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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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I. Abschnitt. Der Verstand.
der rothen, sie ist davon verschieden, und es sind die Ar-
ten von beiden in dem Gehirn verschieden; keine von bei-
den Farben aber können sagen, ich rothe Farbe bin von
der blauen unterschieden. Folglich mus ein Wesen in
uns sein, das von der rothen, und blauen Farbe ver-
schieden ist, und welches beide mit einander vergleicht, und
beide unterscheidet.

Ausserdem entdekken wir in einigen unsrer Wünsche
etwas, welches die Religionsspötter unsers Jahrhunderts
vergebens zu den körperlichen Wollüsten (t) rechnen wol-
len. Das Verlangen z. E. nach Ruhm, auch nach un-
serm Ableben, nach Ehre, die man sich durch Schmerzen,
durch den Tod erwirbt, und welche doch zu keinen kör-
perlichen Wollüsten führet: so wie weder die Begierde
zum Verstande in gelehrten Leuten, noch die Standhaf-
tigkeit in rechtschaffenen Männern, noch die Kühnheit
des Regulus, welcher einem grausamen Tode drozzte,
oder der tödtliche Sprung des Kurtius irgend ein körperli-
ches Vergnügen verschaffen können.

Endlich obgleich ein grosser Theil der Seelengeschäfte
von den Krankheiten des Körpers leidet, so ist es dennoch
gewis, daß die Seele öfters in der grösten Schwäche des
Leibes, die kurz vor dem Tode vorhergeht, auf eine be-
wundernswürdige Weise mit grosser Lebhaftigkeit (u) denkt,
empfindet und redet. Von allem diesem habe ich viele
Zeugnisse mit angesehen. Doch ich rede nur kürzlich da-
von: weil ich leicht einsehe, daß es vielen Aerzten einerlei
sei, von welcher Natur die Seele ist, da sie sich immer
unbekannt bleibt, wenn sie nur ihre Geschäfte verstehen.
Hier könnte man, von der obigen Erinnerung (u*) et-
was noch hinzufügen.

§. 11.
(t) [Spaltenumbruch] Vom HELVETIO.
(u) TRALLES hom. mach pag.
218.
(u*) [Spaltenumbruch] pag. 535.
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I. Abſchnitt. Der Verſtand.
der rothen, ſie iſt davon verſchieden, und es ſind die Ar-
ten von beiden in dem Gehirn verſchieden; keine von bei-
den Farben aber koͤnnen ſagen, ich rothe Farbe bin von
der blauen unterſchieden. Folglich mus ein Weſen in
uns ſein, das von der rothen, und blauen Farbe ver-
ſchieden iſt, und welches beide mit einander vergleicht, und
beide unterſcheidet.

Auſſerdem entdekken wir in einigen unſrer Wuͤnſche
etwas, welches die Religionsſpoͤtter unſers Jahrhunderts
vergebens zu den koͤrperlichen Wolluͤſten (t) rechnen wol-
len. Das Verlangen z. E. nach Ruhm, auch nach un-
ſerm Ableben, nach Ehre, die man ſich durch Schmerzen,
durch den Tod erwirbt, und welche doch zu keinen koͤr-
perlichen Wolluͤſten fuͤhret: ſo wie weder die Begierde
zum Verſtande in gelehrten Leuten, noch die Standhaf-
tigkeit in rechtſchaffenen Maͤnnern, noch die Kuͤhnheit
des Regulus, welcher einem grauſamen Tode drozzte,
oder der toͤdtliche Sprung des Kurtius irgend ein koͤrperli-
ches Vergnuͤgen verſchaffen koͤnnen.

Endlich obgleich ein groſſer Theil der Seelengeſchaͤfte
von den Krankheiten des Koͤrpers leidet, ſo iſt es dennoch
gewis, daß die Seele oͤfters in der groͤſten Schwaͤche des
Leibes, die kurz vor dem Tode vorhergeht, auf eine be-
wundernswuͤrdige Weiſe mit groſſer Lebhaftigkeit (u) denkt,
empfindet und redet. Von allem dieſem habe ich viele
Zeugniſſe mit angeſehen. Doch ich rede nur kuͤrzlich da-
von: weil ich leicht einſehe, daß es vielen Aerzten einerlei
ſei, von welcher Natur die Seele iſt, da ſie ſich immer
unbekannt bleibt, wenn ſie nur ihre Geſchaͤfte verſtehen.
Hier koͤnnte man, von der obigen Erinnerung (u*) et-
was noch hinzufuͤgen.

§. 11.
(t) [Spaltenumbruch] Vom HELVETIO.
(u) TRALLES hom. mach pag.
218.
(u*) [Spaltenumbruch] pag. 535.
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[1077/1095] I. Abſchnitt. Der Verſtand. der rothen, ſie iſt davon verſchieden, und es ſind die Ar- ten von beiden in dem Gehirn verſchieden; keine von bei- den Farben aber koͤnnen ſagen, ich rothe Farbe bin von der blauen unterſchieden. Folglich mus ein Weſen in uns ſein, das von der rothen, und blauen Farbe ver- ſchieden iſt, und welches beide mit einander vergleicht, und beide unterſcheidet. Auſſerdem entdekken wir in einigen unſrer Wuͤnſche etwas, welches die Religionsſpoͤtter unſers Jahrhunderts vergebens zu den koͤrperlichen Wolluͤſten (t) rechnen wol- len. Das Verlangen z. E. nach Ruhm, auch nach un- ſerm Ableben, nach Ehre, die man ſich durch Schmerzen, durch den Tod erwirbt, und welche doch zu keinen koͤr- perlichen Wolluͤſten fuͤhret: ſo wie weder die Begierde zum Verſtande in gelehrten Leuten, noch die Standhaf- tigkeit in rechtſchaffenen Maͤnnern, noch die Kuͤhnheit des Regulus, welcher einem grauſamen Tode drozzte, oder der toͤdtliche Sprung des Kurtius irgend ein koͤrperli- ches Vergnuͤgen verſchaffen koͤnnen. Endlich obgleich ein groſſer Theil der Seelengeſchaͤfte von den Krankheiten des Koͤrpers leidet, ſo iſt es dennoch gewis, daß die Seele oͤfters in der groͤſten Schwaͤche des Leibes, die kurz vor dem Tode vorhergeht, auf eine be- wundernswuͤrdige Weiſe mit groſſer Lebhaftigkeit (u) denkt, empfindet und redet. Von allem dieſem habe ich viele Zeugniſſe mit angeſehen. Doch ich rede nur kuͤrzlich da- von: weil ich leicht einſehe, daß es vielen Aerzten einerlei ſei, von welcher Natur die Seele iſt, da ſie ſich immer unbekannt bleibt, wenn ſie nur ihre Geſchaͤfte verſtehen. Hier koͤnnte man, von der obigen Erinnerung (u*) et- was noch hinzufuͤgen. §. 11. (t) Vom HELVETIO. (u) TRALLES hom. mach pag. 218. (u*) pag. 535. Y y y 3

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1077. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1095>, abgerufen am 23.11.2024.