Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

Bild:
<< vorherige Seite

Neid.
Leid ich von der Tugend wegen/ so wird mir der
Fluch zu Segen.

Der Neid wird gebildet in Gestalt einer al-
ten ungestalten Weibsperson/ blaß in dem An-
gesicht/ mit langabhangenden Brüsten/ darzwi-
schen Schlangen das Hertz nagen/ nechst ihr eine
Wasserschlange mit vielen Köpfen. Oder man
mahlet sie mit einem Schlangen Haare/ und daß
sie das Hertz/ in der Had hält/ welches ein Wurm
naget. Jhre Kleidung ist rot/ wie der Rost am
Eisen. Ob der Neid mehr nutze oder schade ist zu
lesen in den Gesprächspielen.

Der Neid.
Jch werde wolgemut/ wann andre sich beklagen:
Jch traure/ wann das Glück den andren giebt
Behagen.
Jch sorg' um meine Qual/ und nimm an Kräff-
ten ab/
doch grab' ich noch so stark/ mein eignes
Schmertzen Grab.
325. Nest.

Deß Vogelsleichtes Haus das hochgeflocht-
ne Nest geschlossen von geäst. Der Bruten erster
Aufenthalt. Da die bunten Vögel nisten/ und
der ersten Speißgelüsten/ da sie flicken (mit Fe-
dern bedecken) und sich risten ihren alten nach zu
fliegen.

Netz.

Neid.
Leid ich von der Tugend wegen/ ſo wird mir der
Fluch zu Segen.

Der Neid wird gebildet in Geſtalt einer al-
ten ungeſtalten Weibsperſon/ blaß in dem An-
geſicht/ mit langabhangenden Bruͤſten/ darzwi-
ſchen Schlangen das Hertz nagen/ nechſt ihr eine
Waſſerſchlange mit vielen Koͤpfen. Oder man
mahlet ſie mit einem Schlangen Haare/ und daß
ſie das Hertz/ in der Hãd haͤlt/ welches ein Wuꝛm
naget. Jhre Kleidung iſt rot/ wie der Roſt am
Eiſen. Ob der Neid mehr nutze oder ſchade iſt zu
leſen in den Geſpraͤchſpielen.

Der Neid.
Jch werde wolgemut/ wann andre ſich beklagen:
Jch traure/ wann das Gluͤck den andren giebt
Behagen.
Jch ſorg’ um meine Qual/ und nim̃ an Kraͤff-
ten ab/
doch grab’ ich noch ſo ſtark/ mein eignes
Schmertzen Grab.
325. Neſt.

Deß Vogelsleichtes Haus das hochgeflocht-
ne Neſt geſchloſſen von geaͤſt. Der Bruten erſter
Aufenthalt. Da die bunten Voͤgel niſten/ und
der erſten Speißgeluͤſten/ da ſie flicken (mit Fe-
dern bedecken) und ſich riſten ihren alten nach zu
fliegen.

Netz.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0392" n="362[360]"/><fw place="top" type="header">Neid.</fw><lb/>
Leid ich von der Tugend wegen/ &#x017F;o wird mir der<lb/>
Fluch zu Segen.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#fr">Neid</hi> wird gebildet in Ge&#x017F;talt einer al-<lb/>
ten unge&#x017F;talten Weibsper&#x017F;on/ blaß in dem An-<lb/>
ge&#x017F;icht/ mit langabhangenden Bru&#x0364;&#x017F;ten/ darzwi-<lb/>
&#x017F;chen Schlangen das Hertz nagen/ nech&#x017F;t ihr eine<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;chlange mit vielen Ko&#x0364;pfen. Oder man<lb/>
mahlet &#x017F;ie mit einem Schlangen Haare/ und daß<lb/>
&#x017F;ie das Hertz/ in der Hãd ha&#x0364;lt/ welches ein Wu&#xA75B;m<lb/>
naget. Jhre Kleidung i&#x017F;t rot/ wie der Ro&#x017F;t am<lb/>
Ei&#x017F;en. Ob der Neid mehr nutze oder &#x017F;chade i&#x017F;t zu<lb/>
le&#x017F;en in den Ge&#x017F;pra&#x0364;ch&#x017F;pielen.</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Der Neid.</hi> </hi> </head><lb/>
              <l>Jch werde wolgemut/ wann andre &#x017F;ich beklagen:</l><lb/>
              <l>Jch traure/ wann das Glu&#x0364;ck den andren giebt</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#et">Behagen.</hi> </l><lb/>
              <l>Jch &#x017F;org&#x2019; um meine Qual/ und nim&#x0303; an Kra&#x0364;ff-</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#et">ten ab/</hi> </l><lb/>
              <l>doch grab&#x2019; ich noch &#x017F;o &#x017F;tark/ mein eignes</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#et">Schmertzen Grab.</hi> </l>
            </lg>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">325. Ne&#x017F;t.</hi> </hi> </head><lb/>
            <p>Deß Vogelsleichtes Haus das hochgeflocht-<lb/>
ne Ne&#x017F;t ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en von gea&#x0364;&#x017F;t. Der Bruten er&#x017F;ter<lb/>
Aufenthalt. Da die bunten Vo&#x0364;gel ni&#x017F;ten/ und<lb/>
der er&#x017F;ten Speißgelu&#x0364;&#x017F;ten/ da &#x017F;ie flicken (mit Fe-<lb/>
dern bedecken) und &#x017F;ich ri&#x017F;ten ihren alten nach zu<lb/>
fliegen.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Netz.</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362[360]/0392] Neid. Leid ich von der Tugend wegen/ ſo wird mir der Fluch zu Segen. Der Neid wird gebildet in Geſtalt einer al- ten ungeſtalten Weibsperſon/ blaß in dem An- geſicht/ mit langabhangenden Bruͤſten/ darzwi- ſchen Schlangen das Hertz nagen/ nechſt ihr eine Waſſerſchlange mit vielen Koͤpfen. Oder man mahlet ſie mit einem Schlangen Haare/ und daß ſie das Hertz/ in der Hãd haͤlt/ welches ein Wuꝛm naget. Jhre Kleidung iſt rot/ wie der Roſt am Eiſen. Ob der Neid mehr nutze oder ſchade iſt zu leſen in den Geſpraͤchſpielen. Der Neid. Jch werde wolgemut/ wann andre ſich beklagen: Jch traure/ wann das Gluͤck den andren giebt Behagen. Jch ſorg’ um meine Qual/ und nim̃ an Kraͤff- ten ab/ doch grab’ ich noch ſo ſtark/ mein eignes Schmertzen Grab. 325. Neſt. Deß Vogelsleichtes Haus das hochgeflocht- ne Neſt geſchloſſen von geaͤſt. Der Bruten erſter Aufenthalt. Da die bunten Voͤgel niſten/ und der erſten Speißgeluͤſten/ da ſie flicken (mit Fe- dern bedecken) und ſich riſten ihren alten nach zu fliegen. Netz.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/392
Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 362[360]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/392>, abgerufen am 27.11.2024.