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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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I. Die Zeit der Salier.
Glieder zusammenschnürte, und er erst einmal Luft haben mußte,
um sich wieder regen zu können. Dafür war ihm schließlich kein
Preis zu hoch, selbst nicht die unerhört demütigende Anerkennung
eines päpstlichen Schiedsgerichtes in innerpolitischen Angelegenheiten
des deutschen Reiches. Er mochte hoffen, daß Gregors Reise doch
noch zu verhindern sei, er mochte einer Entscheidung des Papstes
gegenüber von vornherein stille Vorbehalte machen, -- jedenfalls ge-
wann er durch die Absolution die Freiheit des Handelns zurück,
und er hat sie in den nächsten Jahren benützt, um durch eine
meisterhafte Diplomatie die Kurie mit leeren Hoffnungen hinzu-
halten und die Vereinigung seiner Gegner auf deutschem Boden
dauernd zu hintertreiben. Indem ihm die Absolution die Möglich-
keit zu dieser Diplomatie bot, gewährte ihm Canossa einen nicht
zu leugnenden taktischen Vorteil.

Erhebt man indes den Blick von der momentanen politischen
Lage zu dem großen Entwicklungsgange des Verhältnisses von
Staat und Kirche und vergleicht die Rolle des deutschen Kaiser-
tums in Sutri mit dem Tage von Canossa, so liegt freilich die ab-
schüssige Bahn, auf der sich die Reichsgewalt während des letzten
Menschenalters bewegt hatte, klar genug vor Augen: damals noch der
Schiedsrichter Europas, jetzt sich beugend unter das päpstliche Schieds-
gericht, damals die Päpste durch den Machtspruch des Kaisers
abgesetzt, jetzt durch das Nachsuchen der Absolution das Bann-
recht des Papstes gegenüber einem deutschen Könige, dem Ab-
weichung vom Glauben gar nicht vorzuwerfen war, anerkannt!
Der Schritt Heinrichs mochte unter den verzweifelten Verhältnissen
klug sein, er mochte eine Wendung zum Besseren anbahnen, aber
er war doch das Siegel auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte,
die das Verhältnis von Kaisertum und Papsttum von Grund aus
gewandelt hatte. Das allgemeine Urteil begreift politische Nieder-
lagen erst, wenn sie in einem sinnfälligen Vorgang in die Erscheinung
treten, und übersieht die Reihe der Fehler, die zu ihnen hingeleitet
hat. In diesem Sinne, als das letzte Glied einer solchen Kette,
darf uns der Name Canossa auch fernerhin das Symbol der Kapi-
tulation staatlicher Macht vor kirchlichen Herrschaftsansprüchen
bleiben, das er durch Bismarck in der ganzen Welt geworden ist.

Gregors Vorgehen weckte bei der deutschen Opposition leb-
hafte Verstimmung; die Lösung vom Banne entzog ihr zugleich
Rechtsboden und Agitationsmittel. Aber man mußte jetzt auf der
betretenen Bahn fortschreiten, auch ohne den Papst. In dem alten
fränkischen Wahlort Forchheim erhob man noch im März des Jahres
-- nicht etwa den fähigen, aber gerade durch seine Bedeutung den
Fürsten unbequemen Otto von Nordheim, sondern den schwäbischen

I. Die Zeit der Salier.
Glieder zusammenschnürte, und er erst einmal Luft haben mußte,
um sich wieder regen zu können. Dafür war ihm schließlich kein
Preis zu hoch, selbst nicht die unerhört demütigende Anerkennung
eines päpstlichen Schiedsgerichtes in innerpolitischen Angelegenheiten
des deutschen Reiches. Er mochte hoffen, daß Gregors Reise doch
noch zu verhindern sei, er mochte einer Entscheidung des Papstes
gegenüber von vornherein stille Vorbehalte machen, — jedenfalls ge-
wann er durch die Absolution die Freiheit des Handelns zurück,
und er hat sie in den nächsten Jahren benützt, um durch eine
meisterhafte Diplomatie die Kurie mit leeren Hoffnungen hinzu-
halten und die Vereinigung seiner Gegner auf deutschem Boden
dauernd zu hintertreiben. Indem ihm die Absolution die Möglich-
keit zu dieser Diplomatie bot, gewährte ihm Canossa einen nicht
zu leugnenden taktischen Vorteil.

Erhebt man indes den Blick von der momentanen politischen
Lage zu dem großen Entwicklungsgange des Verhältnisses von
Staat und Kirche und vergleicht die Rolle des deutschen Kaiser-
tums in Sutri mit dem Tage von Canossa, so liegt freilich die ab-
schüssige Bahn, auf der sich die Reichsgewalt während des letzten
Menschenalters bewegt hatte, klar genug vor Augen: damals noch der
Schiedsrichter Europas, jetzt sich beugend unter das päpstliche Schieds-
gericht, damals die Päpste durch den Machtspruch des Kaisers
abgesetzt, jetzt durch das Nachsuchen der Absolution das Bann-
recht des Papstes gegenüber einem deutschen Könige, dem Ab-
weichung vom Glauben gar nicht vorzuwerfen war, anerkannt!
Der Schritt Heinrichs mochte unter den verzweifelten Verhältnissen
klug sein, er mochte eine Wendung zum Besseren anbahnen, aber
er war doch das Siegel auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte,
die das Verhältnis von Kaisertum und Papsttum von Grund aus
gewandelt hatte. Das allgemeine Urteil begreift politische Nieder-
lagen erst, wenn sie in einem sinnfälligen Vorgang in die Erscheinung
treten, und übersieht die Reihe der Fehler, die zu ihnen hingeleitet
hat. In diesem Sinne, als das letzte Glied einer solchen Kette,
darf uns der Name Canossa auch fernerhin das Symbol der Kapi-
tulation staatlicher Macht vor kirchlichen Herrschaftsansprüchen
bleiben, das er durch Bismarck in der ganzen Welt geworden ist.

Gregors Vorgehen weckte bei der deutschen Opposition leb-
hafte Verstimmung; die Lösung vom Banne entzog ihr zugleich
Rechtsboden und Agitationsmittel. Aber man mußte jetzt auf der
betretenen Bahn fortschreiten, auch ohne den Papst. In dem alten
fränkischen Wahlort Forchheim erhob man noch im März des Jahres
— nicht etwa den fähigen, aber gerade durch seine Bedeutung den
Fürsten unbequemen Otto von Nordheim, sondern den schwäbischen

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[54/0062] I. Die Zeit der Salier. Glieder zusammenschnürte, und er erst einmal Luft haben mußte, um sich wieder regen zu können. Dafür war ihm schließlich kein Preis zu hoch, selbst nicht die unerhört demütigende Anerkennung eines päpstlichen Schiedsgerichtes in innerpolitischen Angelegenheiten des deutschen Reiches. Er mochte hoffen, daß Gregors Reise doch noch zu verhindern sei, er mochte einer Entscheidung des Papstes gegenüber von vornherein stille Vorbehalte machen, — jedenfalls ge- wann er durch die Absolution die Freiheit des Handelns zurück, und er hat sie in den nächsten Jahren benützt, um durch eine meisterhafte Diplomatie die Kurie mit leeren Hoffnungen hinzu- halten und die Vereinigung seiner Gegner auf deutschem Boden dauernd zu hintertreiben. Indem ihm die Absolution die Möglich- keit zu dieser Diplomatie bot, gewährte ihm Canossa einen nicht zu leugnenden taktischen Vorteil. Erhebt man indes den Blick von der momentanen politischen Lage zu dem großen Entwicklungsgange des Verhältnisses von Staat und Kirche und vergleicht die Rolle des deutschen Kaiser- tums in Sutri mit dem Tage von Canossa, so liegt freilich die ab- schüssige Bahn, auf der sich die Reichsgewalt während des letzten Menschenalters bewegt hatte, klar genug vor Augen: damals noch der Schiedsrichter Europas, jetzt sich beugend unter das päpstliche Schieds- gericht, damals die Päpste durch den Machtspruch des Kaisers abgesetzt, jetzt durch das Nachsuchen der Absolution das Bann- recht des Papstes gegenüber einem deutschen Könige, dem Ab- weichung vom Glauben gar nicht vorzuwerfen war, anerkannt! Der Schritt Heinrichs mochte unter den verzweifelten Verhältnissen klug sein, er mochte eine Wendung zum Besseren anbahnen, aber er war doch das Siegel auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die das Verhältnis von Kaisertum und Papsttum von Grund aus gewandelt hatte. Das allgemeine Urteil begreift politische Nieder- lagen erst, wenn sie in einem sinnfälligen Vorgang in die Erscheinung treten, und übersieht die Reihe der Fehler, die zu ihnen hingeleitet hat. In diesem Sinne, als das letzte Glied einer solchen Kette, darf uns der Name Canossa auch fernerhin das Symbol der Kapi- tulation staatlicher Macht vor kirchlichen Herrschaftsansprüchen bleiben, das er durch Bismarck in der ganzen Welt geworden ist. Gregors Vorgehen weckte bei der deutschen Opposition leb- hafte Verstimmung; die Lösung vom Banne entzog ihr zugleich Rechtsboden und Agitationsmittel. Aber man mußte jetzt auf der betretenen Bahn fortschreiten, auch ohne den Papst. In dem alten fränkischen Wahlort Forchheim erhob man noch im März des Jahres — nicht etwa den fähigen, aber gerade durch seine Bedeutung den Fürsten unbequemen Otto von Nordheim, sondern den schwäbischen

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/62>, abgerufen am 23.11.2024.