Abwesenheit gefälliger Jdeen in der Seele. Jene Güter zu suchen, dieses Uebel zu meiden, beschäftigt sich der Wille. Das Verlangen nach Gütern ist eine Verab- scheuung der Uebel. Es gründen sich aber darum diese Güter oder Uebel nicht einzig und allein, wie man vor Kur- zem hie und da behaupten wollte, auf die Empfindung; sondern sie entstehen zugleich auch aus abstrakten Begrif- fen, dergleichen die Hoffnung eines ewigen Lebens, und die Liebe oder Furcht Gottes ist. Es hat die Ehre näm- lich nichts mit diesen Sinnen gemein, wie sich Helvetius zu überreden bemüht; indem die alten Römer weder von der Hoffnung der Verliebten, noch der Speise gereizt wurden, noch einige körperliche Wollust suchten, wenn sie sich den Martern der Kartaginenser unterwarfen, oder in Hölen stürzten, aus welchen ein Schwefelgestank dämpf- te, wie Curtius. Doch es wurden auch nicht die christ- liche Anachoreten (Einsiedler) von der Liebe zur Wollust getrieben, um bei einer sehr elenden Nahrung, von allem weiblichen Umgange frei, in Schmerzen und den blossen Sonnenstrahlen ihr Leben zu zubringen. Die Nothwen- digkeit der Ursache hat ohnlängst die Philosophen veran- last, subtil zu werden, und es ist ihnen daran viel gele- gen, daß in uns nichts, als körperliche Eigenschaften statt finden.
Die Vermengung der Empfindungen mit den Be- griffen, macht diesen Streit zwischen zweierlei Willen (c*), den Streit des gegenwärtigen Reizzes, und des zuvor ge- sehenen künftigen Uebels, und bringt den Begrif eines moralischen Uebels hervor.: daher entstehen die gegensei- tigen Triebe, oder Willen der Wasserscheuen zu beissen, theils aus der gegenwärtigen Wuth, theils sich davon zu enthalten, aus den Begriffen des Wahren und Billigen, die in ihrem Gemüthe vorlängst Wurzel gefast haben; sie warnen ihre Freunde, sich ihnen nicht zu nähern, weil
sie
(c*)BONNET pag. 301.
Der Wille. XVII. Buch.
Abweſenheit gefaͤlliger Jdeen in der Seele. Jene Guͤter zu ſuchen, dieſes Uebel zu meiden, beſchaͤftigt ſich der Wille. Das Verlangen nach Guͤtern iſt eine Verab- ſcheuung der Uebel. Es gruͤnden ſich aber darum dieſe Guͤter oder Uebel nicht einzig und allein, wie man vor Kur- zem hie und da behaupten wollte, auf die Empfindung; ſondern ſie entſtehen zugleich auch aus abſtrakten Begrif- fen, dergleichen die Hoffnung eines ewigen Lebens, und die Liebe oder Furcht Gottes iſt. Es hat die Ehre naͤm- lich nichts mit dieſen Sinnen gemein, wie ſich Helvetius zu uͤberreden bemuͤht; indem die alten Roͤmer weder von der Hoffnung der Verliebten, noch der Speiſe gereizt wurden, noch einige koͤrperliche Wolluſt ſuchten, wenn ſie ſich den Martern der Kartaginenſer unterwarfen, oder in Hoͤlen ſtuͤrzten, aus welchen ein Schwefelgeſtank daͤmpf- te, wie Curtius. Doch es wurden auch nicht die chriſt- liche Anachoreten (Einſiedler) von der Liebe zur Wolluſt getrieben, um bei einer ſehr elenden Nahrung, von allem weiblichen Umgange frei, in Schmerzen und den bloſſen Sonnenſtrahlen ihr Leben zu zubringen. Die Nothwen- digkeit der Urſache hat ohnlaͤngſt die Philoſophen veran- laſt, ſubtil zu werden, und es iſt ihnen daran viel gele- gen, daß in uns nichts, als koͤrperliche Eigenſchaften ſtatt finden.
Die Vermengung der Empfindungen mit den Be- griffen, macht dieſen Streit zwiſchen zweierlei Willen (c*), den Streit des gegenwaͤrtigen Reizzes, und des zuvor ge- ſehenen kuͤnftigen Uebels, und bringt den Begrif eines moraliſchen Uebels hervor.: daher entſtehen die gegenſei- tigen Triebe, oder Willen der Waſſerſcheuen zu beiſſen, theils aus der gegenwaͤrtigen Wuth, theils ſich davon zu enthalten, aus den Begriffen des Wahren und Billigen, die in ihrem Gemuͤthe vorlaͤngſt Wurzel gefaſt haben; ſie warnen ihre Freunde, ſich ihnen nicht zu naͤhern, weil
ſie
(c*)BONNET pag. 301.
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Der Wille. XVII. Buch.
Abweſenheit gefaͤlliger Jdeen in der Seele. Jene Guͤter
zu ſuchen, dieſes Uebel zu meiden, beſchaͤftigt ſich der
Wille. Das Verlangen nach Guͤtern iſt eine Verab-
ſcheuung der Uebel. Es gruͤnden ſich aber darum dieſe
Guͤter oder Uebel nicht einzig und allein, wie man vor Kur-
zem hie und da behaupten wollte, auf die Empfindung;
ſondern ſie entſtehen zugleich auch aus abſtrakten Begrif-
fen, dergleichen die Hoffnung eines ewigen Lebens, und
die Liebe oder Furcht Gottes iſt. Es hat die Ehre naͤm-
lich nichts mit dieſen Sinnen gemein, wie ſich Helvetius
zu uͤberreden bemuͤht; indem die alten Roͤmer weder von
der Hoffnung der Verliebten, noch der Speiſe gereizt
wurden, noch einige koͤrperliche Wolluſt ſuchten, wenn
ſie ſich den Martern der Kartaginenſer unterwarfen, oder
in Hoͤlen ſtuͤrzten, aus welchen ein Schwefelgeſtank daͤmpf-
te, wie Curtius. Doch es wurden auch nicht die chriſt-
liche Anachoreten (Einſiedler) von der Liebe zur Wolluſt
getrieben, um bei einer ſehr elenden Nahrung, von allem
weiblichen Umgange frei, in Schmerzen und den bloſſen
Sonnenſtrahlen ihr Leben zu zubringen. Die Nothwen-
digkeit der Urſache hat ohnlaͤngſt die Philoſophen veran-
laſt, ſubtil zu werden, und es iſt ihnen daran viel gele-
gen, daß in uns nichts, als koͤrperliche Eigenſchaften ſtatt
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Die Vermengung der Empfindungen mit den Be-
griffen, macht dieſen Streit zwiſchen zweierlei Willen (c*),
den Streit des gegenwaͤrtigen Reizzes, und des zuvor ge-
ſehenen kuͤnftigen Uebels, und bringt den Begrif eines
moraliſchen Uebels hervor.: daher entſtehen die gegenſei-
tigen Triebe, oder Willen der Waſſerſcheuen zu beiſſen,
theils aus der gegenwaͤrtigen Wuth, theils ſich davon zu
enthalten, aus den Begriffen des Wahren und Billigen,
die in ihrem Gemuͤthe vorlaͤngſt Wurzel gefaſt haben; ſie
warnen ihre Freunde, ſich ihnen nicht zu naͤhern, weil
ſie
(c*) BONNET pag. 301.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1136>, abgerufen am 23.11.2024.
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