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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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II. Die Zeit der Staufer.
durch den währenddessen vom Kardinal Rainer, dem Haupte der
Kriegspartei an der Kurie, angezettelten Abfall der kaiserlichen Stadt
Viterbo (Sept. 1243) auf das tiefste verletzt fühlen mußte1); er
hoffte noch immer auf das Übergewicht der Friedensfreunde unter
den Kardinälen. Daß aber am Gründonnerstag 1244 nach schwierigen
Verhandlungen und demütigenden Zugeständnissen des Kaisers von
diesem wirklich ein Friede beschworen und der Welt als frohe
Osterbotschaft verkündet werden konnte, war doch nur dadurch er-
möglicht, daß der heikelste Punkt, über den keine volle Einigung
erzielt war, die Regelung der lombardischen Verhältnisse, ausgemerzt
und weiteren Ausführungsverhandlungen vorbehalten war. Als diese
dann kurz darauf an dem grundsätzlichen Gegensatze scheiterten,
klagte Innozenz den Kaiser öffentlich des Eidbruches an2) und be-
gann insgeheim seine Flucht vorzubereiten. Es ist schwer zu ver-
stehen, daß Friedrich sich trotzdem noch eine Zeitlang mit leeren
Hoffnungen hinhalten ließ und so dem Papste das Entweichen auf
genuesischen Schiffen ermöglichte (Ende Juni 1244). Als Innozenz
den Boden seiner Heimatstadt betrat, jauchzte er mit dem Psalmisten:
"Unsere Seele ist entronnen, wie ein Vogel dem Strick des Voglers;
der Strick ist zerrissen, und wir sind los." Aber für sicher hielt er
sich erst, als er das nominell zwar noch zum Reiche gehörige, tat-
sächlich aber damals schon unabhängige Lyon erreichte. Dorthin,
wo eine Behinderung nicht, wie wenige Jahre vorher in Rom, zu
befürchten war, berief er auf den 24. Juni 1245 ein allgemeines
Konzil, das über den Kaiser das von Gott selbst eingegebene Ur-
teil fällen sollte.

Die Vernichtungsabsicht des Papstes schien offenkundig zu werden.
Gleichwohl ist es noch einmal zu einer ernstlichen Schwankung gekommen,
die allein den übertriebenen Optimismus des Kaisers bis in die Tage des
Konzils hinein verständlich macht. Die Hiobspost vom Falle Jerusalems
(1244) und den weiteren Bedrängnissen der lateinischen Christen im Osten
war dafür von entscheidender Einwirkung. Wie Friedrich sie aufgriff, um
einen dreijährigen Kreuzzug als Friedenspreis in Aussicht zu stellen, so mußte
Innozenz auch dem Drucke von anderen Seiten Rechnung tragen. Der
Patriarch Albert von Antiochia und der Deutschordensmeister Heinrich
von Hohenlohe waren diesmal die Unterhändler des Kaisers, der der Kurie
für das Vergangene die weitestgehende Genugtuung versprach, für die Ein-

1) Für das einzelne vgl. Winkelmann in Hist. Aufsätze dem Andenken
an G. Waitz gewidmet (1886).
2) Da die rechtlose Einmischung Gregors IX. in die lombardischen Ver-
hältnisse wohlweislich 1239 nicht zur Motivierung des Bannes verwertet war,
konnte auch jetzt die Verweigerung der Absolution nicht mit der rein poli-
tischen Meinungsverschiedenheit über die lombardische Frage begründet
werden. Daher verschleierte Innozenz den Tatbestand durch den Vorwurf
des Eidbruchs. Vgl. Fickers Ausführungen in Reg. Imp. V.

II. Die Zeit der Staufer.
durch den währenddessen vom Kardinal Rainer, dem Haupte der
Kriegspartei an der Kurie, angezettelten Abfall der kaiserlichen Stadt
Viterbo (Sept. 1243) auf das tiefste verletzt fühlen mußte1); er
hoffte noch immer auf das Übergewicht der Friedensfreunde unter
den Kardinälen. Daß aber am Gründonnerstag 1244 nach schwierigen
Verhandlungen und demütigenden Zugeständnissen des Kaisers von
diesem wirklich ein Friede beschworen und der Welt als frohe
Osterbotschaft verkündet werden konnte, war doch nur dadurch er-
möglicht, daß der heikelste Punkt, über den keine volle Einigung
erzielt war, die Regelung der lombardischen Verhältnisse, ausgemerzt
und weiteren Ausführungsverhandlungen vorbehalten war. Als diese
dann kurz darauf an dem grundsätzlichen Gegensatze scheiterten,
klagte Innozenz den Kaiser öffentlich des Eidbruches an2) und be-
gann insgeheim seine Flucht vorzubereiten. Es ist schwer zu ver-
stehen, daß Friedrich sich trotzdem noch eine Zeitlang mit leeren
Hoffnungen hinhalten ließ und so dem Papste das Entweichen auf
genuesischen Schiffen ermöglichte (Ende Juni 1244). Als Innozenz
den Boden seiner Heimatstadt betrat, jauchzte er mit dem Psalmisten:
„Unsere Seele ist entronnen, wie ein Vogel dem Strick des Voglers;
der Strick ist zerrissen, und wir sind los.“ Aber für sicher hielt er
sich erst, als er das nominell zwar noch zum Reiche gehörige, tat-
sächlich aber damals schon unabhängige Lyon erreichte. Dorthin,
wo eine Behinderung nicht, wie wenige Jahre vorher in Rom, zu
befürchten war, berief er auf den 24. Juni 1245 ein allgemeines
Konzil, das über den Kaiser das von Gott selbst eingegebene Ur-
teil fällen sollte.

Die Vernichtungsabsicht des Papstes schien offenkundig zu werden.
Gleichwohl ist es noch einmal zu einer ernstlichen Schwankung gekommen,
die allein den übertriebenen Optimismus des Kaisers bis in die Tage des
Konzils hinein verständlich macht. Die Hiobspost vom Falle Jerusalems
(1244) und den weiteren Bedrängnissen der lateinischen Christen im Osten
war dafür von entscheidender Einwirkung. Wie Friedrich sie aufgriff, um
einen dreijährigen Kreuzzug als Friedenspreis in Aussicht zu stellen, so mußte
Innozenz auch dem Drucke von anderen Seiten Rechnung tragen. Der
Patriarch Albert von Antiochia und der Deutschordensmeister Heinrich
von Hohenlohe waren diesmal die Unterhändler des Kaisers, der der Kurie
für das Vergangene die weitestgehende Genugtuung versprach, für die Ein-

1) Für das einzelne vgl. Winkelmann in Hist. Aufsätze dem Andenken
an G. Waitz gewidmet (1886).
2) Da die rechtlose Einmischung Gregors IX. in die lombardischen Ver-
hältnisse wohlweislich 1239 nicht zur Motivierung des Bannes verwertet war,
konnte auch jetzt die Verweigerung der Absolution nicht mit der rein poli-
tischen Meinungsverschiedenheit über die lombardische Frage begründet
werden. Daher verschleierte Innozenz den Tatbestand durch den Vorwurf
des Eidbruchs. Vgl. Fickers Ausführungen in Reg. Imp. V.
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[246/0254] II. Die Zeit der Staufer. durch den währenddessen vom Kardinal Rainer, dem Haupte der Kriegspartei an der Kurie, angezettelten Abfall der kaiserlichen Stadt Viterbo (Sept. 1243) auf das tiefste verletzt fühlen mußte 1); er hoffte noch immer auf das Übergewicht der Friedensfreunde unter den Kardinälen. Daß aber am Gründonnerstag 1244 nach schwierigen Verhandlungen und demütigenden Zugeständnissen des Kaisers von diesem wirklich ein Friede beschworen und der Welt als frohe Osterbotschaft verkündet werden konnte, war doch nur dadurch er- möglicht, daß der heikelste Punkt, über den keine volle Einigung erzielt war, die Regelung der lombardischen Verhältnisse, ausgemerzt und weiteren Ausführungsverhandlungen vorbehalten war. Als diese dann kurz darauf an dem grundsätzlichen Gegensatze scheiterten, klagte Innozenz den Kaiser öffentlich des Eidbruches an 2) und be- gann insgeheim seine Flucht vorzubereiten. Es ist schwer zu ver- stehen, daß Friedrich sich trotzdem noch eine Zeitlang mit leeren Hoffnungen hinhalten ließ und so dem Papste das Entweichen auf genuesischen Schiffen ermöglichte (Ende Juni 1244). Als Innozenz den Boden seiner Heimatstadt betrat, jauchzte er mit dem Psalmisten: „Unsere Seele ist entronnen, wie ein Vogel dem Strick des Voglers; der Strick ist zerrissen, und wir sind los.“ Aber für sicher hielt er sich erst, als er das nominell zwar noch zum Reiche gehörige, tat- sächlich aber damals schon unabhängige Lyon erreichte. Dorthin, wo eine Behinderung nicht, wie wenige Jahre vorher in Rom, zu befürchten war, berief er auf den 24. Juni 1245 ein allgemeines Konzil, das über den Kaiser das von Gott selbst eingegebene Ur- teil fällen sollte. Die Vernichtungsabsicht des Papstes schien offenkundig zu werden. Gleichwohl ist es noch einmal zu einer ernstlichen Schwankung gekommen, die allein den übertriebenen Optimismus des Kaisers bis in die Tage des Konzils hinein verständlich macht. Die Hiobspost vom Falle Jerusalems (1244) und den weiteren Bedrängnissen der lateinischen Christen im Osten war dafür von entscheidender Einwirkung. Wie Friedrich sie aufgriff, um einen dreijährigen Kreuzzug als Friedenspreis in Aussicht zu stellen, so mußte Innozenz auch dem Drucke von anderen Seiten Rechnung tragen. Der Patriarch Albert von Antiochia und der Deutschordensmeister Heinrich von Hohenlohe waren diesmal die Unterhändler des Kaisers, der der Kurie für das Vergangene die weitestgehende Genugtuung versprach, für die Ein- 1) Für das einzelne vgl. Winkelmann in Hist. Aufsätze dem Andenken an G. Waitz gewidmet (1886). 2) Da die rechtlose Einmischung Gregors IX. in die lombardischen Ver- hältnisse wohlweislich 1239 nicht zur Motivierung des Bannes verwertet war, konnte auch jetzt die Verweigerung der Absolution nicht mit der rein poli- tischen Meinungsverschiedenheit über die lombardische Frage begründet werden. Daher verschleierte Innozenz den Tatbestand durch den Vorwurf des Eidbruchs. Vgl. Fickers Ausführungen in Reg. Imp. V.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/254>, abgerufen am 25.11.2024.