Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085-1106).
nicht in aller Form zum Vasallen machte, so doch tatsächlich in
ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis von der Kurie brachte, wie
die Normannenherzöge. Dafür stellte ihm Urban bei entsprechen-
den Zugeständnissen in der Investiturfrage die Kaiserkrone in Aus-
sicht und suchte seine Stellung durch Vermählung mit der Tochter
des mächtigen Normannengrafen Roger von Sizilien und Kalabrien
zu festigen. Das Ziel, dem Gregor so lange vergeblich nachgestrebt
hatte, die Beugung des salischen Herrscherhauses in die Abhängig-
keit des römischen Stuhles, schien so Urban mit leichter Mühe
durch eine Hintertür erreicht zu haben.

Dazu kam noch ein weiteres Zerwürfnis im Schoße von Heinrichs
Familie (1094). Seine zweite Gemahlin Praxedis oder Eupraxia,
Tochter des russischen Großfürsten von Kiew, die er zwei Jahre
nach Berthas Tode (1087) geheiratet hatte, ward wegen Ehebruchs
gefangen gesetzt, entkam mit Hilfe der Päpstlichen und stellte sich
ihnen mit den widerlichsten verleumderischen Anklagen gegen ihren
Gemahl zur Verfügung. Auch diese Waffe erschien ihnen nicht
zu schmutzig, und auf dem unter Leitung Urbans tagenden Konzil
von Piacenza wurden ihre Beschuldigungen ohne Untersuchung als
gerecht anerkannt.

So sehr hatten sich in dem immer wilder und persönlicher
werdenden Kampfe die moralischen Begriffe getrübt! Eine Flut
von Unflat und Verleumdungen, in der Weitererzählung beständig
wachsend und etwa zu dem Aberwitz gesteigert, Heinrich selbst
habe den jungen Konrad zum Ehebruch mit der Stiefmutter zwingen
wollen, wälzte sich, von der Kurie gelenkt oder doch genutzt, wider
den Kaiser heran und drohte seinen Namen zu begraben. Man
versteht, daß er unter der Wucht dieses Schicksals einen Moment
in Ermattung die Waffe sinken ließ, sie vielleicht sogar, wie eine
Nachricht will, auf die Kunde von Konrads Abfall in einem Augen-
blicke der Verzweiflung gegen sich selbst gewandt hat. Zugleich
verurteilte ihn die unglückliche Gestaltung der militärischen Lage
zu völliger Untätigkeit; während eines vollen Jahres (1094) erfahren
wir schlechterdings nichts von ihm. Seine Sache war im Nieder-
gang; er vermochte nichts dagegen zu tun.

Und während er so noch immer in einem Winkel des östlichen
Oberitaliens fast isoliert von den Weltereignissen weilte, begann über
den Süden und Westen Europas der Sturm der ersten Kreuzzug-
begeisterung dahinzubrausen. Es wird stets schwer zu sondern
bleiben, wie sich dabei religiöser Gefühlsüberschwang und politische
Berechnung mischten, und beide von den Handelsinteressen der
italienischen Seestädte getragen wurden. Urban hatte als Flüchtling
bei den süditalischen Normannen gesehen, zu welchen Ergebnissen

Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 5

§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085‒1106).
nicht in aller Form zum Vasallen machte, so doch tatsächlich in
ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis von der Kurie brachte, wie
die Normannenherzöge. Dafür stellte ihm Urban bei entsprechen-
den Zugeständnissen in der Investiturfrage die Kaiserkrone in Aus-
sicht und suchte seine Stellung durch Vermählung mit der Tochter
des mächtigen Normannengrafen Roger von Sizilien und Kalabrien
zu festigen. Das Ziel, dem Gregor so lange vergeblich nachgestrebt
hatte, die Beugung des salischen Herrscherhauses in die Abhängig-
keit des römischen Stuhles, schien so Urban mit leichter Mühe
durch eine Hintertür erreicht zu haben.

Dazu kam noch ein weiteres Zerwürfnis im Schoße von Heinrichs
Familie (1094). Seine zweite Gemahlin Praxedis oder Eupraxia,
Tochter des russischen Großfürsten von Kiew, die er zwei Jahre
nach Berthas Tode (1087) geheiratet hatte, ward wegen Ehebruchs
gefangen gesetzt, entkam mit Hilfe der Päpstlichen und stellte sich
ihnen mit den widerlichsten verleumderischen Anklagen gegen ihren
Gemahl zur Verfügung. Auch diese Waffe erschien ihnen nicht
zu schmutzig, und auf dem unter Leitung Urbans tagenden Konzil
von Piacenza wurden ihre Beschuldigungen ohne Untersuchung als
gerecht anerkannt.

So sehr hatten sich in dem immer wilder und persönlicher
werdenden Kampfe die moralischen Begriffe getrübt! Eine Flut
von Unflat und Verleumdungen, in der Weitererzählung beständig
wachsend und etwa zu dem Aberwitz gesteigert, Heinrich selbst
habe den jungen Konrad zum Ehebruch mit der Stiefmutter zwingen
wollen, wälzte sich, von der Kurie gelenkt oder doch genutzt, wider
den Kaiser heran und drohte seinen Namen zu begraben. Man
versteht, daß er unter der Wucht dieses Schicksals einen Moment
in Ermattung die Waffe sinken ließ, sie vielleicht sogar, wie eine
Nachricht will, auf die Kunde von Konrads Abfall in einem Augen-
blicke der Verzweiflung gegen sich selbst gewandt hat. Zugleich
verurteilte ihn die unglückliche Gestaltung der militärischen Lage
zu völliger Untätigkeit; während eines vollen Jahres (1094) erfahren
wir schlechterdings nichts von ihm. Seine Sache war im Nieder-
gang; er vermochte nichts dagegen zu tun.

Und während er so noch immer in einem Winkel des östlichen
Oberitaliens fast isoliert von den Weltereignissen weilte, begann über
den Süden und Westen Europas der Sturm der ersten Kreuzzug-
begeisterung dahinzubrausen. Es wird stets schwer zu sondern
bleiben, wie sich dabei religiöser Gefühlsüberschwang und politische
Berechnung mischten, und beide von den Handelsinteressen der
italienischen Seestädte getragen wurden. Urban hatte als Flüchtling
bei den süditalischen Normannen gesehen, zu welchen Ergebnissen

Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0073" n="65"/><fw place="top" type="header">§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085&#x2012;1106).</fw><lb/>
nicht in aller Form zum Vasallen machte, so doch tatsächlich in<lb/>
ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis von der Kurie brachte, wie<lb/>
die Normannenherzöge. Dafür stellte ihm Urban bei entsprechen-<lb/>
den Zugeständnissen in der Investiturfrage die Kaiserkrone in Aus-<lb/>
sicht und suchte seine Stellung durch Vermählung mit der Tochter<lb/>
des mächtigen Normannengrafen Roger von Sizilien und Kalabrien<lb/>
zu festigen. Das Ziel, dem Gregor so lange vergeblich nachgestrebt<lb/>
hatte, die Beugung des salischen Herrscherhauses in die Abhängig-<lb/>
keit des römischen Stuhles, schien so Urban mit leichter Mühe<lb/>
durch eine Hintertür erreicht zu haben.</p><lb/>
          <p>Dazu kam noch ein weiteres Zerwürfnis im Schoße von Heinrichs<lb/>
Familie (1094). Seine zweite Gemahlin Praxedis oder Eupraxia,<lb/>
Tochter des russischen Großfürsten von Kiew, die er zwei Jahre<lb/>
nach Berthas Tode (1087) geheiratet hatte, ward wegen Ehebruchs<lb/>
gefangen gesetzt, entkam mit Hilfe der Päpstlichen und stellte sich<lb/>
ihnen mit den widerlichsten verleumderischen Anklagen gegen ihren<lb/>
Gemahl zur Verfügung. Auch diese Waffe erschien ihnen nicht<lb/>
zu schmutzig, und auf dem unter Leitung Urbans tagenden Konzil<lb/>
von Piacenza wurden ihre Beschuldigungen ohne Untersuchung als<lb/>
gerecht anerkannt.</p><lb/>
          <p>So sehr hatten sich in dem immer wilder und persönlicher<lb/>
werdenden Kampfe die moralischen Begriffe getrübt! Eine Flut<lb/>
von Unflat und Verleumdungen, in der Weitererzählung beständig<lb/>
wachsend und etwa zu dem Aberwitz gesteigert, Heinrich selbst<lb/>
habe den jungen Konrad zum Ehebruch mit der Stiefmutter zwingen<lb/>
wollen, wälzte sich, von der Kurie gelenkt oder doch genutzt, wider<lb/>
den Kaiser heran und drohte seinen Namen zu begraben. Man<lb/>
versteht, daß er unter der Wucht dieses Schicksals einen Moment<lb/>
in Ermattung die Waffe sinken ließ, sie vielleicht sogar, wie eine<lb/>
Nachricht will, auf die Kunde von Konrads Abfall in einem Augen-<lb/>
blicke der Verzweiflung gegen sich selbst gewandt hat. Zugleich<lb/>
verurteilte ihn die unglückliche Gestaltung der militärischen Lage<lb/>
zu völliger Untätigkeit; während eines vollen Jahres (1094) erfahren<lb/>
wir schlechterdings nichts von ihm. Seine Sache war im Nieder-<lb/>
gang; er vermochte nichts dagegen zu tun.</p><lb/>
          <p>Und während er so noch immer in einem Winkel des östlichen<lb/>
Oberitaliens fast isoliert von den Weltereignissen weilte, begann über<lb/>
den Süden und Westen Europas der Sturm der ersten Kreuzzug-<lb/>
begeisterung dahinzubrausen. Es wird stets schwer zu sondern<lb/>
bleiben, wie sich dabei religiöser Gefühlsüberschwang und politische<lb/>
Berechnung mischten, und beide von den Handelsinteressen der<lb/>
italienischen Seestädte getragen wurden. Urban hatte als Flüchtling<lb/>
bei den süditalischen Normannen gesehen, zu welchen Ergebnissen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Hampe</hi>, Deutsche Kaisergeschichte. 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0073] § 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085‒1106). nicht in aller Form zum Vasallen machte, so doch tatsächlich in ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis von der Kurie brachte, wie die Normannenherzöge. Dafür stellte ihm Urban bei entsprechen- den Zugeständnissen in der Investiturfrage die Kaiserkrone in Aus- sicht und suchte seine Stellung durch Vermählung mit der Tochter des mächtigen Normannengrafen Roger von Sizilien und Kalabrien zu festigen. Das Ziel, dem Gregor so lange vergeblich nachgestrebt hatte, die Beugung des salischen Herrscherhauses in die Abhängig- keit des römischen Stuhles, schien so Urban mit leichter Mühe durch eine Hintertür erreicht zu haben. Dazu kam noch ein weiteres Zerwürfnis im Schoße von Heinrichs Familie (1094). Seine zweite Gemahlin Praxedis oder Eupraxia, Tochter des russischen Großfürsten von Kiew, die er zwei Jahre nach Berthas Tode (1087) geheiratet hatte, ward wegen Ehebruchs gefangen gesetzt, entkam mit Hilfe der Päpstlichen und stellte sich ihnen mit den widerlichsten verleumderischen Anklagen gegen ihren Gemahl zur Verfügung. Auch diese Waffe erschien ihnen nicht zu schmutzig, und auf dem unter Leitung Urbans tagenden Konzil von Piacenza wurden ihre Beschuldigungen ohne Untersuchung als gerecht anerkannt. So sehr hatten sich in dem immer wilder und persönlicher werdenden Kampfe die moralischen Begriffe getrübt! Eine Flut von Unflat und Verleumdungen, in der Weitererzählung beständig wachsend und etwa zu dem Aberwitz gesteigert, Heinrich selbst habe den jungen Konrad zum Ehebruch mit der Stiefmutter zwingen wollen, wälzte sich, von der Kurie gelenkt oder doch genutzt, wider den Kaiser heran und drohte seinen Namen zu begraben. Man versteht, daß er unter der Wucht dieses Schicksals einen Moment in Ermattung die Waffe sinken ließ, sie vielleicht sogar, wie eine Nachricht will, auf die Kunde von Konrads Abfall in einem Augen- blicke der Verzweiflung gegen sich selbst gewandt hat. Zugleich verurteilte ihn die unglückliche Gestaltung der militärischen Lage zu völliger Untätigkeit; während eines vollen Jahres (1094) erfahren wir schlechterdings nichts von ihm. Seine Sache war im Nieder- gang; er vermochte nichts dagegen zu tun. Und während er so noch immer in einem Winkel des östlichen Oberitaliens fast isoliert von den Weltereignissen weilte, begann über den Süden und Westen Europas der Sturm der ersten Kreuzzug- begeisterung dahinzubrausen. Es wird stets schwer zu sondern bleiben, wie sich dabei religiöser Gefühlsüberschwang und politische Berechnung mischten, und beide von den Handelsinteressen der italienischen Seestädte getragen wurden. Urban hatte als Flüchtling bei den süditalischen Normannen gesehen, zu welchen Ergebnissen Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/73
Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/73>, abgerufen am 01.05.2024.