Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Frucht. XXIX. B.
theils mit einem Laute von sich zu stossen, vermögend sei.
Da sich ausserdem bei den meisten Geburten der Kopf in
der Scheide nur eine sehr kurze Weile aufhält, so hält
man es fast für ein gebornes Kind, so bald nur der ganze
Kopf den Mund der Gebärmutter verläst. Man er-
innere sich, daß man eine Frucht, deren Arm zuerst
zum Vorschein kam, und lange Zeit, wie es zu geschehen
pflegt, in der Geburt stand, wahrgenommen, und daß
ihre Lunge dennoch im Wasser niedergesunken (t). Der
berühmte Röderer (v), welcher in der Hebammenkunst
so grosse Erfahrung hatte, glaubet, daß die Kinder in
der Scheide nicht Athem holen.

Und dennoch habe ich, da ich öfters bei Entbindun-
gen zugegen gewesen, nur gar zu oft gehört, und ich
glaube, daß es gemeiniglich so zu geschehen pflegt, und
der Menschengeburt wesentlich sei, nämlich daß die Frucht
winsele, so bald der Kopf ausser der Scheide, unter den
Rökken der Mutter, und unter den Händen der ergrei-
fenden Wehemutter ist: daß es folglich den Augenblikk,
und zwar stark zu schreien pflege. Es scheinet also nicht
viel Zeit erfordert zu werden, daß eine gesunde und starke
Frucht ihre Lunge zum Athemholen, und einen Laut zu
machen, in den Stand sezzen könne.

Hier müssen wir auch die Zeugen anhören. So soll
in der Geburt eine Frucht die Brust erweitert haben (x),
da ihr Kopf noch feste war.

Folglich könne man nicht gänzlich in Abrede seyn,
daß eine dergleichen Frucht, so durch einige Schwierig-
keiten, als von breiten Schultern, zurükke gehalten wird,
mit ihrem, abwärts gegen die Mündung gekehrten Kopfe
zum atmen und schreien geschikkt sey (y).

Jch
(t) [Spaltenumbruch] BLANCAARD Jaarreg.
Cent. V.
(v) Satur. p. 32. 33.
(x) IDEMA vervoly.
(y) [Spaltenumbruch] Eine dreimonatliche Geburt
habe keine Stimme, doch nicht
eine von fünf Monaten LEVRET
p.
417.

Die Frucht. XXIX. B.
theils mit einem Laute von ſich zu ſtoſſen, vermoͤgend ſei.
Da ſich auſſerdem bei den meiſten Geburten der Kopf in
der Scheide nur eine ſehr kurze Weile aufhaͤlt, ſo haͤlt
man es faſt fuͤr ein gebornes Kind, ſo bald nur der ganze
Kopf den Mund der Gebaͤrmutter verlaͤſt. Man er-
innere ſich, daß man eine Frucht, deren Arm zuerſt
zum Vorſchein kam, und lange Zeit, wie es zu geſchehen
pflegt, in der Geburt ſtand, wahrgenommen, und daß
ihre Lunge dennoch im Waſſer niedergeſunken (t). Der
beruͤhmte Roͤderer (v), welcher in der Hebammenkunſt
ſo groſſe Erfahrung hatte, glaubet, daß die Kinder in
der Scheide nicht Athem holen.

Und dennoch habe ich, da ich oͤfters bei Entbindun-
gen zugegen geweſen, nur gar zu oft gehoͤrt, und ich
glaube, daß es gemeiniglich ſo zu geſchehen pflegt, und
der Menſchengeburt weſentlich ſei, naͤmlich daß die Frucht
winſele, ſo bald der Kopf auſſer der Scheide, unter den
Roͤkken der Mutter, und unter den Haͤnden der ergrei-
fenden Wehemutter iſt: daß es folglich den Augenblikk,
und zwar ſtark zu ſchreien pflege. Es ſcheinet alſo nicht
viel Zeit erfordert zu werden, daß eine geſunde und ſtarke
Frucht ihre Lunge zum Athemholen, und einen Laut zu
machen, in den Stand ſezzen koͤnne.

Hier muͤſſen wir auch die Zeugen anhoͤren. So ſoll
in der Geburt eine Frucht die Bruſt erweitert haben (x),
da ihr Kopf noch feſte war.

Folglich koͤnne man nicht gaͤnzlich in Abrede ſeyn,
daß eine dergleichen Frucht, ſo durch einige Schwierig-
keiten, als von breiten Schultern, zuruͤkke gehalten wird,
mit ihrem, abwaͤrts gegen die Muͤndung gekehrten Kopfe
zum atmen und ſchreien geſchikkt ſey (y).

Jch
(t) [Spaltenumbruch] BLANCAARD Jaarreg.
Cent. V.
(v) Satur. p. 32. 33.
(x) IDEMA vervoly.
(y) [Spaltenumbruch] Eine dreimonatliche Geburt
habe keine Stimme, doch nicht
eine von fuͤnf Monaten LEVRET
p.
417.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0720" n="666[668]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Frucht. <hi rendition="#aq">XXIX.</hi> B.</hi></fw><lb/>
theils mit einem Laute von &#x017F;ich zu &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en, vermo&#x0364;gend &#x017F;ei.<lb/>
Da &#x017F;ich au&#x017F;&#x017F;erdem bei den mei&#x017F;ten Geburten der Kopf in<lb/>
der Scheide nur eine &#x017F;ehr kurze Weile aufha&#x0364;lt, &#x017F;o ha&#x0364;lt<lb/>
man es fa&#x017F;t fu&#x0364;r ein gebornes Kind, &#x017F;o bald nur der ganze<lb/>
Kopf den Mund der Geba&#x0364;rmutter verla&#x0364;&#x017F;t. Man er-<lb/>
innere &#x017F;ich, daß man eine Frucht, deren Arm zuer&#x017F;t<lb/>
zum Vor&#x017F;chein kam, und lange Zeit, wie es zu ge&#x017F;chehen<lb/>
pflegt, in der Geburt &#x017F;tand, wahrgenommen, und daß<lb/>
ihre Lunge dennoch im Wa&#x017F;&#x017F;er niederge&#x017F;unken <note place="foot" n="(t)"><cb/><hi rendition="#aq">BLANCAARD Jaarreg.<lb/>
Cent. V.</hi></note>. Der<lb/>
beru&#x0364;hmte <hi rendition="#fr">Ro&#x0364;derer</hi> <note place="foot" n="(v)"><hi rendition="#aq">Satur. p.</hi> 32. 33.</note>, welcher in der Hebammenkun&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;e Erfahrung hatte, glaubet, daß die Kinder in<lb/>
der Scheide nicht Athem holen.</p><lb/>
              <p>Und dennoch habe ich, da ich o&#x0364;fters bei Entbindun-<lb/>
gen zugegen gewe&#x017F;en, nur gar zu oft geho&#x0364;rt, und ich<lb/>
glaube, daß es gemeiniglich &#x017F;o zu ge&#x017F;chehen pflegt, und<lb/>
der Men&#x017F;chengeburt we&#x017F;entlich &#x017F;ei, na&#x0364;mlich daß die Frucht<lb/>
win&#x017F;ele, &#x017F;o bald der Kopf au&#x017F;&#x017F;er der Scheide, unter den<lb/>
Ro&#x0364;kken der Mutter, und unter den Ha&#x0364;nden der ergrei-<lb/>
fenden Wehemutter i&#x017F;t: daß es folglich den Augenblikk,<lb/>
und zwar &#x017F;tark zu &#x017F;chreien pflege. Es &#x017F;cheinet al&#x017F;o nicht<lb/>
viel Zeit erfordert zu werden, daß eine ge&#x017F;unde und &#x017F;tarke<lb/>
Frucht ihre Lunge zum Athemholen, und einen Laut zu<lb/>
machen, in den Stand &#x017F;ezzen ko&#x0364;nne.</p><lb/>
              <p>Hier mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir auch die Zeugen anho&#x0364;ren. So &#x017F;oll<lb/>
in der Geburt eine Frucht die Bru&#x017F;t erweitert haben <note place="foot" n="(x)"><hi rendition="#aq">IDEMA vervoly.</hi></note>,<lb/>
da ihr Kopf noch fe&#x017F;te war.</p><lb/>
              <p>Folglich ko&#x0364;nne man nicht ga&#x0364;nzlich in Abrede &#x017F;eyn,<lb/>
daß eine dergleichen Frucht, &#x017F;o durch einige Schwierig-<lb/>
keiten, als von breiten Schultern, zuru&#x0364;kke gehalten wird,<lb/>
mit ihrem, abwa&#x0364;rts gegen die Mu&#x0364;ndung gekehrten Kopfe<lb/>
zum atmen und &#x017F;chreien ge&#x017F;chikkt &#x017F;ey <note place="foot" n="(y)"><cb/>
Eine dreimonatliche Geburt<lb/>
habe keine Stimme, doch nicht<lb/>
eine von fu&#x0364;nf Monaten <hi rendition="#aq">LEVRET<lb/>
p.</hi> 417.</note>.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[666[668]/0720] Die Frucht. XXIX. B. theils mit einem Laute von ſich zu ſtoſſen, vermoͤgend ſei. Da ſich auſſerdem bei den meiſten Geburten der Kopf in der Scheide nur eine ſehr kurze Weile aufhaͤlt, ſo haͤlt man es faſt fuͤr ein gebornes Kind, ſo bald nur der ganze Kopf den Mund der Gebaͤrmutter verlaͤſt. Man er- innere ſich, daß man eine Frucht, deren Arm zuerſt zum Vorſchein kam, und lange Zeit, wie es zu geſchehen pflegt, in der Geburt ſtand, wahrgenommen, und daß ihre Lunge dennoch im Waſſer niedergeſunken (t). Der beruͤhmte Roͤderer (v), welcher in der Hebammenkunſt ſo groſſe Erfahrung hatte, glaubet, daß die Kinder in der Scheide nicht Athem holen. Und dennoch habe ich, da ich oͤfters bei Entbindun- gen zugegen geweſen, nur gar zu oft gehoͤrt, und ich glaube, daß es gemeiniglich ſo zu geſchehen pflegt, und der Menſchengeburt weſentlich ſei, naͤmlich daß die Frucht winſele, ſo bald der Kopf auſſer der Scheide, unter den Roͤkken der Mutter, und unter den Haͤnden der ergrei- fenden Wehemutter iſt: daß es folglich den Augenblikk, und zwar ſtark zu ſchreien pflege. Es ſcheinet alſo nicht viel Zeit erfordert zu werden, daß eine geſunde und ſtarke Frucht ihre Lunge zum Athemholen, und einen Laut zu machen, in den Stand ſezzen koͤnne. Hier muͤſſen wir auch die Zeugen anhoͤren. So ſoll in der Geburt eine Frucht die Bruſt erweitert haben (x), da ihr Kopf noch feſte war. Folglich koͤnne man nicht gaͤnzlich in Abrede ſeyn, daß eine dergleichen Frucht, ſo durch einige Schwierig- keiten, als von breiten Schultern, zuruͤkke gehalten wird, mit ihrem, abwaͤrts gegen die Muͤndung gekehrten Kopfe zum atmen und ſchreien geſchikkt ſey (y). Jch (t) BLANCAARD Jaarreg. Cent. V. (v) Satur. p. 32. 33. (x) IDEMA vervoly. (y) Eine dreimonatliche Geburt habe keine Stimme, doch nicht eine von fuͤnf Monaten LEVRET p. 417.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/720
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 666[668]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/720>, abgerufen am 22.11.2024.