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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits. (1106-1125).
alleiniger Herrscher war, trat zutage, daß er im Grunde für dasselbe
Ziel kämpfte, wie der alte Kaiser. Der Friede mit beiden Mächten
konnte daher nicht dauern.1)

Auf kirchlichem Gebiete hatte der König zwar die Reste des
Schismas in Deutschland beseitigt, aber ganz im Einverständnis mit
dem Episkopat auch nicht die geringste Bereitwilligkeit gezeigt, auf
das wichtige Investiturrecht zu verzichten. Hatte Paschalis II. sich
anfänglich darüber getäuscht, so brachten die nächsten Jahre völlige
Klarheit über den ungelösten prinzipiellen Gegensatz: von Seiten
des Papstes wiederholte scharfe Erneuerungen des Investiturverbotes,
von Seiten Heinrichs unerschütterliches Festhalten an dem ererbten
kaiserlichen Recht. Ohne daß man in fortgesetzten Verhandlungen
der Verständigung näher gekommen wäre, brach der König 1110
mit der gesamten Streitmacht des geeinten Deutschlands zu der in
Aussicht gestellten Kaiserkrönung nach Italien auf. Da ihm bei
seinen noch immer freundlichen Beziehungen zur Kurie kein nennens-
werter Widerstand entgegentrat, wurde der Verlust des Landes fast
mühelos wiedereingebracht. Die furchtbare Zwangslage, in die sich
der Papst angesichts der gewaltigen Kriegsmacht versetzt sah, mehr
aber noch Geistesrichtung und Charakter Paschalis II. erklären den
merkwürdigen, radikalen Lösungsversuch vom Februar 1111. Zurück-
bebend vor den Schrecken eines neuen Riesenkampfes, ohne tieferen
Einblick in die geschichtlichen Wirklichkeiten und politischen Möglich-
keiten, im Sinne etwa eines Petrus Damiani mehr erfüllt von dem
mönchischen Ideal einer Entweltlichung der Kirche, als von den
gregorianischen Herrschaftsgedanken, machte er einen ehrlichen Ver-
such, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers war, einen Versuch,
der indes den Logiker mehr ehrte als den Staatsmann, und dessen
Durchführung eine ganz andere Willensstärke bei dem Oberhaupt
der Kirche vorausgesetzt hätte, als sie Paschalis eigen war. Die
Reichsgewalt klammerte sich an die Investitur, weil nur sie ihr
Obereigentumsrecht am Reichskirchengut verbürgte. Gab jetzt die
deutsche Kirche dem Reiche alle Besitzungen und Rechte zurück,
die sie von ihm seit den Tagen Karls d. Gr. erhalten hatte, und
beschränkte sich künftig für ihren Unterhalt auf Zehnten und Privat-
schenkungen, so konnte dem Kaisertum der Verzicht auf die In-
vestitur mit dem kirchlichen Amte nicht schwer fallen. Das war
der Hauptinhalt der Abmachungen, die damals auf Paschalis' Vor-
schlag zwischen Papst und Kaiser getroffen und in zwei Urkunden

1) Das Material für die Jahre 1106-1116 ist ungemein fleißig, ohne
tiefer dringende Auffassung, zusammengetragen von Meyer v. Knonau, Jahrb.
d. d. Reiches unter H. IV. u. H. V. Bd. VI (1907).

§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits. (1106‒1125).
alleiniger Herrscher war, trat zutage, daß er im Grunde für dasselbe
Ziel kämpfte, wie der alte Kaiser. Der Friede mit beiden Mächten
konnte daher nicht dauern.1)

Auf kirchlichem Gebiete hatte der König zwar die Reste des
Schismas in Deutschland beseitigt, aber ganz im Einverständnis mit
dem Episkopat auch nicht die geringste Bereitwilligkeit gezeigt, auf
das wichtige Investiturrecht zu verzichten. Hatte Paschalis II. sich
anfänglich darüber getäuscht, so brachten die nächsten Jahre völlige
Klarheit über den ungelösten prinzipiellen Gegensatz: von Seiten
des Papstes wiederholte scharfe Erneuerungen des Investiturverbotes,
von Seiten Heinrichs unerschütterliches Festhalten an dem ererbten
kaiserlichen Recht. Ohne daß man in fortgesetzten Verhandlungen
der Verständigung näher gekommen wäre, brach der König 1110
mit der gesamten Streitmacht des geeinten Deutschlands zu der in
Aussicht gestellten Kaiserkrönung nach Italien auf. Da ihm bei
seinen noch immer freundlichen Beziehungen zur Kurie kein nennens-
werter Widerstand entgegentrat, wurde der Verlust des Landes fast
mühelos wiedereingebracht. Die furchtbare Zwangslage, in die sich
der Papst angesichts der gewaltigen Kriegsmacht versetzt sah, mehr
aber noch Geistesrichtung und Charakter Paschalis II. erklären den
merkwürdigen, radikalen Lösungsversuch vom Februar 1111. Zurück-
bebend vor den Schrecken eines neuen Riesenkampfes, ohne tieferen
Einblick in die geschichtlichen Wirklichkeiten und politischen Möglich-
keiten, im Sinne etwa eines Petrus Damiani mehr erfüllt von dem
mönchischen Ideal einer Entweltlichung der Kirche, als von den
gregorianischen Herrschaftsgedanken, machte er einen ehrlichen Ver-
such, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers war, einen Versuch,
der indes den Logiker mehr ehrte als den Staatsmann, und dessen
Durchführung eine ganz andere Willensstärke bei dem Oberhaupt
der Kirche vorausgesetzt hätte, als sie Paschalis eigen war. Die
Reichsgewalt klammerte sich an die Investitur, weil nur sie ihr
Obereigentumsrecht am Reichskirchengut verbürgte. Gab jetzt die
deutsche Kirche dem Reiche alle Besitzungen und Rechte zurück,
die sie von ihm seit den Tagen Karls d. Gr. erhalten hatte, und
beschränkte sich künftig für ihren Unterhalt auf Zehnten und Privat-
schenkungen, so konnte dem Kaisertum der Verzicht auf die In-
vestitur mit dem kirchlichen Amte nicht schwer fallen. Das war
der Hauptinhalt der Abmachungen, die damals auf Paschalis' Vor-
schlag zwischen Papst und Kaiser getroffen und in zwei Urkunden

1) Das Material für die Jahre 1106‒1116 ist ungemein fleißig, ohne
tiefer dringende Auffassung, zusammengetragen von Meyer v. Knonau, Jahrb.
d. d. Reiches unter H. IV. u. H. V. Bd. VI (1907).
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[73/0081] § 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits. (1106‒1125). alleiniger Herrscher war, trat zutage, daß er im Grunde für dasselbe Ziel kämpfte, wie der alte Kaiser. Der Friede mit beiden Mächten konnte daher nicht dauern. 1) Auf kirchlichem Gebiete hatte der König zwar die Reste des Schismas in Deutschland beseitigt, aber ganz im Einverständnis mit dem Episkopat auch nicht die geringste Bereitwilligkeit gezeigt, auf das wichtige Investiturrecht zu verzichten. Hatte Paschalis II. sich anfänglich darüber getäuscht, so brachten die nächsten Jahre völlige Klarheit über den ungelösten prinzipiellen Gegensatz: von Seiten des Papstes wiederholte scharfe Erneuerungen des Investiturverbotes, von Seiten Heinrichs unerschütterliches Festhalten an dem ererbten kaiserlichen Recht. Ohne daß man in fortgesetzten Verhandlungen der Verständigung näher gekommen wäre, brach der König 1110 mit der gesamten Streitmacht des geeinten Deutschlands zu der in Aussicht gestellten Kaiserkrönung nach Italien auf. Da ihm bei seinen noch immer freundlichen Beziehungen zur Kurie kein nennens- werter Widerstand entgegentrat, wurde der Verlust des Landes fast mühelos wiedereingebracht. Die furchtbare Zwangslage, in die sich der Papst angesichts der gewaltigen Kriegsmacht versetzt sah, mehr aber noch Geistesrichtung und Charakter Paschalis II. erklären den merkwürdigen, radikalen Lösungsversuch vom Februar 1111. Zurück- bebend vor den Schrecken eines neuen Riesenkampfes, ohne tieferen Einblick in die geschichtlichen Wirklichkeiten und politischen Möglich- keiten, im Sinne etwa eines Petrus Damiani mehr erfüllt von dem mönchischen Ideal einer Entweltlichung der Kirche, als von den gregorianischen Herrschaftsgedanken, machte er einen ehrlichen Ver- such, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers war, einen Versuch, der indes den Logiker mehr ehrte als den Staatsmann, und dessen Durchführung eine ganz andere Willensstärke bei dem Oberhaupt der Kirche vorausgesetzt hätte, als sie Paschalis eigen war. Die Reichsgewalt klammerte sich an die Investitur, weil nur sie ihr Obereigentumsrecht am Reichskirchengut verbürgte. Gab jetzt die deutsche Kirche dem Reiche alle Besitzungen und Rechte zurück, die sie von ihm seit den Tagen Karls d. Gr. erhalten hatte, und beschränkte sich künftig für ihren Unterhalt auf Zehnten und Privat- schenkungen, so konnte dem Kaisertum der Verzicht auf die In- vestitur mit dem kirchlichen Amte nicht schwer fallen. Das war der Hauptinhalt der Abmachungen, die damals auf Paschalis' Vor- schlag zwischen Papst und Kaiser getroffen und in zwei Urkunden 1) Das Material für die Jahre 1106‒1116 ist ungemein fleißig, ohne tiefer dringende Auffassung, zusammengetragen von Meyer v. Knonau, Jahrb. d. d. Reiches unter H. IV. u. H. V. Bd. VI (1907).

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/81>, abgerufen am 01.05.2024.