gewust, wenn sie wieder aufgefrischt werden, für die ih- rige erkennt, so wie ihr diejenige angehören, welche durch Empfindungen, oder Gedanken eben jezzo in ihr entstehen.
Daß dieses Wesen nichts Körperliches sei, kann man aus vielen Gründen schliessen, welche wir kürzlich berüh- ren wollen. So ist gezeigt worden, daß ein jeder Kör- per seiner Richtung unverändert folge (q), so lange bis er durch eine andre Kraft von seinem Wege abgeleitet wird.
Hingegen ändert die Seele nach Belieben den Faden ihrer Gedanken, sie geht von diesen zu andern über, und es stekkt in diesen Gedanken keine Ursache, warum sie ei- nen neuen aufsuchen soll.
Es stellt sich ferner die Seele nicht eine einzige Jdee, sondern unendlich viele vor, die sie die ihrige nennt, und mit sich selbst vereinigt. Wenn nun der Vorrath des Gedächtnisses (r) keine Seele hätte, die sich diese Spuren eigen machte, so scheinet es zu geschehen, daß unter den Arten der Dinge, welche sich in diesem Vorrathshause befinden, eine jede einzeln für sich bleiben müste, und es würde unser ganzes Gedächtnis gleichsam eine Landkarte vorstellen, auf welcher kein Dorf zum andern gehörte. Man kann sich auch nicht vorstellen, wie ein Körper ein einziges Ding, und sich seiner Einfachheit und Person bewust sein könne, und sich dennoch so viel verschiedne Ar- ten von Dingen wesentlich machen werde. Nun ist die Seele weder eine einzige Empfindung, noch alle, sondern dasjenige Ding, welches sich diese alle zu eigen macht.
Doch es scheinet auch nicht die Urtheilskraft (s) dem Körper anzugehören. Es lieget die blaue Farbe neben
der
(q)[Spaltenumbruch]H. DITTON, MUSSCHEN- BROECK de anima se ipsam igno- rante p. 20.
(r) Ehedem BAYLE Conf. Mem. de l'Acad. de Berlin. T. XIII. p. 386.
(s)[Spaltenumbruch]
Körperlich macht es HEL- VETIUS l. c. p. 13 14. und die Be- urtheilungskraft überflüßig. IDEM pag. 18.
Der Verſtand. XVII. Buch.
gewuſt, wenn ſie wieder aufgefriſcht werden, fuͤr die ih- rige erkennt, ſo wie ihr diejenige angehoͤren, welche durch Empfindungen, oder Gedanken eben jezzo in ihr entſtehen.
Daß dieſes Weſen nichts Koͤrperliches ſei, kann man aus vielen Gruͤnden ſchlieſſen, welche wir kuͤrzlich beruͤh- ren wollen. So iſt gezeigt worden, daß ein jeder Koͤr- per ſeiner Richtung unveraͤndert folge (q), ſo lange bis er durch eine andre Kraft von ſeinem Wege abgeleitet wird.
Hingegen aͤndert die Seele nach Belieben den Faden ihrer Gedanken, ſie geht von dieſen zu andern uͤber, und es ſtekkt in dieſen Gedanken keine Urſache, warum ſie ei- nen neuen aufſuchen ſoll.
Es ſtellt ſich ferner die Seele nicht eine einzige Jdee, ſondern unendlich viele vor, die ſie die ihrige nennt, und mit ſich ſelbſt vereinigt. Wenn nun der Vorrath des Gedaͤchtniſſes (r) keine Seele haͤtte, die ſich dieſe Spuren eigen machte, ſo ſcheinet es zu geſchehen, daß unter den Arten der Dinge, welche ſich in dieſem Vorrathshauſe befinden, eine jede einzeln fuͤr ſich bleiben muͤſte, und es wuͤrde unſer ganzes Gedaͤchtnis gleichſam eine Landkarte vorſtellen, auf welcher kein Dorf zum andern gehoͤrte. Man kann ſich auch nicht vorſtellen, wie ein Koͤrper ein einziges Ding, und ſich ſeiner Einfachheit und Perſon bewuſt ſein koͤnne, und ſich dennoch ſo viel verſchiedne Ar- ten von Dingen weſentlich machen werde. Nun iſt die Seele weder eine einzige Empfindung, noch alle, ſondern dasjenige Ding, welches ſich dieſe alle zu eigen macht.
Doch es ſcheinet auch nicht die Urtheilskraft (s) dem Koͤrper anzugehoͤren. Es lieget die blaue Farbe neben
der
(q)[Spaltenumbruch]H. DITTON, MUSSCHEN- BROECK de anima ſe ipſam igno- rante p. 20.
(r) Ehedem BAYLE Conf. Mém. de l’Acad. de Berlin. T. XIII. p. 386.
(s)[Spaltenumbruch]
Koͤrperlich macht es HEL- VETIUS l. c. p. 13 14. und die Be- urtheilungskraft uͤberfluͤßig. IDEM pag. 18.
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Der Verſtand. XVII. Buch.
gewuſt, wenn ſie wieder aufgefriſcht werden, fuͤr die ih-
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Empfindungen, oder Gedanken eben jezzo in ihr entſtehen.
Daß dieſes Weſen nichts Koͤrperliches ſei, kann man
aus vielen Gruͤnden ſchlieſſen, welche wir kuͤrzlich beruͤh-
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per ſeiner Richtung unveraͤndert folge (q), ſo lange bis er
durch eine andre Kraft von ſeinem Wege abgeleitet wird.
Hingegen aͤndert die Seele nach Belieben den Faden
ihrer Gedanken, ſie geht von dieſen zu andern uͤber, und
es ſtekkt in dieſen Gedanken keine Urſache, warum ſie ei-
nen neuen aufſuchen ſoll.
Es ſtellt ſich ferner die Seele nicht eine einzige Jdee,
ſondern unendlich viele vor, die ſie die ihrige nennt, und
mit ſich ſelbſt vereinigt. Wenn nun der Vorrath des
Gedaͤchtniſſes (r) keine Seele haͤtte, die ſich dieſe Spuren
eigen machte, ſo ſcheinet es zu geſchehen, daß unter den
Arten der Dinge, welche ſich in dieſem Vorrathshauſe
befinden, eine jede einzeln fuͤr ſich bleiben muͤſte, und es
wuͤrde unſer ganzes Gedaͤchtnis gleichſam eine Landkarte
vorſtellen, auf welcher kein Dorf zum andern gehoͤrte.
Man kann ſich auch nicht vorſtellen, wie ein Koͤrper ein
einziges Ding, und ſich ſeiner Einfachheit und Perſon
bewuſt ſein koͤnne, und ſich dennoch ſo viel verſchiedne Ar-
ten von Dingen weſentlich machen werde. Nun iſt die
Seele weder eine einzige Empfindung, noch alle, ſondern
dasjenige Ding, welches ſich dieſe alle zu eigen macht.
Doch es ſcheinet auch nicht die Urtheilskraft (s) dem
Koͤrper anzugehoͤren. Es lieget die blaue Farbe neben
der
(q)
H. DITTON, MUSSCHEN-
BROECK de anima ſe ipſam igno-
rante p. 20.
(r) Ehedem BAYLE Conf. Mém.
de l’Acad. de Berlin. T. XIII. p.
386.
(s)
Koͤrperlich macht es HEL-
VETIUS l. c. p. 13 14. und die Be-
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1076. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1094>, abgerufen am 23.11.2024.
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