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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 17. Friedrich II. auf der Höhe seiner Macht (1230-1239).
medanische Überlieferungen wirkten, unterstützt durch die Lehren
des römischen Rechts, mit angeborenem Genie und energischer
Schulung zusammen, um ihn zum wahrhaften Selbstherrscher zu
machen, der alle wichtigen Entscheidungen von sich aus traf. Die
eigentümliche Stärke seiner politischen Begabung lag unzweifelhaft
auf dem Felde der Organisation und Verwaltung, ähnlich wie bei
seinem Großvater Roger, dessen Vorbilde er so viel verdankte, ohne
indes bei der bloßen Nachahmung stehen zu bleiben. In der
großen Politik durch seine Stellung von vornherein an eine hoff-
nungslose Sache geknüpft und durch die staufische Überlieferung
vielfach festgelegt, hat er doch auch da Festigkeit der Ziele mit
Beweglichkeit und Unerschöpflichkeit der Mittel verbunden. Dem
Diplomaten schadete öfters die impulsive Art, die die Karten
zu früh aufdeckte, seine scharfe Zunge, die den beißenden Witz
nicht unterdrückte, Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, die ihm den
Blick verdunkelten und unnötige Mißstimmung erzeugten, -- im
ganzen ist er wohl der kurialen Diplomatie, namentlich unter den
beiden Innozenzen, nicht gewachsen gewesen, -- aber bis zu einem
gewissen Grade entschädigten dann wieder scharfsinnige Berechnung,
überraschender Wechsel und phantasievolle Kombinationsgabe. Der
kriegerische Beruf lag Friedrich an sich ferner, aber er hat sich
ihm nie versagt, und wenn er auch schwerlich ein großer Feldherr
genannt werden kann, so kamen ihm auch da Organisationstalent,
technische Kenntnisse im Festungsbau und Belagerungswesen, Ent-
schlußfähigkeit und Unermüdlichkeit zu statten, und einen über-
legenen Gegner lernte er auf diesem Gebiete nicht kennen.

Der Reichtum von Friedrichs Natur aber fand in diesen durch
seine Stellung bedingten Betätigungen nicht entfernt Genüge. Man
wird seiner Bedeutung nicht gerecht, wenn man sich nur auf sie
beschränkt. Die Aufnahmefähigkeit und Verarbeitungskraft seines
Geistes darüber hinaus waren erstaunlich, und es war doch nicht allein
diese Zugänglichkeit für alle kulturellen Reizungen, sondern fast
noch mehr die Voraussetzungslosigkeit, das Eindringen in die Ge-
heimnisse der Natur, die Vernünftigkeit und Zweckmäßigkeit seines
ganzen Denkens und Tuns, die auf die Mitwelt befreiend und
befruchtend wirkten und in die Zukunft wiesen.1)

1) Das Schlagwort von dem "ersten modernen Menschen" ist besser zu
meiden, weil gelegentlich übertreibende Unmöglichkeiten darunter begriffen
werden, und jede derartige historische Aufstellung nur bedingt zu verstehen
ist. Die fortschreitende Erkenntnis sizilisch-normannischer Zustände hat das
Urteil über F. vielfach abgewandelt, und man könnte natürlich auch Roger II.
den "ersten modernen Menschen" nennen. Aber dieser hat -- abgesehen von
immerhin geringerer Vielseitigkeit -- in seiner sizilischen Sonderexistenz doch

§ 17. Friedrich II. auf der Höhe seiner Macht (1230‒1239).
medanische Überlieferungen wirkten, unterstützt durch die Lehren
des römischen Rechts, mit angeborenem Genie und energischer
Schulung zusammen, um ihn zum wahrhaften Selbstherrscher zu
machen, der alle wichtigen Entscheidungen von sich aus traf. Die
eigentümliche Stärke seiner politischen Begabung lag unzweifelhaft
auf dem Felde der Organisation und Verwaltung, ähnlich wie bei
seinem Großvater Roger, dessen Vorbilde er so viel verdankte, ohne
indes bei der bloßen Nachahmung stehen zu bleiben. In der
großen Politik durch seine Stellung von vornherein an eine hoff-
nungslose Sache geknüpft und durch die staufische Überlieferung
vielfach festgelegt, hat er doch auch da Festigkeit der Ziele mit
Beweglichkeit und Unerschöpflichkeit der Mittel verbunden. Dem
Diplomaten schadete öfters die impulsive Art, die die Karten
zu früh aufdeckte, seine scharfe Zunge, die den beißenden Witz
nicht unterdrückte, Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, die ihm den
Blick verdunkelten und unnötige Mißstimmung erzeugten, — im
ganzen ist er wohl der kurialen Diplomatie, namentlich unter den
beiden Innozenzen, nicht gewachsen gewesen, — aber bis zu einem
gewissen Grade entschädigten dann wieder scharfsinnige Berechnung,
überraschender Wechsel und phantasievolle Kombinationsgabe. Der
kriegerische Beruf lag Friedrich an sich ferner, aber er hat sich
ihm nie versagt, und wenn er auch schwerlich ein großer Feldherr
genannt werden kann, so kamen ihm auch da Organisationstalent,
technische Kenntnisse im Festungsbau und Belagerungswesen, Ent-
schlußfähigkeit und Unermüdlichkeit zu statten, und einen über-
legenen Gegner lernte er auf diesem Gebiete nicht kennen.

Der Reichtum von Friedrichs Natur aber fand in diesen durch
seine Stellung bedingten Betätigungen nicht entfernt Genüge. Man
wird seiner Bedeutung nicht gerecht, wenn man sich nur auf sie
beschränkt. Die Aufnahmefähigkeit und Verarbeitungskraft seines
Geistes darüber hinaus waren erstaunlich, und es war doch nicht allein
diese Zugänglichkeit für alle kulturellen Reizungen, sondern fast
noch mehr die Voraussetzungslosigkeit, das Eindringen in die Ge-
heimnisse der Natur, die Vernünftigkeit und Zweckmäßigkeit seines
ganzen Denkens und Tuns, die auf die Mitwelt befreiend und
befruchtend wirkten und in die Zukunft wiesen.1)

1) Das Schlagwort von dem „ersten modernen Menschen“ ist besser zu
meiden, weil gelegentlich übertreibende Unmöglichkeiten darunter begriffen
werden, und jede derartige historische Aufstellung nur bedingt zu verstehen
ist. Die fortschreitende Erkenntnis sizilisch-normannischer Zustände hat das
Urteil über F. vielfach abgewandelt, und man könnte natürlich auch Roger II.
den „ersten modernen Menschen“ nennen. Aber dieser hat — abgesehen von
immerhin geringerer Vielseitigkeit — in seiner sizilischen Sonderexistenz doch
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[221/0229] § 17. Friedrich II. auf der Höhe seiner Macht (1230‒1239). medanische Überlieferungen wirkten, unterstützt durch die Lehren des römischen Rechts, mit angeborenem Genie und energischer Schulung zusammen, um ihn zum wahrhaften Selbstherrscher zu machen, der alle wichtigen Entscheidungen von sich aus traf. Die eigentümliche Stärke seiner politischen Begabung lag unzweifelhaft auf dem Felde der Organisation und Verwaltung, ähnlich wie bei seinem Großvater Roger, dessen Vorbilde er so viel verdankte, ohne indes bei der bloßen Nachahmung stehen zu bleiben. In der großen Politik durch seine Stellung von vornherein an eine hoff- nungslose Sache geknüpft und durch die staufische Überlieferung vielfach festgelegt, hat er doch auch da Festigkeit der Ziele mit Beweglichkeit und Unerschöpflichkeit der Mittel verbunden. Dem Diplomaten schadete öfters die impulsive Art, die die Karten zu früh aufdeckte, seine scharfe Zunge, die den beißenden Witz nicht unterdrückte, Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, die ihm den Blick verdunkelten und unnötige Mißstimmung erzeugten, — im ganzen ist er wohl der kurialen Diplomatie, namentlich unter den beiden Innozenzen, nicht gewachsen gewesen, — aber bis zu einem gewissen Grade entschädigten dann wieder scharfsinnige Berechnung, überraschender Wechsel und phantasievolle Kombinationsgabe. Der kriegerische Beruf lag Friedrich an sich ferner, aber er hat sich ihm nie versagt, und wenn er auch schwerlich ein großer Feldherr genannt werden kann, so kamen ihm auch da Organisationstalent, technische Kenntnisse im Festungsbau und Belagerungswesen, Ent- schlußfähigkeit und Unermüdlichkeit zu statten, und einen über- legenen Gegner lernte er auf diesem Gebiete nicht kennen. Der Reichtum von Friedrichs Natur aber fand in diesen durch seine Stellung bedingten Betätigungen nicht entfernt Genüge. Man wird seiner Bedeutung nicht gerecht, wenn man sich nur auf sie beschränkt. Die Aufnahmefähigkeit und Verarbeitungskraft seines Geistes darüber hinaus waren erstaunlich, und es war doch nicht allein diese Zugänglichkeit für alle kulturellen Reizungen, sondern fast noch mehr die Voraussetzungslosigkeit, das Eindringen in die Ge- heimnisse der Natur, die Vernünftigkeit und Zweckmäßigkeit seines ganzen Denkens und Tuns, die auf die Mitwelt befreiend und befruchtend wirkten und in die Zukunft wiesen. 1) 1) Das Schlagwort von dem „ersten modernen Menschen“ ist besser zu meiden, weil gelegentlich übertreibende Unmöglichkeiten darunter begriffen werden, und jede derartige historische Aufstellung nur bedingt zu verstehen ist. Die fortschreitende Erkenntnis sizilisch-normannischer Zustände hat das Urteil über F. vielfach abgewandelt, und man könnte natürlich auch Roger II. den „ersten modernen Menschen“ nennen. Aber dieser hat — abgesehen von immerhin geringerer Vielseitigkeit — in seiner sizilischen Sonderexistenz doch

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/229>, abgerufen am 30.04.2024.