lassen, und es verrichten dieses die Kinder der Mohren bereits im sechsten Monate.
Gleich nach dem Ablaufe des ersten Jahres lernen auch Kinder von aufgewekkten Kopfe reden, nachdem die Muskeln, welche von dem Zungenbeine ihren Ur- sprung genommen, neben diesem ihren Ursprunge einige Festigkeit erlanget haben, und so bald die Seele aus der Uebung erlernt, auf die Worte der schmeichelnden Mut- ter Acht zu geben und ihre Handlungen nachzuahmen, indem bereits das Kind Athem zu holen, zu schreien, und Speisen nieder zu schlukken versteht, sobald es nur die Mutter verläst.
Der vernünftige Gebrauch der Seele scheinet mit ei- ner gewissen Festigkeit im Gehirn in Verbindung zu ste- hen. Neugebohrne Kinder scheinen fühllos zu seyn, und man bemerkt es kaum an ihnen, daß sie hören oder se- hen, so daß man sogar den Kleinen diese Sinnen abspre- chen wollen (b). Hiezu kömmt noch, daß die Natur theils die Augen mit einem besondern Felle verhängt hat, welches biswetlen an schon gebornen Kindern noch vor- kömmt (c), theils die Ohren mit einer flüchtigen, doch aber ebenfalls die Töne hemmenden Dekke versichert hat (d).
Jndessen lernt doch das kleine Kind ohne Verzug ein Verlangen nach dem Lichte zu tragen, es liebet alles das- jenige, welches glänzt, und es reißt dasselbige nach sich: es lacht alles dasjenige an, welches ihm angenehm ist, es weinet bei der unangenehmen Begegnung der Ammen, und es sucht dieses Unangenehme mit allen Kräften von sich zu stossen: es lernt die Frauenspersonen, welche mit demselbigen zu thun haben, kennen, es erschrikkt bei un-
bekann-
(b)[Spaltenumbruch]
Vom Gesichte MUSSCHEN- BROECK Instit. c. 33. ad fin. BUFFON III. p. 317.
(c)CAMPEL de educat. pueri [Spaltenumbruch]
in T. VII. P. 2. Transaction Haar- lemens.
(d)L. XV. p. 198.
Leben u. Tod der Menſchen XXX. B.
laſſen, und es verrichten dieſes die Kinder der Mohren bereits im ſechſten Monate.
Gleich nach dem Ablaufe des erſten Jahres lernen auch Kinder von aufgewekkten Kopfe reden, nachdem die Muskeln, welche von dem Zungenbeine ihren Ur- ſprung genommen, neben dieſem ihren Urſprunge einige Feſtigkeit erlanget haben, und ſo bald die Seele aus der Uebung erlernt, auf die Worte der ſchmeichelnden Mut- ter Acht zu geben und ihre Handlungen nachzuahmen, indem bereits das Kind Athem zu holen, zu ſchreien, und Speiſen nieder zu ſchlukken verſteht, ſobald es nur die Mutter verlaͤſt.
Der vernuͤnftige Gebrauch der Seele ſcheinet mit ei- ner gewiſſen Feſtigkeit im Gehirn in Verbindung zu ſte- hen. Neugebohrne Kinder ſcheinen fuͤhllos zu ſeyn, und man bemerkt es kaum an ihnen, daß ſie hoͤren oder ſe- hen, ſo daß man ſogar den Kleinen dieſe Sinnen abſpre- chen wollen (b). Hiezu koͤmmt noch, daß die Natur theils die Augen mit einem beſondern Felle verhaͤngt hat, welches biswetlen an ſchon gebornen Kindern noch vor- koͤmmt (c), theils die Ohren mit einer fluͤchtigen, doch aber ebenfalls die Toͤne hemmenden Dekke verſichert hat (d).
Jndeſſen lernt doch das kleine Kind ohne Verzug ein Verlangen nach dem Lichte zu tragen, es liebet alles das- jenige, welches glaͤnzt, und es reißt daſſelbige nach ſich: es lacht alles dasjenige an, welches ihm angenehm iſt, es weinet bei der unangenehmen Begegnung der Ammen, und es ſucht dieſes Unangenehme mit allen Kraͤften von ſich zu ſtoſſen: es lernt die Frauensperſonen, welche mit demſelbigen zu thun haben, kennen, es erſchrikkt bei un-
bekann-
(b)[Spaltenumbruch]
Vom Geſichte MUSSCHEN- BROECK Inſtit. c. 33. ad fin. BUFFON III. p. 317.
(c)CAMPEL de educat. pueri [Spaltenumbruch]
in T. VII. P. 2. Transaction Haar- lemenſ.
(d)L. XV. p. 198.
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[812[814]/0866]
Leben u. Tod der Menſchen XXX. B.
laſſen, und es verrichten dieſes die Kinder der Mohren
bereits im ſechſten Monate.
Gleich nach dem Ablaufe des erſten Jahres lernen
auch Kinder von aufgewekkten Kopfe reden, nachdem
die Muskeln, welche von dem Zungenbeine ihren Ur-
ſprung genommen, neben dieſem ihren Urſprunge einige
Feſtigkeit erlanget haben, und ſo bald die Seele aus der
Uebung erlernt, auf die Worte der ſchmeichelnden Mut-
ter Acht zu geben und ihre Handlungen nachzuahmen,
indem bereits das Kind Athem zu holen, zu ſchreien,
und Speiſen nieder zu ſchlukken verſteht, ſobald es nur
die Mutter verlaͤſt.
Der vernuͤnftige Gebrauch der Seele ſcheinet mit ei-
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man bemerkt es kaum an ihnen, daß ſie hoͤren oder ſe-
hen, ſo daß man ſogar den Kleinen dieſe Sinnen abſpre-
chen wollen (b). Hiezu koͤmmt noch, daß die Natur
theils die Augen mit einem beſondern Felle verhaͤngt hat,
welches biswetlen an ſchon gebornen Kindern noch vor-
koͤmmt (c), theils die Ohren mit einer fluͤchtigen, doch
aber ebenfalls die Toͤne hemmenden Dekke verſichert hat (d).
Jndeſſen lernt doch das kleine Kind ohne Verzug ein
Verlangen nach dem Lichte zu tragen, es liebet alles das-
jenige, welches glaͤnzt, und es reißt daſſelbige nach ſich:
es lacht alles dasjenige an, welches ihm angenehm iſt,
es weinet bei der unangenehmen Begegnung der Ammen,
und es ſucht dieſes Unangenehme mit allen Kraͤften von
ſich zu ſtoſſen: es lernt die Frauensperſonen, welche mit
demſelbigen zu thun haben, kennen, es erſchrikkt bei un-
bekann-
(b)
Vom Geſichte MUSSCHEN-
BROECK Inſtit. c. 33. ad fin.
BUFFON III. p. 317.
(c) CAMPEL de educat. pueri
in T. VII. P. 2. Transaction Haar-
lemenſ.
(d) L. XV. p. 198.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 812[814]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/866>, abgerufen am 22.11.2024.
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