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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Die sechste Stund.
bildet/ und eine Sache mit solchen natürlichen
Farben ausmahlet/ und alle andere Wissenschaf-
ten und Künste zu seinen Diensten anzuwenden
weiß.

2. Hierinnen muß man aber ein gutes Urtheil
gebrauchen/ daß er sich in den Erfindungen nach
denen richtet/ welchen er zu Gefallen die Feder er-
griffen. Jns gemein aber sind gar zu hohe Ge-
danken nicht schicklich zu den Gedichten/ weil sie
alle Lieblichkeit verhindern und/ ohne fernere Er-
klärung in ungebundner Rede/ nicht vernemlich
sind; solche Erklärung ist zweyerley: 1. der tunk-
len Wörter/ und solche gehöret an den Rand. 2.
der Sachen selbsten/ und solche mag man zu En-
de anfügen/ iedoch ohne Vberfluß ungehöriger
Geschicklichkeit.

3. Etliche bedienen sich frembder Poeten Er-
findungen/ und ist solches ein rühmlicher Dieb-
stal bey den Schülern/ wann sie die Sache recht
anzubringen wissen/ wie Virgilius deß Theocriti,
und Homeri, Horatius deß Pindari Gedichte be-
nutzet hat: ja deßwegen liset man anderer Spra-
chen Bücher/ aus ihnen etwas zu lernen/ und nach
Gelegenheit abzuborgen/ hiervon sagte jener/ daß
die Schüler aus ihrer Lehrmeister Mäntel Klei-
der machen/ und so statlich mit Silber und Gold
überbremen/ daß sie nicht erkäntlich sind. Es muß

aber

Die ſechſte Stund.
bildet/ und eine Sache mit ſolchen natuͤrlichen
Farben ausmahlet/ und alle andere Wiſſenſchaf-
ten und Kuͤnſte zu ſeinen Dienſten anzuwenden
weiß.

2. Hierinnen muß man aber ein gutes Urtheil
gebrauchen/ daß er ſich in den Erfindungen nach
denen richtet/ welchen er zu Gefallen die Feder er-
griffen. Jns gemein aber ſind gar zu hohe Ge-
danken nicht ſchicklich zu den Gedichten/ weil ſie
alle Lieblichkeit verhindern und/ ohne fernere Er-
klaͤrung in ungebundner Rede/ nicht vernemlich
ſind; ſolche Erklaͤrung iſt zweyerley: 1. der tunk-
len Woͤrter/ und ſolche gehoͤret an den Rand. 2.
der Sachen ſelbſten/ und ſolche mag man zu En-
de anfuͤgen/ iedoch ohne Vberfluß ungehoͤriger
Geſchicklichkeit.

3. Etliche bedienen ſich frembder Poeten Er-
findungen/ und iſt ſolches ein ruͤhmlicher Dieb-
ſtal bey den Schuͤlern/ wann ſie die Sache recht
anzubringen wiſſen/ wie Virgilius deß Theocriti,
und Homeri, Horatius deß Pindari Gedichte be-
nutzet hat: ja deßwegen liſet man anderer Spra-
chen Buͤcher/ aus ihnen etwas zu lernen/ uñ nach
Gelegenheit abzuborgen/ hiervon ſagte jener/ daß
die Schuͤler aus ihrer Lehrmeiſter Maͤntel Klei-
der machen/ und ſo ſtatlich mit Silber und Gold
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[102[98]/0116] Die ſechſte Stund. bildet/ und eine Sache mit ſolchen natuͤrlichen Farben ausmahlet/ und alle andere Wiſſenſchaf- ten und Kuͤnſte zu ſeinen Dienſten anzuwenden weiß. 2. Hierinnen muß man aber ein gutes Urtheil gebrauchen/ daß er ſich in den Erfindungen nach denen richtet/ welchen er zu Gefallen die Feder er- griffen. Jns gemein aber ſind gar zu hohe Ge- danken nicht ſchicklich zu den Gedichten/ weil ſie alle Lieblichkeit verhindern und/ ohne fernere Er- klaͤrung in ungebundner Rede/ nicht vernemlich ſind; ſolche Erklaͤrung iſt zweyerley: 1. der tunk- len Woͤrter/ und ſolche gehoͤret an den Rand. 2. der Sachen ſelbſten/ und ſolche mag man zu En- de anfuͤgen/ iedoch ohne Vberfluß ungehoͤriger Geſchicklichkeit. 3. Etliche bedienen ſich frembder Poeten Er- findungen/ und iſt ſolches ein ruͤhmlicher Dieb- ſtal bey den Schuͤlern/ wann ſie die Sache recht anzubringen wiſſen/ wie Virgilius deß Theocriti, und Homeri, Horatius deß Pindari Gedichte be- nutzet hat: ja deßwegen liſet man anderer Spra- chen Buͤcher/ aus ihnen etwas zu lernen/ uñ nach Gelegenheit abzuborgen/ hiervon ſagte jener/ daß die Schuͤler aus ihrer Lehrmeiſter Maͤntel Klei- der machen/ und ſo ſtatlich mit Silber und Gold uͤberbꝛemen/ daß ſie nicht eꝛkaͤntlich ſind. Es muß aber

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. 102[98]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/116>, abgerufen am 23.11.2024.