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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits (1106-1125).
Die weitausgreifenden Wünsche Gregors VII.: Lehenshoheit über
das Kaisertum, volle Abhängigkeit des deutschen Episkopats und
freie Verfügung über das gesamte Kirchengut hatten sich nicht er-
reichen lassen und blieben ein Ziel der Zukunft. Gleichwohl war
die Machtentfaltung der römischen Kirche während des Kampfes,
ihre stets wachsende Beherrschung der Geister, die Entwicklung
des Papsttums zum maßgebenden Faktor in der Gesamtkirche und
zur unabhängigen Weltmacht und Führerstellung in Europa mit
Händen zu greifen. Mit dem Verlauf im Ganzen durfte man also
auf dieser Seite wohl zufrieden sein. Das ottonische Regierung-
system war in wesentlichen Punkten erschüttert. Mit der Beherr-
schung des Papsttums war es aus, und die Abhängigkeit des deutschen
Episkopats war hinfort nur bei äußerster Kraftanstrengung der Krone
und in beständigen Reibungen mit der Kurie aufrecht zu erhalten.
Aber auch der andre Teil des ottonischen Systems, die Nieder-
haltung des Laienfürstentums durch die Kirche, hatte in den langen
Bürgerkriegen einen heftigen Schlag erlitten, und mit Recht haben
Ranke und Andre betont, daß das deutsche Fürstentum aus dem
Kampfe den Löwenanteil davontrug. Es war an Besitz und Rechten
erstarkt, seine Mitwirkung an der Reichsregierung, die in der Königs-
wahl ihren höchsten Ausdruck fand, war bedeutender geworden,
zuletzt hatte es sich geradezu als eine Vertretung der Reichsrechte
dargestellt. Indem jetzt die Abhängigkeit der geistlichen Fürsten
von einem Ernennungsrecht der Krone fortfiel, und das Verhältnis
sich mehr und mehr dem rein lehensrechtlichen annäherte, schwand
der alte Gegensatz zwischen geistlicher und weltlicher Aristokratie
dahin, und die Gleichartigkeit der Interessen mußte sie beide all-
mählich zu einem der Krone mit ganz andrer Wucht geschlossen
gegenüberstehenden Territorialfürstentum verschmelzen. -- In Italien
andrerseits, wo die weitergehende Loslösung des Episkopats von der
Krone die Bischöfe des Hauptrückhalts bei der Verteidigung des
Reichskirchenguts beraubte, zogen die Städte den Hauptgewinn aus
dem Konkordate, indem sie sich in der Folgezeit fast allenthalben
in den Besitz der Regalien zu setzen wußten; das Ringen Barba-
rossas mit seinen lombardischen Gegnern war daher in gewissem
Sinne eine Wiederaufnahme des alten Investiturstreites, nur daß das
Kampfobjekt nicht mehr gegen die Ansprüche der Kirche, sondern
die der Städte zu verteidigen war.

Künftig galt es, im deutschen Reiche in anderer Weise und
mit vielfach anderen Mitteln zu regieren. Daß aber diese Möglich-
keit blieb, und daß sich das Königtum sogar bald wieder zu
neuer Kraft erheben konnte, verdankte man neben der unbeug-
samen Zähigkeit Heinrichs IV. doch auch der Klugheit seines

Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 6

§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits (1106‒1125).
Die weitausgreifenden Wünsche Gregors VII.: Lehenshoheit über
das Kaisertum, volle Abhängigkeit des deutschen Episkopats und
freie Verfügung über das gesamte Kirchengut hatten sich nicht er-
reichen lassen und blieben ein Ziel der Zukunft. Gleichwohl war
die Machtentfaltung der römischen Kirche während des Kampfes,
ihre stets wachsende Beherrschung der Geister, die Entwicklung
des Papsttums zum maßgebenden Faktor in der Gesamtkirche und
zur unabhängigen Weltmacht und Führerstellung in Europa mit
Händen zu greifen. Mit dem Verlauf im Ganzen durfte man also
auf dieser Seite wohl zufrieden sein. Das ottonische Regierung-
system war in wesentlichen Punkten erschüttert. Mit der Beherr-
schung des Papsttums war es aus, und die Abhängigkeit des deutschen
Episkopats war hinfort nur bei äußerster Kraftanstrengung der Krone
und in beständigen Reibungen mit der Kurie aufrecht zu erhalten.
Aber auch der andre Teil des ottonischen Systems, die Nieder-
haltung des Laienfürstentums durch die Kirche, hatte in den langen
Bürgerkriegen einen heftigen Schlag erlitten, und mit Recht haben
Ranke und Andre betont, daß das deutsche Fürstentum aus dem
Kampfe den Löwenanteil davontrug. Es war an Besitz und Rechten
erstarkt, seine Mitwirkung an der Reichsregierung, die in der Königs-
wahl ihren höchsten Ausdruck fand, war bedeutender geworden,
zuletzt hatte es sich geradezu als eine Vertretung der Reichsrechte
dargestellt. Indem jetzt die Abhängigkeit der geistlichen Fürsten
von einem Ernennungsrecht der Krone fortfiel, und das Verhältnis
sich mehr und mehr dem rein lehensrechtlichen annäherte, schwand
der alte Gegensatz zwischen geistlicher und weltlicher Aristokratie
dahin, und die Gleichartigkeit der Interessen mußte sie beide all-
mählich zu einem der Krone mit ganz andrer Wucht geschlossen
gegenüberstehenden Territorialfürstentum verschmelzen. — In Italien
andrerseits, wo die weitergehende Loslösung des Episkopats von der
Krone die Bischöfe des Hauptrückhalts bei der Verteidigung des
Reichskirchenguts beraubte, zogen die Städte den Hauptgewinn aus
dem Konkordate, indem sie sich in der Folgezeit fast allenthalben
in den Besitz der Regalien zu setzen wußten; das Ringen Barba-
rossas mit seinen lombardischen Gegnern war daher in gewissem
Sinne eine Wiederaufnahme des alten Investiturstreites, nur daß das
Kampfobjekt nicht mehr gegen die Ansprüche der Kirche, sondern
die der Städte zu verteidigen war.

Künftig galt es, im deutschen Reiche in anderer Weise und
mit vielfach anderen Mitteln zu regieren. Daß aber diese Möglich-
keit blieb, und daß sich das Königtum sogar bald wieder zu
neuer Kraft erheben konnte, verdankte man neben der unbeug-
samen Zähigkeit Heinrichs IV. doch auch der Klugheit seines

Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 6
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[81/0089] § 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits (1106‒1125). Die weitausgreifenden Wünsche Gregors VII.: Lehenshoheit über das Kaisertum, volle Abhängigkeit des deutschen Episkopats und freie Verfügung über das gesamte Kirchengut hatten sich nicht er- reichen lassen und blieben ein Ziel der Zukunft. Gleichwohl war die Machtentfaltung der römischen Kirche während des Kampfes, ihre stets wachsende Beherrschung der Geister, die Entwicklung des Papsttums zum maßgebenden Faktor in der Gesamtkirche und zur unabhängigen Weltmacht und Führerstellung in Europa mit Händen zu greifen. Mit dem Verlauf im Ganzen durfte man also auf dieser Seite wohl zufrieden sein. Das ottonische Regierung- system war in wesentlichen Punkten erschüttert. Mit der Beherr- schung des Papsttums war es aus, und die Abhängigkeit des deutschen Episkopats war hinfort nur bei äußerster Kraftanstrengung der Krone und in beständigen Reibungen mit der Kurie aufrecht zu erhalten. Aber auch der andre Teil des ottonischen Systems, die Nieder- haltung des Laienfürstentums durch die Kirche, hatte in den langen Bürgerkriegen einen heftigen Schlag erlitten, und mit Recht haben Ranke und Andre betont, daß das deutsche Fürstentum aus dem Kampfe den Löwenanteil davontrug. Es war an Besitz und Rechten erstarkt, seine Mitwirkung an der Reichsregierung, die in der Königs- wahl ihren höchsten Ausdruck fand, war bedeutender geworden, zuletzt hatte es sich geradezu als eine Vertretung der Reichsrechte dargestellt. Indem jetzt die Abhängigkeit der geistlichen Fürsten von einem Ernennungsrecht der Krone fortfiel, und das Verhältnis sich mehr und mehr dem rein lehensrechtlichen annäherte, schwand der alte Gegensatz zwischen geistlicher und weltlicher Aristokratie dahin, und die Gleichartigkeit der Interessen mußte sie beide all- mählich zu einem der Krone mit ganz andrer Wucht geschlossen gegenüberstehenden Territorialfürstentum verschmelzen. — In Italien andrerseits, wo die weitergehende Loslösung des Episkopats von der Krone die Bischöfe des Hauptrückhalts bei der Verteidigung des Reichskirchenguts beraubte, zogen die Städte den Hauptgewinn aus dem Konkordate, indem sie sich in der Folgezeit fast allenthalben in den Besitz der Regalien zu setzen wußten; das Ringen Barba- rossas mit seinen lombardischen Gegnern war daher in gewissem Sinne eine Wiederaufnahme des alten Investiturstreites, nur daß das Kampfobjekt nicht mehr gegen die Ansprüche der Kirche, sondern die der Städte zu verteidigen war. Künftig galt es, im deutschen Reiche in anderer Weise und mit vielfach anderen Mitteln zu regieren. Daß aber diese Möglich- keit blieb, und daß sich das Königtum sogar bald wieder zu neuer Kraft erheben konnte, verdankte man neben der unbeug- samen Zähigkeit Heinrichs IV. doch auch der Klugheit seines Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 6

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/89>, abgerufen am 01.05.2024.