmer, nicht achtend aller Schätze des klassischen
Bodens, blind für die lehrreichsten Bilder einer unge-
kannten Vergangenheit. Aus sich selbst müssen sie nun die
schlafenden Keime der Humanität entwickeln, eine eigene Bahn
zur Cultur sich brechen, da die alten Pfade, wo einstens das
vertilgte Geschlecht gewandelt hatte, unter Ruinen begraben

Zeitperiode gegenüber der eben verlaſſenen kennzeichnet. —
Es wird ſich von ſelbſt zeigen, ob und in wieweit die
Wiederaufnahme des römiſchen cursus publicus oder die Fort-
bildung desſelben auf gleicher oder auch auf neuen Grundlagen
möglich oder wahrſcheinlich war.

Wundervolle Bilder einer dämmernden Zeit treten uns jetzt
entgegen; ein anderes Geſchlecht, ein anderer Schauplatz, ein
anderer Ton des Wirkens und des Leidens erſcheint. Bisher
ungekannte oder thatlos ſchlummernde Völker haben ſich wie
einbrechende Meeresfluthen über die römiſche Welt ergoſſen.

Die alte Cultur war nun gleichzeitig mit der alten Geſell-
ſchaft von den über ganz Europa und Nordafrika hinflutenden
Wogen der Völkerwanderung verſchlungen. Auf die Eintönigkeit
des römiſchen Staatsweſens, welches jede Spur eines ſelbſt-
ſtändigen Lebens in den Gliedern des Rieſenkörpers ertödtet
hatte, folgte die Eintönigkeit der Barbarei und eines rohen,
ungebändigten Naturlebens.

Der ſchwere Tritt der rohen Völker zermalmt — ge-
dankenlos und unerleuchtet durch die Wiſſenſchaft und durch die
Erfahrungen des dahin ſinkenden Geſchlechtes nicht belehrt —
die Denkmale der Weisheit und Tugend, wie jene der Thorheit
und des Verbrechens ohne Unterſchied.

Mit wilder Luſt oder doch des Verſtändniſſes baar, ſchreiten ſie
über die Trümmer, nicht achtend aller Schätze des klaſſiſchen
Bodens, blind für die lehrreichſten Bilder einer unge-
kannten Vergangenheit. Aus ſich ſelbſt müſſen ſie nun die
ſchlafenden Keime der Humanität entwickeln, eine eigene Bahn
zur Cultur ſich brechen, da die alten Pfade, wo einſtens das
vertilgte Geſchlecht gewandelt hatte, unter Ruinen begraben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0137" n="124"/>
Zeitperiode gegenüber der eben verla&#x017F;&#x017F;enen kennzeichnet. &#x2014;<lb/>
Es wird &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t zeigen, ob und in wieweit die<lb/>
Wiederaufnahme des römi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">cursus publicus</hi> oder die Fort-<lb/>
bildung des&#x017F;elben auf gleicher oder auch auf neuen Grundlagen<lb/>
möglich oder wahr&#x017F;cheinlich war.</p><lb/>
            <p>Wundervolle Bilder einer dämmernden Zeit treten uns jetzt<lb/>
entgegen; ein anderes Ge&#x017F;chlecht, ein anderer Schauplatz, ein<lb/>
anderer Ton des Wirkens und des Leidens er&#x017F;cheint. Bisher<lb/>
ungekannte oder thatlos &#x017F;chlummernde Völker haben &#x017F;ich wie<lb/>
einbrechende Meeresfluthen über die römi&#x017F;che Welt ergo&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Die alte Cultur war nun gleichzeitig mit der alten Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft von den über ganz Europa und Nordafrika hinflutenden<lb/>
Wogen der Völkerwanderung ver&#x017F;chlungen. Auf die Eintönigkeit<lb/>
des römi&#x017F;chen Staatswe&#x017F;ens, welches jede Spur eines &#x017F;elb&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;tändigen Lebens in den Gliedern des Rie&#x017F;enkörpers ertödtet<lb/>
hatte, folgte die Eintönigkeit der Barbarei und eines rohen,<lb/>
ungebändigten Naturlebens.</p><lb/>
            <p>Der &#x017F;chwere Tritt der rohen Völker zermalmt &#x2014; ge-<lb/>
dankenlos und unerleuchtet durch die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und durch die<lb/>
Erfahrungen des dahin &#x017F;inkenden Ge&#x017F;chlechtes nicht belehrt &#x2014;<lb/>
die Denkmale der Weisheit und Tugend, wie jene der Thorheit<lb/>
und des Verbrechens ohne Unter&#x017F;chied.</p><lb/>
            <p>Mit wilder Lu&#x017F;t oder doch des Ver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;es baar, &#x017F;chreiten &#x017F;ie<lb/>
über die Trümmer, nicht achtend aller Schätze des kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Bodens, blind für die lehrreich&#x017F;ten Bilder einer unge-<lb/>
kannten Vergangenheit. Aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie nun die<lb/>
&#x017F;chlafenden Keime der Humanität entwickeln, eine eigene Bahn<lb/>
zur Cultur &#x017F;ich brechen, da die alten Pfade, wo ein&#x017F;tens das<lb/>
vertilgte Ge&#x017F;chlecht gewandelt hatte, unter Ruinen begraben<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0137] Zeitperiode gegenüber der eben verlaſſenen kennzeichnet. — Es wird ſich von ſelbſt zeigen, ob und in wieweit die Wiederaufnahme des römiſchen cursus publicus oder die Fort- bildung desſelben auf gleicher oder auch auf neuen Grundlagen möglich oder wahrſcheinlich war. Wundervolle Bilder einer dämmernden Zeit treten uns jetzt entgegen; ein anderes Geſchlecht, ein anderer Schauplatz, ein anderer Ton des Wirkens und des Leidens erſcheint. Bisher ungekannte oder thatlos ſchlummernde Völker haben ſich wie einbrechende Meeresfluthen über die römiſche Welt ergoſſen. Die alte Cultur war nun gleichzeitig mit der alten Geſell- ſchaft von den über ganz Europa und Nordafrika hinflutenden Wogen der Völkerwanderung verſchlungen. Auf die Eintönigkeit des römiſchen Staatsweſens, welches jede Spur eines ſelbſt- ſtändigen Lebens in den Gliedern des Rieſenkörpers ertödtet hatte, folgte die Eintönigkeit der Barbarei und eines rohen, ungebändigten Naturlebens. Der ſchwere Tritt der rohen Völker zermalmt — ge- dankenlos und unerleuchtet durch die Wiſſenſchaft und durch die Erfahrungen des dahin ſinkenden Geſchlechtes nicht belehrt — die Denkmale der Weisheit und Tugend, wie jene der Thorheit und des Verbrechens ohne Unterſchied. Mit wilder Luſt oder doch des Verſtändniſſes baar, ſchreiten ſie über die Trümmer, nicht achtend aller Schätze des klaſſiſchen Bodens, blind für die lehrreichſten Bilder einer unge- kannten Vergangenheit. Aus ſich ſelbſt müſſen ſie nun die ſchlafenden Keime der Humanität entwickeln, eine eigene Bahn zur Cultur ſich brechen, da die alten Pfade, wo einſtens das vertilgte Geſchlecht gewandelt hatte, unter Ruinen begraben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_posten_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_posten_1868/137
Zitationshilfe: Hartmann, Eugen: Entwicklungs-Geschichte der Posten von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig, 1868, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_posten_1868/137>, abgerufen am 18.05.2024.