Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 18. Entscheidungskampf zwischen Kaisertum u. Papsttum (1239-1250).

Nur wenige Monate nach seinem bedeutendsten Staatsmann
verlor Friedrich seinen zuverlässigsten und fähigsten Feldherrn,
König Enzio.1) Einer deutschen Liebschaft des Kaisers entsprossen,
blondhaarig, schön und jugendkräftig, war er von allen seinen
Söhnen der begabteste, in der Vereinigung von schneidiger Willens-
kraft und reichem geistigen Interesse der dem Vater ähnlichste.
Oftmals schon allzu tollkühn im Kampfe, geriet er in einem unbe-
deutenden Gefecht bei Fossalta (unweit Modena, Mai 1249) in die
Hände der Bolognesen, die ihn zwar anständig behandelten, aber
trotz aller Drohungen und Versprechungen des Kaisers nicht heraus-
gaben. Seiner wartete das furchtbare Los, in jahrzehntelanger Ge-
fangenschaft zur Untätigkeit verdammt, den Untergang seines Ge-
schlechts zu betrauern (+ 1272).2)

Die Wirkung aller dieser Schicksalsschläge auf das Gemüt des
Kaisers ist gewiß ebenso wenig zu unterschätzen, wie ihr moralischer
Eindruck auf die Parteien und das Ausland; aber es waren doch
am Ende nur Unglücksfälle, die die politisch-militärische Gesamt-
lage wohl hier und da beeinflussen, aber nicht dauernd bestimmen
konnten. Nichts aber wäre verkehrter, als hier von einem ständigen
Rückgang, wohl gar völligen Unterliegen der kaiserlichen Sache zu
reden oder anzunehmen, Friedrich selbst habe, geistig und körper-
lich gebrochen, an einem Erfolge verzweifelt. Dürfte man nach
der Lage der Dinge in seinem letzten Lebensjahre urteilen, so stand
er eher vor dem Siege, als vor der Niederlage.

Das sizilische Königreich bildete noch immer die feste, unberührte
Grundlage seiner Macht. Eben hatte es von neuem reiche Mittel zu um-
fassenden Rüstungen gewährt. Ein Angriff, den der Papst durch seinen Kar-
dinallegaten Peter Capoccio von Mittelitalien aus versucht hatte (Sommer 1249)
war mühelos abgeschlagen, und auch die schon errungenen Erfolge der Päpst-
lichen in der Mark Ancona größtenteils rückgängig gemacht (Sommer 1250).
In Tuszien wurde freilich die Behauptung der kaiserlichen Herrschaft immer
fraglicher, denn in Florenz erhob sich das durch Steuern und Kriegsleistungen
erbitterte Volk und errichtete ein unabhängiges, parteiloses Regiment (Sept.
1250); aber noch konnten hier neue Erfolge alles zum Guten wenden. Der
Abfall der Romagna war seit der Wiedergewinnung von Ravenna (Okt. 1249)

man nur den irreführenden Bericht des Matthäus Paris. als phantasievolle, durch
ihn selbst oder das Gerücht geschaffene Kombination erkennt und mit Ficker
den Erlaß Reg. Imp. V, 3768 gewiß richtig auf den Arzt, statt auf Peter be-
zieht. -- Trifft meine Auffassung im Wesentlichen die Wahrheit, die sich im
Einzelnen natürlich nicht mehr einwandfrei zurückgewinnen läßt, so sind freilich
sämtliche neueren Darstellungen zu ändern.
1) Vgl. über ihn die nicht eben bedeutenden Schriften von Großmann
(Gött. Diss. 1883) und Blasius (1884).
2) Über diese Gefangenschaft und die mancherlei Legenden, die sich
darum gesponnen haben, vgl. Frati, La prigionia del Re Enzio in Bologna
(1902).
§ 18. Entscheidungskampf zwischen Kaisertum u. Papsttum (1239‒1250).

Nur wenige Monate nach seinem bedeutendsten Staatsmann
verlor Friedrich seinen zuverlässigsten und fähigsten Feldherrn,
König Enzio.1) Einer deutschen Liebschaft des Kaisers entsprossen,
blondhaarig, schön und jugendkräftig, war er von allen seinen
Söhnen der begabteste, in der Vereinigung von schneidiger Willens-
kraft und reichem geistigen Interesse der dem Vater ähnlichste.
Oftmals schon allzu tollkühn im Kampfe, geriet er in einem unbe-
deutenden Gefecht bei Fossalta (unweit Modena, Mai 1249) in die
Hände der Bolognesen, die ihn zwar anständig behandelten, aber
trotz aller Drohungen und Versprechungen des Kaisers nicht heraus-
gaben. Seiner wartete das furchtbare Los, in jahrzehntelanger Ge-
fangenschaft zur Untätigkeit verdammt, den Untergang seines Ge-
schlechts zu betrauern († 1272).2)

Die Wirkung aller dieser Schicksalsschläge auf das Gemüt des
Kaisers ist gewiß ebenso wenig zu unterschätzen, wie ihr moralischer
Eindruck auf die Parteien und das Ausland; aber es waren doch
am Ende nur Unglücksfälle, die die politisch-militärische Gesamt-
lage wohl hier und da beeinflussen, aber nicht dauernd bestimmen
konnten. Nichts aber wäre verkehrter, als hier von einem ständigen
Rückgang, wohl gar völligen Unterliegen der kaiserlichen Sache zu
reden oder anzunehmen, Friedrich selbst habe, geistig und körper-
lich gebrochen, an einem Erfolge verzweifelt. Dürfte man nach
der Lage der Dinge in seinem letzten Lebensjahre urteilen, so stand
er eher vor dem Siege, als vor der Niederlage.

Das sizilische Königreich bildete noch immer die feste, unberührte
Grundlage seiner Macht. Eben hatte es von neuem reiche Mittel zu um-
fassenden Rüstungen gewährt. Ein Angriff, den der Papst durch seinen Kar-
dinallegaten Peter Capoccio von Mittelitalien aus versucht hatte (Sommer 1249)
war mühelos abgeschlagen, und auch die schon errungenen Erfolge der Päpst-
lichen in der Mark Ancona größtenteils rückgängig gemacht (Sommer 1250).
In Tuszien wurde freilich die Behauptung der kaiserlichen Herrschaft immer
fraglicher, denn in Florenz erhob sich das durch Steuern und Kriegsleistungen
erbitterte Volk und errichtete ein unabhängiges, parteiloses Regiment (Sept.
1250); aber noch konnten hier neue Erfolge alles zum Guten wenden. Der
Abfall der Romagna war seit der Wiedergewinnung von Ravenna (Okt. 1249)

man nur den irreführenden Bericht des Matthäus Paris. als phantasievolle, durch
ihn selbst oder das Gerücht geschaffene Kombination erkennt und mit Ficker
den Erlaß Reg. Imp. V, 3768 gewiß richtig auf den Arzt, statt auf Peter be-
zieht. — Trifft meine Auffassung im Wesentlichen die Wahrheit, die sich im
Einzelnen natürlich nicht mehr einwandfrei zurückgewinnen läßt, so sind freilich
sämtliche neueren Darstellungen zu ändern.
1) Vgl. über ihn die nicht eben bedeutenden Schriften von Großmann
(Gött. Diss. 1883) und Blasius (1884).
2) Über diese Gefangenschaft und die mancherlei Legenden, die sich
darum gesponnen haben, vgl. Frati, La prigionia del Re Enzio in Bologna
(1902).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0263" n="255"/>
          <fw place="top" type="header">§ 18. Entscheidungskampf zwischen Kaisertum u. Papsttum (1239&#x2012;1250).</fw><lb/>
          <p>Nur wenige Monate nach seinem bedeutendsten Staatsmann<lb/>
verlor Friedrich seinen zuverlässigsten und fähigsten Feldherrn,<lb/>
König Enzio.<note place="foot" n="1)">Vgl. über ihn die nicht eben bedeutenden Schriften von Großmann<lb/>
(Gött. Diss. 1883) und Blasius (1884).</note> Einer deutschen Liebschaft des Kaisers entsprossen,<lb/>
blondhaarig, schön und jugendkräftig, war er von allen seinen<lb/>
Söhnen der begabteste, in der Vereinigung von schneidiger Willens-<lb/>
kraft und reichem geistigen Interesse der dem Vater ähnlichste.<lb/>
Oftmals schon allzu tollkühn im Kampfe, geriet er in einem unbe-<lb/>
deutenden Gefecht bei Fossalta (unweit Modena, Mai 1249) in die<lb/>
Hände der Bolognesen, die ihn zwar anständig behandelten, aber<lb/>
trotz aller Drohungen und Versprechungen des Kaisers nicht heraus-<lb/>
gaben. Seiner wartete das furchtbare Los, in jahrzehntelanger Ge-<lb/>
fangenschaft zur Untätigkeit verdammt, den Untergang seines Ge-<lb/>
schlechts zu betrauern (&#x2020; 1272).<note place="foot" n="2)">Über diese Gefangenschaft und die mancherlei Legenden, die sich<lb/>
darum gesponnen haben, vgl. Frati, La prigionia del Re Enzio in Bologna<lb/>
(1902).</note></p><lb/>
          <p>Die Wirkung aller dieser Schicksalsschläge auf das Gemüt des<lb/>
Kaisers ist gewiß ebenso wenig zu unterschätzen, wie ihr moralischer<lb/>
Eindruck auf die Parteien und das Ausland; aber es waren doch<lb/>
am Ende nur Unglücksfälle, die die politisch-militärische Gesamt-<lb/>
lage wohl hier und da beeinflussen, aber nicht dauernd bestimmen<lb/>
konnten. Nichts aber wäre verkehrter, als hier von einem ständigen<lb/>
Rückgang, wohl gar völligen Unterliegen der kaiserlichen Sache zu<lb/>
reden oder anzunehmen, Friedrich selbst habe, geistig und körper-<lb/>
lich gebrochen, an einem Erfolge verzweifelt. Dürfte man nach<lb/>
der Lage der Dinge in seinem letzten Lebensjahre urteilen, so stand<lb/>
er eher vor dem Siege, als vor der Niederlage.</p><lb/>
          <p>Das sizilische Königreich bildete noch immer die feste, unberührte<lb/>
Grundlage seiner Macht. Eben hatte es von neuem reiche Mittel zu um-<lb/>
fassenden Rüstungen gewährt. Ein Angriff, den der Papst durch seinen Kar-<lb/>
dinallegaten Peter Capoccio von Mittelitalien aus versucht hatte (Sommer 1249)<lb/>
war mühelos abgeschlagen, und auch die schon errungenen Erfolge der Päpst-<lb/>
lichen in der Mark Ancona größtenteils rückgängig gemacht (Sommer 1250).<lb/>
In Tuszien wurde freilich die Behauptung der kaiserlichen Herrschaft immer<lb/>
fraglicher, denn in Florenz erhob sich das durch Steuern und Kriegsleistungen<lb/>
erbitterte Volk und errichtete ein unabhängiges, parteiloses Regiment (Sept.<lb/>
1250); aber noch konnten hier neue Erfolge alles zum Guten wenden. Der<lb/>
Abfall der Romagna war seit der Wiedergewinnung von Ravenna (Okt. 1249)<lb/><note xml:id="b254" prev="#a254" place="foot" n="1)">man nur den irreführenden Bericht des Matthäus Paris. als phantasievolle, durch<lb/>
ihn selbst oder das Gerücht geschaffene Kombination erkennt und mit Ficker<lb/>
den Erlaß Reg. Imp. V, 3768 gewiß richtig auf den Arzt, statt auf Peter be-<lb/>
zieht. &#x2014; Trifft meine Auffassung im Wesentlichen die Wahrheit, die sich im<lb/>
Einzelnen natürlich nicht mehr einwandfrei zurückgewinnen läßt, so sind freilich<lb/>
sämtliche neueren Darstellungen zu ändern.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0263] § 18. Entscheidungskampf zwischen Kaisertum u. Papsttum (1239‒1250). Nur wenige Monate nach seinem bedeutendsten Staatsmann verlor Friedrich seinen zuverlässigsten und fähigsten Feldherrn, König Enzio. 1) Einer deutschen Liebschaft des Kaisers entsprossen, blondhaarig, schön und jugendkräftig, war er von allen seinen Söhnen der begabteste, in der Vereinigung von schneidiger Willens- kraft und reichem geistigen Interesse der dem Vater ähnlichste. Oftmals schon allzu tollkühn im Kampfe, geriet er in einem unbe- deutenden Gefecht bei Fossalta (unweit Modena, Mai 1249) in die Hände der Bolognesen, die ihn zwar anständig behandelten, aber trotz aller Drohungen und Versprechungen des Kaisers nicht heraus- gaben. Seiner wartete das furchtbare Los, in jahrzehntelanger Ge- fangenschaft zur Untätigkeit verdammt, den Untergang seines Ge- schlechts zu betrauern († 1272). 2) Die Wirkung aller dieser Schicksalsschläge auf das Gemüt des Kaisers ist gewiß ebenso wenig zu unterschätzen, wie ihr moralischer Eindruck auf die Parteien und das Ausland; aber es waren doch am Ende nur Unglücksfälle, die die politisch-militärische Gesamt- lage wohl hier und da beeinflussen, aber nicht dauernd bestimmen konnten. Nichts aber wäre verkehrter, als hier von einem ständigen Rückgang, wohl gar völligen Unterliegen der kaiserlichen Sache zu reden oder anzunehmen, Friedrich selbst habe, geistig und körper- lich gebrochen, an einem Erfolge verzweifelt. Dürfte man nach der Lage der Dinge in seinem letzten Lebensjahre urteilen, so stand er eher vor dem Siege, als vor der Niederlage. Das sizilische Königreich bildete noch immer die feste, unberührte Grundlage seiner Macht. Eben hatte es von neuem reiche Mittel zu um- fassenden Rüstungen gewährt. Ein Angriff, den der Papst durch seinen Kar- dinallegaten Peter Capoccio von Mittelitalien aus versucht hatte (Sommer 1249) war mühelos abgeschlagen, und auch die schon errungenen Erfolge der Päpst- lichen in der Mark Ancona größtenteils rückgängig gemacht (Sommer 1250). In Tuszien wurde freilich die Behauptung der kaiserlichen Herrschaft immer fraglicher, denn in Florenz erhob sich das durch Steuern und Kriegsleistungen erbitterte Volk und errichtete ein unabhängiges, parteiloses Regiment (Sept. 1250); aber noch konnten hier neue Erfolge alles zum Guten wenden. Der Abfall der Romagna war seit der Wiedergewinnung von Ravenna (Okt. 1249) 1) 1) Vgl. über ihn die nicht eben bedeutenden Schriften von Großmann (Gött. Diss. 1883) und Blasius (1884). 2) Über diese Gefangenschaft und die mancherlei Legenden, die sich darum gesponnen haben, vgl. Frati, La prigionia del Re Enzio in Bologna (1902). 1) man nur den irreführenden Bericht des Matthäus Paris. als phantasievolle, durch ihn selbst oder das Gerücht geschaffene Kombination erkennt und mit Ficker den Erlaß Reg. Imp. V, 3768 gewiß richtig auf den Arzt, statt auf Peter be- zieht. — Trifft meine Auffassung im Wesentlichen die Wahrheit, die sich im Einzelnen natürlich nicht mehr einwandfrei zurückgewinnen läßt, so sind freilich sämtliche neueren Darstellungen zu ändern.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/263
Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/263>, abgerufen am 05.05.2024.