Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Abschnitt. Ursachen.
tier (c) diesen Versuch zur Erklärung der Muskelbewe-
gung angewandt. Es begegnet zugleich der scharfsinnige
Mann einem Einwurfe, welchen man gegen diese Thätig-
keit einer gedrehten Faser, von der Langsamkeit ihrer Be-
wegung herzunehmen pflegt. Er fand nämlich, daß war-
mes Wasser ein Strikk besser verkürze, und daß ein Seil
mit kaltem Wasser besprengt, acht Zoll (d), mit heissem
hingegen zween Fus kürzer werde; folglich könne die Wär-
me des Blutes, wenn dieses eine Faser anfeuchtet (e), die
Bewegung schneller machen.

Doch wenn gleich die Hizze eines siedenden Wassers,
die doch gewis grösser ist, als die Wärme im Blute, das
Seil etwas mehr verkürzen kann, so ist doch dieser Vorteil
gegen die unglaubliche Geschwindigkeit nichts, mit der die
Muskeln spielen. Denn da das Wasser, kraft der An-
ziehung in das Seil eindringt, und in die Höhe steigt,
wie es überhaupt zwischen zwo Glasplatten in die Höhe
steigt, oder im Zukker eindringt, so kann dieses niemals
anders, als langsam geschehen, weil die Wege verdreht
und verwikkelt sind, durch welche sich das Wasser hindurch
zieht, und selbiges nicht ehe die Anziehungskräfte eines
festen Grundstoffes empfindet, als bis es demselben ganz
nahe kömmt, oder ihn berührt. Man betrachte nur, wie
langsam das Wasser in eine zollhohe Piramide von Zuk-
ker, und in ein zolllanges Strikk eindringe. Jndem das
Wasser nun diesen Raum zurükke legt, so durchläuft die be-
wegende Kraft der Muskeln tausend Fus und drüber (f).

Es dringt aber Wasser geschwinder ein, wenn Kör-
per, von denen es angezogen wird, trokken sind, und
schwerlich, wenn solche feuchte sind. Es sind aber unsre
Fasern allezeit in einem feuchten Zustande.

End-
(c) [Spaltenumbruch] pag. 282. 285. 287. 288.
(d) pag. 287. 288.
(e) [Spaltenumbruch] pag. 543.
(f) pag. 483.
H. Phisiol. 5. B. M

III. Abſchnitt. Urſachen.
tier (c) dieſen Verſuch zur Erklaͤrung der Muſkelbewe-
gung angewandt. Es begegnet zugleich der ſcharfſinnige
Mann einem Einwurfe, welchen man gegen dieſe Thaͤtig-
keit einer gedrehten Faſer, von der Langſamkeit ihrer Be-
wegung herzunehmen pflegt. Er fand naͤmlich, daß war-
mes Waſſer ein Strikk beſſer verkuͤrze, und daß ein Seil
mit kaltem Waſſer beſprengt, acht Zoll (d), mit heiſſem
hingegen zween Fus kuͤrzer werde; folglich koͤnne die Waͤr-
me des Blutes, wenn dieſes eine Faſer anfeuchtet (e), die
Bewegung ſchneller machen.

Doch wenn gleich die Hizze eines ſiedenden Waſſers,
die doch gewis groͤſſer iſt, als die Waͤrme im Blute, das
Seil etwas mehr verkuͤrzen kann, ſo iſt doch dieſer Vorteil
gegen die unglaubliche Geſchwindigkeit nichts, mit der die
Muſkeln ſpielen. Denn da das Waſſer, kraft der An-
ziehung in das Seil eindringt, und in die Hoͤhe ſteigt,
wie es uͤberhaupt zwiſchen zwo Glasplatten in die Hoͤhe
ſteigt, oder im Zukker eindringt, ſo kann dieſes niemals
anders, als langſam geſchehen, weil die Wege verdreht
und verwikkelt ſind, durch welche ſich das Waſſer hindurch
zieht, und ſelbiges nicht ehe die Anziehungskraͤfte eines
feſten Grundſtoffes empfindet, als bis es demſelben ganz
nahe koͤmmt, oder ihn beruͤhrt. Man betrachte nur, wie
langſam das Waſſer in eine zollhohe Piramide von Zuk-
ker, und in ein zolllanges Strikk eindringe. Jndem das
Waſſer nun dieſen Raum zuruͤkke legt, ſo durchlaͤuft die be-
wegende Kraft der Muſkeln tauſend Fus und druͤber (f).

Es dringt aber Waſſer geſchwinder ein, wenn Koͤr-
per, von denen es angezogen wird, trokken ſind, und
ſchwerlich, wenn ſolche feuchte ſind. Es ſind aber unſre
Faſern allezeit in einem feuchten Zuſtande.

End-
(c) [Spaltenumbruch] pag. 282. 285. 287. 288.
(d) pag. 287. 288.
(e) [Spaltenumbruch] pag. 543.
(f) pag. 483.
H. Phiſiol. 5. B. M
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0195" n="177"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Ur&#x017F;achen.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">tier</hi><note place="foot" n="(c)"><cb/><hi rendition="#aq">pag.</hi> 282. 285. 287. 288.</note> die&#x017F;en Ver&#x017F;uch zur Erkla&#x0364;rung der Mu&#x017F;kelbewe-<lb/>
gung angewandt. Es begegnet zugleich der &#x017F;charf&#x017F;innige<lb/>
Mann einem Einwurfe, welchen man gegen die&#x017F;e Tha&#x0364;tig-<lb/>
keit einer gedrehten Fa&#x017F;er, von der Lang&#x017F;amkeit ihrer Be-<lb/>
wegung herzunehmen pflegt. Er fand na&#x0364;mlich, daß war-<lb/>
mes Wa&#x017F;&#x017F;er ein Strikk be&#x017F;&#x017F;er verku&#x0364;rze, und daß ein Seil<lb/>
mit kaltem Wa&#x017F;&#x017F;er be&#x017F;prengt, acht Zoll <note place="foot" n="(d)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 287. 288.</note>, mit hei&#x017F;&#x017F;em<lb/>
hingegen zween Fus ku&#x0364;rzer werde; folglich ko&#x0364;nne die Wa&#x0364;r-<lb/>
me des Blutes, wenn die&#x017F;es eine Fa&#x017F;er anfeuchtet <note place="foot" n="(e)"><cb/><hi rendition="#aq">pag.</hi> 543.</note>, die<lb/>
Bewegung &#x017F;chneller machen.</p><lb/>
          <p>Doch wenn gleich die Hizze eines &#x017F;iedenden Wa&#x017F;&#x017F;ers,<lb/>
die doch gewis gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t, als die Wa&#x0364;rme im Blute, das<lb/>
Seil etwas mehr verku&#x0364;rzen kann, &#x017F;o i&#x017F;t doch die&#x017F;er Vorteil<lb/>
gegen die unglaubliche Ge&#x017F;chwindigkeit nichts, mit der die<lb/>
Mu&#x017F;keln &#x017F;pielen. Denn da das Wa&#x017F;&#x017F;er, kraft der An-<lb/>
ziehung in das Seil eindringt, und in die Ho&#x0364;he &#x017F;teigt,<lb/>
wie es u&#x0364;berhaupt zwi&#x017F;chen zwo Glasplatten in die Ho&#x0364;he<lb/>
&#x017F;teigt, oder im Zukker eindringt, &#x017F;o kann die&#x017F;es niemals<lb/>
anders, als lang&#x017F;am ge&#x017F;chehen, weil die Wege verdreht<lb/>
und verwikkelt &#x017F;ind, durch welche &#x017F;ich das Wa&#x017F;&#x017F;er hindurch<lb/>
zieht, und &#x017F;elbiges nicht ehe die Anziehungskra&#x0364;fte eines<lb/>
fe&#x017F;ten Grund&#x017F;toffes empfindet, als bis es dem&#x017F;elben ganz<lb/>
nahe ko&#x0364;mmt, oder ihn beru&#x0364;hrt. Man betrachte nur, wie<lb/>
lang&#x017F;am das Wa&#x017F;&#x017F;er in eine zollhohe Piramide von Zuk-<lb/>
ker, und in ein zolllanges Strikk eindringe. Jndem das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er nun die&#x017F;en Raum zuru&#x0364;kke legt, &#x017F;o durchla&#x0364;uft die be-<lb/>
wegende Kraft der Mu&#x017F;keln tau&#x017F;end Fus und dru&#x0364;ber <note place="foot" n="(f)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 483.</note>.</p><lb/>
          <p>Es dringt aber Wa&#x017F;&#x017F;er ge&#x017F;chwinder ein, wenn Ko&#x0364;r-<lb/>
per, von denen es angezogen wird, trokken &#x017F;ind, und<lb/>
&#x017F;chwerlich, wenn &#x017F;olche feuchte &#x017F;ind. Es &#x017F;ind aber un&#x017F;re<lb/>
Fa&#x017F;ern allezeit in einem feuchten Zu&#x017F;tande.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">End-</fw><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">H. Phi&#x017F;iol. 5. B.</hi> M</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0195] III. Abſchnitt. Urſachen. tier (c) dieſen Verſuch zur Erklaͤrung der Muſkelbewe- gung angewandt. Es begegnet zugleich der ſcharfſinnige Mann einem Einwurfe, welchen man gegen dieſe Thaͤtig- keit einer gedrehten Faſer, von der Langſamkeit ihrer Be- wegung herzunehmen pflegt. Er fand naͤmlich, daß war- mes Waſſer ein Strikk beſſer verkuͤrze, und daß ein Seil mit kaltem Waſſer beſprengt, acht Zoll (d), mit heiſſem hingegen zween Fus kuͤrzer werde; folglich koͤnne die Waͤr- me des Blutes, wenn dieſes eine Faſer anfeuchtet (e), die Bewegung ſchneller machen. Doch wenn gleich die Hizze eines ſiedenden Waſſers, die doch gewis groͤſſer iſt, als die Waͤrme im Blute, das Seil etwas mehr verkuͤrzen kann, ſo iſt doch dieſer Vorteil gegen die unglaubliche Geſchwindigkeit nichts, mit der die Muſkeln ſpielen. Denn da das Waſſer, kraft der An- ziehung in das Seil eindringt, und in die Hoͤhe ſteigt, wie es uͤberhaupt zwiſchen zwo Glasplatten in die Hoͤhe ſteigt, oder im Zukker eindringt, ſo kann dieſes niemals anders, als langſam geſchehen, weil die Wege verdreht und verwikkelt ſind, durch welche ſich das Waſſer hindurch zieht, und ſelbiges nicht ehe die Anziehungskraͤfte eines feſten Grundſtoffes empfindet, als bis es demſelben ganz nahe koͤmmt, oder ihn beruͤhrt. Man betrachte nur, wie langſam das Waſſer in eine zollhohe Piramide von Zuk- ker, und in ein zolllanges Strikk eindringe. Jndem das Waſſer nun dieſen Raum zuruͤkke legt, ſo durchlaͤuft die be- wegende Kraft der Muſkeln tauſend Fus und druͤber (f). Es dringt aber Waſſer geſchwinder ein, wenn Koͤr- per, von denen es angezogen wird, trokken ſind, und ſchwerlich, wenn ſolche feuchte ſind. Es ſind aber unſre Faſern allezeit in einem feuchten Zuſtande. End- (c) pag. 282. 285. 287. 288. (d) pag. 287. 288. (e) pag. 543. (f) pag. 483. H. Phiſiol. 5. B. M

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/195
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/195>, abgerufen am 28.11.2024.