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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198-1216).
leidenschaft gezogen und in zwei große Koalitionen gespalten wurde,
wie endlich Frankreich im Jahre 1214 einem furchtbaren englisch-
welfischen Doppelangriff Stand zu halten hatte. Die Schicksals-
schlacht von Bouvines (südöstl. v. Lille, am 27. Juli 1214), die
das französische Königtum und den englischen Parlamentarismus
in den Sattel hob, entschied auch über Deutschlands Zukunft. Als
Philipp August mit den Bürgertruppen der Städte die überlegenen
Streitkräfte Kaiser Ottos trotz dessen verzweifelter Tapferkeit in
die Flucht geworfen hatte, sandte er den vergoldeten Adler der
erbeuteten kaiserlichen Standarte seinem staufischen Verbündeten
zum Geschenk und versinnbildlichte so den Übergang der Herrschaft,
zugleich aber auch den von nun ab stets wachsenden Einfluß
Frankreichs auf die deutschen Geschicke. "Seit dieser Zeit", so
schrieb der Chronist von Lauterberg, "sank der Ruf der Deutschen
bei den Welschen."

Seit dieser Niederlage ist Kaiser Otto nichts mehr gelungen.
Bald sah er sich vom Niederrhein vertrieben (1215) und auf seine
braunschweigischen Stammlande beschränkt, auch dort bedroht durch
die neu geknüpfte Verbindung des Staufers mit dem Dänenkönig
(1214), die freilich nur durch abermalige Preisgabe Nordalbingiens
und Slawiens auf Kosten des Reiches zu erkaufen war. So ist er
nach einigen ruhmlosen Jahren auf der Harzburg in Zerknirschung,
ohne inneren Halt, gestorben (1218). Sein Ende bildet doch
einen Einschnitt in der Geschichte des deutschen Kaisertums. Denn
er war der letzte Herrscher, der wenigstens in seinen späteren
Jahren das Streben, wenn auch nicht die erforderliche politische
Begabung gezeigt hat, den alten Umfang kaiserlicher Rechte gegen
Fürstentum und Papsttum zu behaupten. Friedrich II. hat das
nicht mehr versucht.

Am glücklichsten von allen Mächten war das Papsttum aus
den endlosen Verwicklungen hervorgegangen. Wie hatte es doch
verstanden, auch aus Enttäuschungen wertvolle Lehren und aus
der wechselnden Lage stets wieder Vorteil zu ziehen! Es hatte
zuletzt seinen Schützling zur Anerkennung im Reiche gebracht, in
Sizilien seine Hoheitsrechte, in Italien seine Gebietsansprüche, in
Deutschland seine kirchlichen Forderungen durchgesetzt. Es stand
auch sonst glänzend da in der Welt. Mit Frankreich, noch der
einzigen politischen Macht von selbständiger Entschlußfähigkeit,
hatte es zumeist freundschaftlich zusammengewirkt, England war soeben
in die Lehensabhängigkeit herabgedrückt, durch die fortschreitende
Befreiung Spaniens von der mohammedanischen Herrschaft, durch
den kirchlichen Anschluß des neuerrichteten lateinischen Kaiser-
reiches, durch die Christianisierung von Livland und Esthland

§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216).
leidenschaft gezogen und in zwei große Koalitionen gespalten wurde,
wie endlich Frankreich im Jahre 1214 einem furchtbaren englisch-
welfischen Doppelangriff Stand zu halten hatte. Die Schicksals-
schlacht von Bouvines (südöstl. v. Lille, am 27. Juli 1214), die
das französische Königtum und den englischen Parlamentarismus
in den Sattel hob, entschied auch über Deutschlands Zukunft. Als
Philipp August mit den Bürgertruppen der Städte die überlegenen
Streitkräfte Kaiser Ottos trotz dessen verzweifelter Tapferkeit in
die Flucht geworfen hatte, sandte er den vergoldeten Adler der
erbeuteten kaiserlichen Standarte seinem staufischen Verbündeten
zum Geschenk und versinnbildlichte so den Übergang der Herrschaft,
zugleich aber auch den von nun ab stets wachsenden Einfluß
Frankreichs auf die deutschen Geschicke. „Seit dieser Zeit“, so
schrieb der Chronist von Lauterberg, „sank der Ruf der Deutschen
bei den Welschen.“

Seit dieser Niederlage ist Kaiser Otto nichts mehr gelungen.
Bald sah er sich vom Niederrhein vertrieben (1215) und auf seine
braunschweigischen Stammlande beschränkt, auch dort bedroht durch
die neu geknüpfte Verbindung des Staufers mit dem Dänenkönig
(1214), die freilich nur durch abermalige Preisgabe Nordalbingiens
und Slawiens auf Kosten des Reiches zu erkaufen war. So ist er
nach einigen ruhmlosen Jahren auf der Harzburg in Zerknirschung,
ohne inneren Halt, gestorben (1218). Sein Ende bildet doch
einen Einschnitt in der Geschichte des deutschen Kaisertums. Denn
er war der letzte Herrscher, der wenigstens in seinen späteren
Jahren das Streben, wenn auch nicht die erforderliche politische
Begabung gezeigt hat, den alten Umfang kaiserlicher Rechte gegen
Fürstentum und Papsttum zu behaupten. Friedrich II. hat das
nicht mehr versucht.

Am glücklichsten von allen Mächten war das Papsttum aus
den endlosen Verwicklungen hervorgegangen. Wie hatte es doch
verstanden, auch aus Enttäuschungen wertvolle Lehren und aus
der wechselnden Lage stets wieder Vorteil zu ziehen! Es hatte
zuletzt seinen Schützling zur Anerkennung im Reiche gebracht, in
Sizilien seine Hoheitsrechte, in Italien seine Gebietsansprüche, in
Deutschland seine kirchlichen Forderungen durchgesetzt. Es stand
auch sonst glänzend da in der Welt. Mit Frankreich, noch der
einzigen politischen Macht von selbständiger Entschlußfähigkeit,
hatte es zumeist freundschaftlich zusammengewirkt, England war soeben
in die Lehensabhängigkeit herabgedrückt, durch die fortschreitende
Befreiung Spaniens von der mohammedanischen Herrschaft, durch
den kirchlichen Anschluß des neuerrichteten lateinischen Kaiser-
reiches, durch die Christianisierung von Livland und Esthland

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[199/0207] § 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216). leidenschaft gezogen und in zwei große Koalitionen gespalten wurde, wie endlich Frankreich im Jahre 1214 einem furchtbaren englisch- welfischen Doppelangriff Stand zu halten hatte. Die Schicksals- schlacht von Bouvines (südöstl. v. Lille, am 27. Juli 1214), die das französische Königtum und den englischen Parlamentarismus in den Sattel hob, entschied auch über Deutschlands Zukunft. Als Philipp August mit den Bürgertruppen der Städte die überlegenen Streitkräfte Kaiser Ottos trotz dessen verzweifelter Tapferkeit in die Flucht geworfen hatte, sandte er den vergoldeten Adler der erbeuteten kaiserlichen Standarte seinem staufischen Verbündeten zum Geschenk und versinnbildlichte so den Übergang der Herrschaft, zugleich aber auch den von nun ab stets wachsenden Einfluß Frankreichs auf die deutschen Geschicke. „Seit dieser Zeit“, so schrieb der Chronist von Lauterberg, „sank der Ruf der Deutschen bei den Welschen.“ Seit dieser Niederlage ist Kaiser Otto nichts mehr gelungen. Bald sah er sich vom Niederrhein vertrieben (1215) und auf seine braunschweigischen Stammlande beschränkt, auch dort bedroht durch die neu geknüpfte Verbindung des Staufers mit dem Dänenkönig (1214), die freilich nur durch abermalige Preisgabe Nordalbingiens und Slawiens auf Kosten des Reiches zu erkaufen war. So ist er nach einigen ruhmlosen Jahren auf der Harzburg in Zerknirschung, ohne inneren Halt, gestorben (1218). Sein Ende bildet doch einen Einschnitt in der Geschichte des deutschen Kaisertums. Denn er war der letzte Herrscher, der wenigstens in seinen späteren Jahren das Streben, wenn auch nicht die erforderliche politische Begabung gezeigt hat, den alten Umfang kaiserlicher Rechte gegen Fürstentum und Papsttum zu behaupten. Friedrich II. hat das nicht mehr versucht. Am glücklichsten von allen Mächten war das Papsttum aus den endlosen Verwicklungen hervorgegangen. Wie hatte es doch verstanden, auch aus Enttäuschungen wertvolle Lehren und aus der wechselnden Lage stets wieder Vorteil zu ziehen! Es hatte zuletzt seinen Schützling zur Anerkennung im Reiche gebracht, in Sizilien seine Hoheitsrechte, in Italien seine Gebietsansprüche, in Deutschland seine kirchlichen Forderungen durchgesetzt. Es stand auch sonst glänzend da in der Welt. Mit Frankreich, noch der einzigen politischen Macht von selbständiger Entschlußfähigkeit, hatte es zumeist freundschaftlich zusammengewirkt, England war soeben in die Lehensabhängigkeit herabgedrückt, durch die fortschreitende Befreiung Spaniens von der mohammedanischen Herrschaft, durch den kirchlichen Anschluß des neuerrichteten lateinischen Kaiser- reiches, durch die Christianisierung von Livland und Esthland

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/207>, abgerufen am 30.04.2024.