Zur dritten Ursache des Schlafes giebt uns der Stah- lianer, den Willen, an die Hand (b). Die Seele, welche nun über ihre Geschäfte und Empfindungen verdrüs- lich und ungeduldig geworden, läst von freien Stükken die Anstrengung der Sinne fahren, weil sie diesen nüzz- lichen Schlus in der Absicht fasset, um ihre Kräfte zu ergänzen, welche sie durch die Arbeit verlohren hat.
Man kann die ungemeine Annehmlichkeit hieher zie- hen, welche wir durch den Schlaf gemessen, so oft wir desselben bedürftig sind: die Schläfrigkeit, die uns bei schlimmen Gedichten, und langen Erzählungen überfällt. Den Abtritt zu den Betten, und Höhlen, wornach sich Thiere und Menschen sehnen: und das Erwachen bei ge- wissen Stunden, die man sich vorgesezzt hat.
Und dennoch habe ich allezeit gemerkt, daß dieses Ver- gnügen, wenn ich oft nach dem Essen zur Sommerszeit und in der Wärme darauf acht gab, nicht in meinem Willkühr stand, sondern sich meiner mit Gewalt bemei- sterte; und es ist sonderlich bei Personen von zunehmen- den Alter nichts gemeiner, als daß sie dem Schlafe wi- derstehen wollen, und ihn zurükke zu weisen suchen, die- sen Versuch habe ich den ganzen Sommer über gemacht, wenn sich der Schlaf des Mittags bei mir einstellte, und ich nicht so viel vom Tage müßig zubringen wollte. End- lich habe ich diese Zunöthigung der Natur völlig bezwun- gen, daß ich nun seit vielen Jahren nichts mehr davon weis; und folglich überfällt uns der Schlaf nicht mit un- sern Willen: sondern wider denselben: und wenn der Wille denselben meiden will, so kann er es doch nicht allemal.
§. 5.
(b)[Spaltenumbruch]MORGAGN. principl. pag. 345. QUESNAI Essay sur l' Oecon anim. T. III. pag. 271. IUNKER Physiol. Conspect. p. 487. TABOR [Spaltenumbruch]
p. 304. NENTER physiol. p. 315. SAUVAGES de somno NICHOLLS anim. med. p. 26.
Der Schlaf. XVII. Buch.
Zur dritten Urſache des Schlafes giebt uns der Stah- lianer, den Willen, an die Hand (b). Die Seele, welche nun uͤber ihre Geſchaͤfte und Empfindungen verdruͤs- lich und ungeduldig geworden, laͤſt von freien Stuͤkken die Anſtrengung der Sinne fahren, weil ſie dieſen nuͤzz- lichen Schlus in der Abſicht faſſet, um ihre Kraͤfte zu ergaͤnzen, welche ſie durch die Arbeit verlohren hat.
Man kann die ungemeine Annehmlichkeit hieher zie- hen, welche wir durch den Schlaf gemeſſen, ſo oft wir deſſelben beduͤrftig ſind: die Schlaͤfrigkeit, die uns bei ſchlimmen Gedichten, und langen Erzaͤhlungen uͤberfaͤllt. Den Abtritt zu den Betten, und Hoͤhlen, wornach ſich Thiere und Menſchen ſehnen: und das Erwachen bei ge- wiſſen Stunden, die man ſich vorgeſezzt hat.
Und dennoch habe ich allezeit gemerkt, daß dieſes Ver- gnuͤgen, wenn ich oft nach dem Eſſen zur Sommerszeit und in der Waͤrme darauf acht gab, nicht in meinem Willkuͤhr ſtand, ſondern ſich meiner mit Gewalt bemei- ſterte; und es iſt ſonderlich bei Perſonen von zunehmen- den Alter nichts gemeiner, als daß ſie dem Schlafe wi- derſtehen wollen, und ihn zuruͤkke zu weiſen ſuchen, die- ſen Verſuch habe ich den ganzen Sommer uͤber gemacht, wenn ſich der Schlaf des Mittags bei mir einſtellte, und ich nicht ſo viel vom Tage muͤßig zubringen wollte. End- lich habe ich dieſe Zunoͤthigung der Natur voͤllig bezwun- gen, daß ich nun ſeit vielen Jahren nichts mehr davon weis; und folglich uͤberfaͤllt uns der Schlaf nicht mit un- ſern Willen: ſondern wider denſelben: und wenn der Wille denſelben meiden will, ſo kann er es doch nicht allemal.
§. 5.
(b)[Spaltenumbruch]MORGAGN. principl. pag. 345. QUESNAI Eſſay ſur l’ Oecon anim. T. III. pag. 271. IUNKER Phyſiol. Conſpect. p. 487. TABOR [Spaltenumbruch]
p. 304. NENTER phyſiol. p. 315. SAUVAGES de ſomno NICHOLLS anim. med. p. 26.
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Der Schlaf. XVII. Buch.
Zur dritten Urſache des Schlafes giebt uns der Stah-
lianer, den Willen, an die Hand (b). Die Seele,
welche nun uͤber ihre Geſchaͤfte und Empfindungen verdruͤs-
lich und ungeduldig geworden, laͤſt von freien Stuͤkken
die Anſtrengung der Sinne fahren, weil ſie dieſen nuͤzz-
lichen Schlus in der Abſicht faſſet, um ihre Kraͤfte zu
ergaͤnzen, welche ſie durch die Arbeit verlohren hat.
Man kann die ungemeine Annehmlichkeit hieher zie-
hen, welche wir durch den Schlaf gemeſſen, ſo oft wir
deſſelben beduͤrftig ſind: die Schlaͤfrigkeit, die uns bei
ſchlimmen Gedichten, und langen Erzaͤhlungen uͤberfaͤllt.
Den Abtritt zu den Betten, und Hoͤhlen, wornach ſich
Thiere und Menſchen ſehnen: und das Erwachen bei ge-
wiſſen Stunden, die man ſich vorgeſezzt hat.
Und dennoch habe ich allezeit gemerkt, daß dieſes Ver-
gnuͤgen, wenn ich oft nach dem Eſſen zur Sommerszeit
und in der Waͤrme darauf acht gab, nicht in meinem
Willkuͤhr ſtand, ſondern ſich meiner mit Gewalt bemei-
ſterte; und es iſt ſonderlich bei Perſonen von zunehmen-
den Alter nichts gemeiner, als daß ſie dem Schlafe wi-
derſtehen wollen, und ihn zuruͤkke zu weiſen ſuchen, die-
ſen Verſuch habe ich den ganzen Sommer uͤber gemacht,
wenn ſich der Schlaf des Mittags bei mir einſtellte, und
ich nicht ſo viel vom Tage muͤßig zubringen wollte. End-
lich habe ich dieſe Zunoͤthigung der Natur voͤllig bezwun-
gen, daß ich nun ſeit vielen Jahren nichts mehr davon
weis; und folglich uͤberfaͤllt uns der Schlaf nicht mit un-
ſern Willen: ſondern wider denſelben: und wenn der
Wille denſelben meiden will, ſo kann er es doch nicht
allemal.
§. 5.
(b)
MORGAGN. principl. pag.
345. QUESNAI Eſſay ſur l’ Oecon
anim. T. III. pag. 271. IUNKER
Phyſiol. Conſpect. p. 487. TABOR
p. 304. NENTER phyſiol. p. 315.
SAUVAGES de ſomno NICHOLLS
anim. med. p. 26.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1168>, abgerufen am 23.11.2024.
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