und die Werkzeuge der Empfindung sind zu wenig em- pfindlich.
Es leben viele solche Albernen in dem an uns angren- zenden Walliserlande, welche man Kretin zu nennen pflegt, sowol auf den Ebenen, als zwischen den Bergen, und welche nach Proportion der Gesunden, fast unzähl- bar, und von gesunden Eltern gebohren sind. Jhr Ge- sicht ist kaum menschlich, ihr Mund weit, voller Spei- chel, und oft haben sie Kröpfe; ihre Stimme klingt läp- pisch, und ihre Vernunft taugt zu keinen Geschäften des Lebens. Andre, die eben so zahlreich sind, bringen ihr ganzes Leben im Bette zu, und sind zu allen körperlichen Bewegungen ungeschikkt (u). Uebrigens leben sie lange (x), sind nicht viel besser, als das unvernünftige Vieh, und wissen sich noch weniger, aus eigner Vernunft, den Unterhalt zu verschaffen. Sie sind aber so stumpf an Empfindungen, daß ohnlängst jemand wegen angehäuf- ten Kotes starb, von welchem er so wenig Reiz fühlte, bis sein Mastdarm anderthalb Fus weit davon aufgetrie- ben wurde.
Diesen folgen Menschen mit Wasserköpfen zu nächst, wenigstens die mehresten Wasserköpfigen. Andre lei- den dergleichen Gemüthsschwäche, von vorangegangnem Schlage (y), vom schweren Gebrechen (z), von krampfi- gen Zufällen (a), welche sich bei dem Gebrauche des Horn- roggens (secale corniculatum) äussern. Bisweilen ent- steht dieses Uebel auch aus andern Krankheiten, und mo- ralischen Ursachen. Auch tolle Leute werden oft durch
Prügel
(u)[Spaltenumbruch]
Ein Kind, stumm, Taub, an Hand und Fus ohne Bewegung, und beinahe nur ein Vegetabile. FISCHER van der Natur. n. 795.
(x) Daß Närrische alt werden. VERULAM hist. vit. & mot. pag. 155. BATTIE on madness. p. 61. SWIFT war sehr mager, da er sei- nen Verstand hatte, und wurde fett, da er demselben verlohren hatte. BAKER adsect. anim. p. 20.
(y)[Spaltenumbruch]
Am L. HOFMANNO ein Weinen wider Willen. BAYER biograph. p. 47.
(z) Ein Exempel hat RUMLER obs. 53. G. v. SWIETEN T. III. p. 397. BATTIE on madness. pag. 61. phil. trans. Vol. L. P. 2. p. 841.
(a)FORST de sensib. intern. pag. 56.
Der Verſtand. XVII. Buch.
und die Werkzeuge der Empfindung ſind zu wenig em- pfindlich.
Es leben viele ſolche Albernen in dem an uns angren- zenden Walliſerlande, welche man Kretin zu nennen pflegt, ſowol auf den Ebenen, als zwiſchen den Bergen, und welche nach Proportion der Geſunden, faſt unzaͤhl- bar, und von geſunden Eltern gebohren ſind. Jhr Ge- ſicht iſt kaum menſchlich, ihr Mund weit, voller Spei- chel, und oft haben ſie Kroͤpfe; ihre Stimme klingt laͤp- piſch, und ihre Vernunft taugt zu keinen Geſchaͤften des Lebens. Andre, die eben ſo zahlreich ſind, bringen ihr ganzes Leben im Bette zu, und ſind zu allen koͤrperlichen Bewegungen ungeſchikkt (u). Uebrigens leben ſie lange (x), ſind nicht viel beſſer, als das unvernuͤnftige Vieh, und wiſſen ſich noch weniger, aus eigner Vernunft, den Unterhalt zu verſchaffen. Sie ſind aber ſo ſtumpf an Empfindungen, daß ohnlaͤngſt jemand wegen angehaͤuf- ten Kotes ſtarb, von welchem er ſo wenig Reiz fuͤhlte, bis ſein Maſtdarm anderthalb Fus weit davon aufgetrie- ben wurde.
Dieſen folgen Menſchen mit Waſſerkoͤpfen zu naͤchſt, wenigſtens die mehreſten Waſſerkoͤpfigen. Andre lei- den dergleichen Gemuͤthsſchwaͤche, von vorangegangnem Schlage (y), vom ſchweren Gebrechen (z), von krampfi- gen Zufaͤllen (a), welche ſich bei dem Gebrauche des Horn- roggens (ſecale corniculatum) aͤuſſern. Bisweilen ent- ſteht dieſes Uebel auch aus andern Krankheiten, und mo- raliſchen Urſachen. Auch tolle Leute werden oft durch
Pruͤgel
(u)[Spaltenumbruch]
Ein Kind, ſtumm, Taub, an Hand und Fus ohne Bewegung, und beinahe nur ein Vegetabile. FISCHER van der Natur. n. 795.
(x) Daß Naͤrriſche alt werden. VERULAM hiſt. vit. & mot. pag. 155. BATTIE on madneſſ. p. 61. SWIFT war ſehr mager, da er ſei- nen Verſtand hatte, und wurde fett, da er demſelben verlohren hatte. BAKER adſect. anim. p. 20.
(y)[Spaltenumbruch]
Am L. HOFMANNO ein Weinen wider Willen. BAYER biograph. p. 47.
(z) Ein Exempel hat RUMLER obſ. 53. G. v. SWIETEN T. III. p. 397. BATTIE on madneſſ. pag. 61. phil. tranſ. Vol. L. P. 2. p. 841.
(a)FORST de ſenſib. intern. pag. 56.
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Der Verſtand. XVII. Buch.
und die Werkzeuge der Empfindung ſind zu wenig em-
pfindlich.
Es leben viele ſolche Albernen in dem an uns angren-
zenden Walliſerlande, welche man Kretin zu nennen
pflegt, ſowol auf den Ebenen, als zwiſchen den Bergen,
und welche nach Proportion der Geſunden, faſt unzaͤhl-
bar, und von geſunden Eltern gebohren ſind. Jhr Ge-
ſicht iſt kaum menſchlich, ihr Mund weit, voller Spei-
chel, und oft haben ſie Kroͤpfe; ihre Stimme klingt laͤp-
piſch, und ihre Vernunft taugt zu keinen Geſchaͤften des
Lebens. Andre, die eben ſo zahlreich ſind, bringen ihr
ganzes Leben im Bette zu, und ſind zu allen koͤrperlichen
Bewegungen ungeſchikkt (u). Uebrigens leben ſie lange
(x), ſind nicht viel beſſer, als das unvernuͤnftige Vieh,
und wiſſen ſich noch weniger, aus eigner Vernunft, den
Unterhalt zu verſchaffen. Sie ſind aber ſo ſtumpf an
Empfindungen, daß ohnlaͤngſt jemand wegen angehaͤuf-
ten Kotes ſtarb, von welchem er ſo wenig Reiz fuͤhlte,
bis ſein Maſtdarm anderthalb Fus weit davon aufgetrie-
ben wurde.
Dieſen folgen Menſchen mit Waſſerkoͤpfen zu naͤchſt,
wenigſtens die mehreſten Waſſerkoͤpfigen. Andre lei-
den dergleichen Gemuͤthsſchwaͤche, von vorangegangnem
Schlage (y), vom ſchweren Gebrechen (z), von krampfi-
gen Zufaͤllen (a), welche ſich bei dem Gebrauche des Horn-
roggens (ſecale corniculatum) aͤuſſern. Bisweilen ent-
ſteht dieſes Uebel auch aus andern Krankheiten, und mo-
raliſchen Urſachen. Auch tolle Leute werden oft durch
Pruͤgel
(u)
Ein Kind, ſtumm, Taub,
an Hand und Fus ohne Bewegung,
und beinahe nur ein Vegetabile.
FISCHER van der Natur. n. 795.
(x) Daß Naͤrriſche alt werden.
VERULAM hiſt. vit. & mot. pag.
155. BATTIE on madneſſ. p. 61.
SWIFT war ſehr mager, da er ſei-
nen Verſtand hatte, und wurde fett,
da er demſelben verlohren hatte.
BAKER adſect. anim. p. 20.
(y)
Am L. HOFMANNO ein
Weinen wider Willen. BAYER
biograph. p. 47.
(z) Ein Exempel hat RUMLER
obſ. 53. G. v. SWIETEN T. III.
p. 397. BATTIE on madneſſ. pag.
61. phil. tranſ. Vol. L. P. 2. p. 841.
(a) FORST de ſenſib. intern.
pag. 56.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1122>, abgerufen am 23.11.2024.
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