beiden Geschlechter, sich zu vermischen, ausdrükken. Die- ses Verlangen ist einer der lebhaftesten Affekten, und er macht uns bei unserm Zustande so ungedaldig, daß wir lieber den Tod wünschen, um nur diesen Zustand der oh- ne Genuß ist, zu ändern, und eben so stark ist auch das Verlangen nach Ehre.
Die Gegenwart eines mittelmäßigen und langen Ue- bels, bringt die Traurigkeit, die Jdee eines heftigen und plözzlich einbrechenden Uebels, das Schrekken her- vor, welches ebenfalls ein sehr wirksamer Affekt ist. Das Erwarten eines Uebels, wobei ein Unvermögen ist, dassel- be abzuwenden, jagt uns Furcht ein; die Verabscheuung eines Uebels, mit einem Bestreben, dasselbe abzuwenden, erregt in uns Zorn: Schaam ist das Bewustsein einer begangnen Schuld: und Mitleiden eine traurige Empfin- dung, welche in dem Elende eines andern ihren Grund hat. Endlich ist die Verzweiflung die Vorstellung eines sehr grossen Uebels, wider welches man kein Mittel weis, und kein Affekt ist so wüthend als dieser, und so geneigt den Menschen zu zernichten; er verdient am meisten, mit dem Feuer der heiligen Schrift verglichen zu werden.
§. 5. Die Folgen der Affekten.
Diese Betrachtung gehet vornämlich die Aerzte an. Es erfolgen nämlich auf die Leidenschaften der Seele ge- wisse merkwürdige und gewaltsame Bewegungen im Kör- per. Wie übergehen hier diejenigen, deren sich der Wille zur Erreichung seines Endzwekkes bedient, wir erklären hier nicht den Streit, oder die Liebkosungen, wodurch wir uns einer bestimmten Liebe zu bemächtigen suchen. Es sind vielmehr andre Bewegungen, die man hier in Er- wähnung ziehen mus, und die aus der Leidenschaft der Seele im Herzen, in der Bewegung des Blutes, den Nerven, Muskeln, und im ganzen Körper mit grosser
Lebhaf-
Der Wille. XVII. Buch.
beiden Geſchlechter, ſich zu vermiſchen, ausdruͤkken. Die- ſes Verlangen iſt einer der lebhafteſten Affekten, und er macht uns bei unſerm Zuſtande ſo ungedaldig, daß wir lieber den Tod wuͤnſchen, um nur dieſen Zuſtand der oh- ne Genuß iſt, zu aͤndern, und eben ſo ſtark iſt auch das Verlangen nach Ehre.
Die Gegenwart eines mittelmaͤßigen und langen Ue- bels, bringt die Traurigkeit, die Jdee eines heftigen und ploͤzzlich einbrechenden Uebels, das Schrekken her- vor, welches ebenfalls ein ſehr wirkſamer Affekt iſt. Das Erwarten eines Uebels, wobei ein Unvermoͤgen iſt, daſſel- be abzuwenden, jagt uns Furcht ein; die Verabſcheuung eines Uebels, mit einem Beſtreben, daſſelbe abzuwenden, erregt in uns Zorn: Schaam iſt das Bewuſtſein einer begangnen Schuld: und Mitleiden eine traurige Empfin- dung, welche in dem Elende eines andern ihren Grund hat. Endlich iſt die Verzweiflung die Vorſtellung eines ſehr groſſen Uebels, wider welches man kein Mittel weis, und kein Affekt iſt ſo wuͤthend als dieſer, und ſo geneigt den Menſchen zu zernichten; er verdient am meiſten, mit dem Feuer der heiligen Schrift verglichen zu werden.
§. 5. Die Folgen der Affekten.
Dieſe Betrachtung gehet vornaͤmlich die Aerzte an. Es erfolgen naͤmlich auf die Leidenſchaften der Seele ge- wiſſe merkwuͤrdige und gewaltſame Bewegungen im Koͤr- per. Wie uͤbergehen hier diejenigen, deren ſich der Wille zur Erreichung ſeines Endzwekkes bedient, wir erklaͤren hier nicht den Streit, oder die Liebkoſungen, wodurch wir uns einer beſtimmten Liebe zu bemaͤchtigen ſuchen. Es ſind vielmehr andre Bewegungen, die man hier in Er- waͤhnung ziehen mus, und die aus der Leidenſchaft der Seele im Herzen, in der Bewegung des Blutes, den Nerven, Muſkeln, und im ganzen Koͤrper mit groſſer
Lebhaf-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f1138"n="1120"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der Wille. <hirendition="#aq">XVII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
beiden Geſchlechter, ſich zu vermiſchen, ausdruͤkken. Die-<lb/>ſes Verlangen iſt einer der lebhafteſten Affekten, und er<lb/>
macht uns bei unſerm Zuſtande ſo ungedaldig, daß wir<lb/>
lieber den Tod wuͤnſchen, um nur dieſen Zuſtand der oh-<lb/>
ne Genuß iſt, zu aͤndern, und eben ſo ſtark iſt auch das<lb/>
Verlangen nach Ehre.</p><lb/><p>Die Gegenwart eines mittelmaͤßigen und langen Ue-<lb/>
bels, bringt die <hirendition="#fr">Traurigkeit,</hi> die Jdee eines heftigen<lb/>
und ploͤzzlich einbrechenden Uebels, das <hirendition="#fr">Schrekken</hi> her-<lb/>
vor, welches ebenfalls ein ſehr wirkſamer Affekt iſt. Das<lb/>
Erwarten eines Uebels, wobei ein Unvermoͤgen iſt, daſſel-<lb/>
be abzuwenden, jagt uns <hirendition="#fr">Furcht</hi> ein; die Verabſcheuung<lb/>
eines Uebels, mit einem Beſtreben, daſſelbe abzuwenden,<lb/>
erregt in uns <hirendition="#fr">Zorn: Schaam</hi> iſt das Bewuſtſein einer<lb/>
begangnen Schuld: und <hirendition="#fr">Mitleiden</hi> eine traurige Empfin-<lb/>
dung, welche in dem Elende eines andern ihren Grund hat.<lb/>
Endlich iſt die <hirendition="#fr">Verzweiflung</hi> die Vorſtellung eines ſehr<lb/>
groſſen Uebels, wider welches man kein Mittel weis,<lb/>
und kein Affekt iſt ſo wuͤthend als dieſer, und ſo geneigt<lb/>
den Menſchen zu zernichten; er verdient am meiſten, mit<lb/>
dem Feuer der heiligen Schrift verglichen zu werden.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">§. 5.<lb/>
Die Folgen der Affekten.</hi></head><lb/><p>Dieſe Betrachtung gehet vornaͤmlich die Aerzte an.<lb/>
Es erfolgen naͤmlich auf die Leidenſchaften der Seele ge-<lb/>
wiſſe merkwuͤrdige und gewaltſame Bewegungen im Koͤr-<lb/>
per. Wie uͤbergehen hier diejenigen, deren ſich der Wille<lb/>
zur Erreichung ſeines Endzwekkes bedient, wir erklaͤren<lb/>
hier nicht den Streit, oder die Liebkoſungen, wodurch<lb/>
wir uns einer beſtimmten Liebe zu bemaͤchtigen ſuchen. Es<lb/>ſind vielmehr andre Bewegungen, die man hier in Er-<lb/>
waͤhnung ziehen mus, und die aus der Leidenſchaft der<lb/>
Seele im Herzen, in der Bewegung des Blutes, den<lb/>
Nerven, Muſkeln, und im ganzen Koͤrper mit groſſer<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Lebhaf-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[1120/1138]
Der Wille. XVII. Buch.
beiden Geſchlechter, ſich zu vermiſchen, ausdruͤkken. Die-
ſes Verlangen iſt einer der lebhafteſten Affekten, und er
macht uns bei unſerm Zuſtande ſo ungedaldig, daß wir
lieber den Tod wuͤnſchen, um nur dieſen Zuſtand der oh-
ne Genuß iſt, zu aͤndern, und eben ſo ſtark iſt auch das
Verlangen nach Ehre.
Die Gegenwart eines mittelmaͤßigen und langen Ue-
bels, bringt die Traurigkeit, die Jdee eines heftigen
und ploͤzzlich einbrechenden Uebels, das Schrekken her-
vor, welches ebenfalls ein ſehr wirkſamer Affekt iſt. Das
Erwarten eines Uebels, wobei ein Unvermoͤgen iſt, daſſel-
be abzuwenden, jagt uns Furcht ein; die Verabſcheuung
eines Uebels, mit einem Beſtreben, daſſelbe abzuwenden,
erregt in uns Zorn: Schaam iſt das Bewuſtſein einer
begangnen Schuld: und Mitleiden eine traurige Empfin-
dung, welche in dem Elende eines andern ihren Grund hat.
Endlich iſt die Verzweiflung die Vorſtellung eines ſehr
groſſen Uebels, wider welches man kein Mittel weis,
und kein Affekt iſt ſo wuͤthend als dieſer, und ſo geneigt
den Menſchen zu zernichten; er verdient am meiſten, mit
dem Feuer der heiligen Schrift verglichen zu werden.
§. 5.
Die Folgen der Affekten.
Dieſe Betrachtung gehet vornaͤmlich die Aerzte an.
Es erfolgen naͤmlich auf die Leidenſchaften der Seele ge-
wiſſe merkwuͤrdige und gewaltſame Bewegungen im Koͤr-
per. Wie uͤbergehen hier diejenigen, deren ſich der Wille
zur Erreichung ſeines Endzwekkes bedient, wir erklaͤren
hier nicht den Streit, oder die Liebkoſungen, wodurch
wir uns einer beſtimmten Liebe zu bemaͤchtigen ſuchen. Es
ſind vielmehr andre Bewegungen, die man hier in Er-
waͤhnung ziehen mus, und die aus der Leidenſchaft der
Seele im Herzen, in der Bewegung des Blutes, den
Nerven, Muſkeln, und im ganzen Koͤrper mit groſſer
Lebhaf-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1138>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.