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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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I. Die Zeit der Salier.

Gregor folgte seinem Befreier nach dem Süden, und in Salerno
ist er, durch die Aufregungen und Entbehrungen der letzten Jahre
offenbar körperlich gebrochen, am 25. Mai 1085 gestorben. Seine
geistige Energie blieb bis zuletzt ungeschwächt, aber er endete im
deutlichen, niederdrückenden Gefühl des Unterliegens. Seine letzten
Worte versteht man in ihrer bitteren Schärfe erst ganz, wenn man
sie neben die zugrunde liegende Bibelstelle hält. Da heißt es von
dem erhofften Messias: "Du liebest Gerechtigkeit und hassest gott-
loses Wesen; darum hat dich Gott, dein Gott, gesalbet mit Freu-
denöl mehr denn deine Gesellen." So sagte Gregor mit starker
Selbstgerechtigkeit, der gar nicht der Gedanke auftauchte, ob nicht
etwa auch eigne Fehler die Niederlage verschuldet hätten: "Ich
habe die Gerechtigkeit geliebt und gottloses Wesen gehaßt", und
dann mit umso schneidenderem Gegensatze: "darum sterbe ich in
der Verbannung".

Gregor VII. hat dem Papsttum entschiedener als alle seine
Vorgänger, selbst Nikolaus I., die Richtung auf Weltherrschaft auf-
geprägt, er hat die Romanisierung der katholischen Kirche zwar
nicht eingeleitet, aber vollendet, d. h. die Lösung von der deutschen
Herrschaft und dem deutschen Einfluß, die Basierung hauptsäch-
lich auf die romanischen Länder und die Durchführung des dem
romanischen Geiste entsprechenden und aus ihm geborenen cluni-
azensischen Subordinationssystems in der ganzen Kirche mit dem
päpstlichen Absolutismus an der Spitze. Indem er diese von ihm
gewiß nicht erzeugten Ideen mit einem Nachdruck vertrat, daß sie
Jahrhunderte hindurch fortwirken mußten, hat er die weltgeschicht-
liche Entwicklung so entscheidend beeinflußt, daß der, welcher
sich über die von der Reformationszeit her in die Gegenwart hin-
einragenden Konfessionsgegensätze zu erheben vermag, ihm unbe-
denklich den Anspruch auf historische Größe zugestehen wird.

§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode
Heinrichs IV. (1085-1106).

Gregors Hinscheiden bedeutete einen tiefen Einschnitt in dem
großen Kampfe. Unter seinem Nachfolger, dem milden Abte
Desiderius von Montecassino, der sich, in Anlehnung an den letzten
kaiserfreundlichen Papst, Viktor III. nannte, schien ein Ausgleich
nicht unmöglich. Aber er beherrschte nicht die Lage, fühlte sich
mehr als Abt, denn als Papst, war kränklich und starb bereits 1087.
Mit der Wahl Urbans II. im folgenden Jahre begann die zweite
Phase des Kampfes. Wir haben nachzuholen, wie sich die Dinge
in Deutschland bis dahin gestaltet hatten.

I. Die Zeit der Salier.

Gregor folgte seinem Befreier nach dem Süden, und in Salerno
ist er, durch die Aufregungen und Entbehrungen der letzten Jahre
offenbar körperlich gebrochen, am 25. Mai 1085 gestorben. Seine
geistige Energie blieb bis zuletzt ungeschwächt, aber er endete im
deutlichen, niederdrückenden Gefühl des Unterliegens. Seine letzten
Worte versteht man in ihrer bitteren Schärfe erst ganz, wenn man
sie neben die zugrunde liegende Bibelstelle hält. Da heißt es von
dem erhofften Messias: „Du liebest Gerechtigkeit und hassest gott-
loses Wesen; darum hat dich Gott, dein Gott, gesalbet mit Freu-
denöl mehr denn deine Gesellen.“ So sagte Gregor mit starker
Selbstgerechtigkeit, der gar nicht der Gedanke auftauchte, ob nicht
etwa auch eigne Fehler die Niederlage verschuldet hätten: „Ich
habe die Gerechtigkeit geliebt und gottloses Wesen gehaßt“, und
dann mit umso schneidenderem Gegensatze: „darum sterbe ich in
der Verbannung“.

Gregor VII. hat dem Papsttum entschiedener als alle seine
Vorgänger, selbst Nikolaus I., die Richtung auf Weltherrschaft auf-
geprägt, er hat die Romanisierung der katholischen Kirche zwar
nicht eingeleitet, aber vollendet, d. h. die Lösung von der deutschen
Herrschaft und dem deutschen Einfluß, die Basierung hauptsäch-
lich auf die romanischen Länder und die Durchführung des dem
romanischen Geiste entsprechenden und aus ihm geborenen cluni-
azensischen Subordinationssystems in der ganzen Kirche mit dem
päpstlichen Absolutismus an der Spitze. Indem er diese von ihm
gewiß nicht erzeugten Ideen mit einem Nachdruck vertrat, daß sie
Jahrhunderte hindurch fortwirken mußten, hat er die weltgeschicht-
liche Entwicklung so entscheidend beeinflußt, daß der, welcher
sich über die von der Reformationszeit her in die Gegenwart hin-
einragenden Konfessionsgegensätze zu erheben vermag, ihm unbe-
denklich den Anspruch auf historische Größe zugestehen wird.

§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode
Heinrichs IV. (1085‒1106).

Gregors Hinscheiden bedeutete einen tiefen Einschnitt in dem
großen Kampfe. Unter seinem Nachfolger, dem milden Abte
Desiderius von Montecassino, der sich, in Anlehnung an den letzten
kaiserfreundlichen Papst, Viktor III. nannte, schien ein Ausgleich
nicht unmöglich. Aber er beherrschte nicht die Lage, fühlte sich
mehr als Abt, denn als Papst, war kränklich und starb bereits 1087.
Mit der Wahl Urbans II. im folgenden Jahre begann die zweite
Phase des Kampfes. Wir haben nachzuholen, wie sich die Dinge
in Deutschland bis dahin gestaltet hatten.

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[60/0068] I. Die Zeit der Salier. Gregor folgte seinem Befreier nach dem Süden, und in Salerno ist er, durch die Aufregungen und Entbehrungen der letzten Jahre offenbar körperlich gebrochen, am 25. Mai 1085 gestorben. Seine geistige Energie blieb bis zuletzt ungeschwächt, aber er endete im deutlichen, niederdrückenden Gefühl des Unterliegens. Seine letzten Worte versteht man in ihrer bitteren Schärfe erst ganz, wenn man sie neben die zugrunde liegende Bibelstelle hält. Da heißt es von dem erhofften Messias: „Du liebest Gerechtigkeit und hassest gott- loses Wesen; darum hat dich Gott, dein Gott, gesalbet mit Freu- denöl mehr denn deine Gesellen.“ So sagte Gregor mit starker Selbstgerechtigkeit, der gar nicht der Gedanke auftauchte, ob nicht etwa auch eigne Fehler die Niederlage verschuldet hätten: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und gottloses Wesen gehaßt“, und dann mit umso schneidenderem Gegensatze: „darum sterbe ich in der Verbannung“. Gregor VII. hat dem Papsttum entschiedener als alle seine Vorgänger, selbst Nikolaus I., die Richtung auf Weltherrschaft auf- geprägt, er hat die Romanisierung der katholischen Kirche zwar nicht eingeleitet, aber vollendet, d. h. die Lösung von der deutschen Herrschaft und dem deutschen Einfluß, die Basierung hauptsäch- lich auf die romanischen Länder und die Durchführung des dem romanischen Geiste entsprechenden und aus ihm geborenen cluni- azensischen Subordinationssystems in der ganzen Kirche mit dem päpstlichen Absolutismus an der Spitze. Indem er diese von ihm gewiß nicht erzeugten Ideen mit einem Nachdruck vertrat, daß sie Jahrhunderte hindurch fortwirken mußten, hat er die weltgeschicht- liche Entwicklung so entscheidend beeinflußt, daß der, welcher sich über die von der Reformationszeit her in die Gegenwart hin- einragenden Konfessionsgegensätze zu erheben vermag, ihm unbe- denklich den Anspruch auf historische Größe zugestehen wird. § 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085‒1106). Gregors Hinscheiden bedeutete einen tiefen Einschnitt in dem großen Kampfe. Unter seinem Nachfolger, dem milden Abte Desiderius von Montecassino, der sich, in Anlehnung an den letzten kaiserfreundlichen Papst, Viktor III. nannte, schien ein Ausgleich nicht unmöglich. Aber er beherrschte nicht die Lage, fühlte sich mehr als Abt, denn als Papst, war kränklich und starb bereits 1087. Mit der Wahl Urbans II. im folgenden Jahre begann die zweite Phase des Kampfes. Wir haben nachzuholen, wie sich die Dinge in Deutschland bis dahin gestaltet hatten.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/68>, abgerufen am 22.11.2024.