Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Straßen durchzogen oder als Schornsteinfeger fungirt hatten. Ich überzeugte mich bald, daß sämmtliche diese Knaben Savoyarden waren. Ich will Ihnen das Räthsel in wenigen Worten lösen.

Gräfin Montarcy wurde unter der Schreckensherrschaft verdächtig, mit der Armee der Emigranten correspondirt zu haben. Sie sollte verhaftet werden -- und eine Verhaftung unter solchem Verdachte war damals so viel werth wie ein Todesurtheil. Ein Savoyarde, der bei ihr als Portier diente, rettete sie, indem er einen Mann des Gesetzes niederschlug, den andern Gerichtsbeamten im Hofe einsperrte, sich mit seiner Herrschaft in den Straßen verlor und ihr dann, nachdem er sie in die Kleider seiner Schwester gesteckt, aus Paris verhalf. Mad. de Montarcy entkam glücklich nach London. Unter dem Directorium kehrte sie nach Frankreich zurück und setzte jetzt die Bemühungen fort, die sie schon von England aus eingeleitet hatte, ihren Retter aufzusuchen und etwas über sein Schicksal zu erfahren. Er war in Frankreich zurückgeblieben, da seine Gesellschaft den Verfolgern der Gräfin deren Entdeckung erleichtert hätte, denn er war ein riesiger und in seiner Gestalt auffallender Mann. Die Gräfin erfuhr nur zu bald, wie ihr Retter geendet hatte. Er ersetzte sie auf dem Schaffotte. Da er keine Anverwandten hatte, denen sie hätte Wohlthaten erzeigen können, beschloß sie ihre Dankbarkeit an den Savoyardenkindern zu beweisen, die, wie jener nach Paris ge-

Straßen durchzogen oder als Schornsteinfeger fungirt hatten. Ich überzeugte mich bald, daß sämmtliche diese Knaben Savoyarden waren. Ich will Ihnen das Räthsel in wenigen Worten lösen.

Gräfin Montarcy wurde unter der Schreckensherrschaft verdächtig, mit der Armee der Emigranten correspondirt zu haben. Sie sollte verhaftet werden — und eine Verhaftung unter solchem Verdachte war damals so viel werth wie ein Todesurtheil. Ein Savoyarde, der bei ihr als Portier diente, rettete sie, indem er einen Mann des Gesetzes niederschlug, den andern Gerichtsbeamten im Hofe einsperrte, sich mit seiner Herrschaft in den Straßen verlor und ihr dann, nachdem er sie in die Kleider seiner Schwester gesteckt, aus Paris verhalf. Mad. de Montarcy entkam glücklich nach London. Unter dem Directorium kehrte sie nach Frankreich zurück und setzte jetzt die Bemühungen fort, die sie schon von England aus eingeleitet hatte, ihren Retter aufzusuchen und etwas über sein Schicksal zu erfahren. Er war in Frankreich zurückgeblieben, da seine Gesellschaft den Verfolgern der Gräfin deren Entdeckung erleichtert hätte, denn er war ein riesiger und in seiner Gestalt auffallender Mann. Die Gräfin erfuhr nur zu bald, wie ihr Retter geendet hatte. Er ersetzte sie auf dem Schaffotte. Da er keine Anverwandten hatte, denen sie hätte Wohlthaten erzeigen können, beschloß sie ihre Dankbarkeit an den Savoyardenkindern zu beweisen, die, wie jener nach Paris ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0027"/>
Straßen durchzogen oder als Schornsteinfeger fungirt hatten. Ich überzeugte mich bald,      daß sämmtliche diese Knaben Savoyarden waren. Ich will Ihnen das Räthsel in wenigen Worten      lösen.</p><lb/>
        <p>Gräfin Montarcy wurde unter der Schreckensherrschaft verdächtig, mit der Armee der Emigranten      correspondirt zu haben. Sie sollte verhaftet werden &#x2014; und eine Verhaftung unter solchem      Verdachte war damals so viel werth wie ein Todesurtheil. Ein Savoyarde, der bei ihr als Portier      diente, rettete sie, indem er einen Mann des Gesetzes niederschlug, den andern Gerichtsbeamten      im Hofe einsperrte, sich mit seiner Herrschaft in den Straßen verlor und ihr dann, nachdem er      sie in die Kleider seiner Schwester gesteckt, aus Paris verhalf. Mad. de Montarcy entkam      glücklich nach London. Unter dem Directorium kehrte sie nach Frankreich zurück und setzte jetzt      die Bemühungen fort, die sie schon von England aus eingeleitet hatte, ihren Retter aufzusuchen      und etwas über sein Schicksal zu erfahren. Er war in Frankreich zurückgeblieben, da seine      Gesellschaft den Verfolgern der Gräfin deren Entdeckung erleichtert hätte, denn er war ein      riesiger und in seiner Gestalt auffallender Mann. Die Gräfin erfuhr nur zu bald, wie ihr Retter      geendet hatte. Er ersetzte sie auf dem Schaffotte. Da er keine Anverwandten hatte, denen sie      hätte Wohlthaten erzeigen können, beschloß sie ihre Dankbarkeit an den Savoyardenkindern zu      beweisen, die, wie jener nach Paris ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] Straßen durchzogen oder als Schornsteinfeger fungirt hatten. Ich überzeugte mich bald, daß sämmtliche diese Knaben Savoyarden waren. Ich will Ihnen das Räthsel in wenigen Worten lösen. Gräfin Montarcy wurde unter der Schreckensherrschaft verdächtig, mit der Armee der Emigranten correspondirt zu haben. Sie sollte verhaftet werden — und eine Verhaftung unter solchem Verdachte war damals so viel werth wie ein Todesurtheil. Ein Savoyarde, der bei ihr als Portier diente, rettete sie, indem er einen Mann des Gesetzes niederschlug, den andern Gerichtsbeamten im Hofe einsperrte, sich mit seiner Herrschaft in den Straßen verlor und ihr dann, nachdem er sie in die Kleider seiner Schwester gesteckt, aus Paris verhalf. Mad. de Montarcy entkam glücklich nach London. Unter dem Directorium kehrte sie nach Frankreich zurück und setzte jetzt die Bemühungen fort, die sie schon von England aus eingeleitet hatte, ihren Retter aufzusuchen und etwas über sein Schicksal zu erfahren. Er war in Frankreich zurückgeblieben, da seine Gesellschaft den Verfolgern der Gräfin deren Entdeckung erleichtert hätte, denn er war ein riesiger und in seiner Gestalt auffallender Mann. Die Gräfin erfuhr nur zu bald, wie ihr Retter geendet hatte. Er ersetzte sie auf dem Schaffotte. Da er keine Anverwandten hatte, denen sie hätte Wohlthaten erzeigen können, beschloß sie ihre Dankbarkeit an den Savoyardenkindern zu beweisen, die, wie jener nach Paris ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:58:35Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:58:35Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_gebirge_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_gebirge_1910/27
Zitationshilfe: Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_gebirge_1910/27>, abgerufen am 22.11.2024.