sind, und in einerlei Distanz vom Auge gestelt werden, denn es beweiset die gleiche Grösse dieses Winkels alsdann, daß die Körper gleich groß sind: wäre er grösser, so wür- de auch das Object grösser sein, und so würde das Object im Gegentheil kleiner sein, welches unter einem kleinern Winkel erscheinet. Jch sage aber darum nicht, die See- le messe diese Winkel aus, denn sie kennet dieselben nicht (k): ich will nur so viel sagen, daß die Jdee der Grösse, Kraft des ewigen Gesezzes von Gott, mit diesem Winkel verbunden sei.
Nun irren wir, wenn wir blos aus diesem Winkel urtheilen wollen, und wir irren hiebei auf eine vielfache Art: erstlich wenn diese Körper auf verschiedene Weise leuchten. Denn da der Sehwinkel mit dem Maaß der Strahlenwinkel einerlei ist, die beide Körper von sich las- sen, so geschicht es, daß uns aus gleichem Grunde, auch diejenigen Körper grösser zu sein scheinen (l), welche hel- ler sind, und hievon geben uns die Fakkeln und Lichter ein Exempel. Wir irren aber um so viel mehr, je ent- fernter diese leuchtende Körper von uns sind. Denn da uns entfernte Dinge gemeiniglich dunkel vorkommen, und uns wenig rühren, so urtheilen wir, daß sie sehr groß sein müssen, weil sie weit von uns und dennoch helle sind. Jch habe öfters bemerket, wenn ich spazzieren gegangen, daß mir die Flamme einer Wachskerze um desto grösser vorgekommen, je weiter ich davon zurükk getreten, und sie wurde immer kleiner, je näher ich ihr kam. Eden so erinnere ich mich, bei der Feuersbrunst entfernter Dör- fer, daß mir die Leute dabei fast von Riesen Grösse ge- schienen.
Wir irren auf eine andere Weise wieder, sobald Kör- per von deren Grösse wir urtheilen, nicht gleich weit ab- stehen. Denn da der Winkel, nach welchen wir die Grösse
messen,
(k)[Spaltenumbruch]BERKLEY p. 256.
(l)[Spaltenumbruch]BAYLE p. 483. BERKLEY p. 259. SCHEINER p. 132. 133.
Das Sehen. XVI. Buch.
ſind, und in einerlei Diſtanz vom Auge geſtelt werden, denn es beweiſet die gleiche Groͤſſe dieſes Winkels alsdann, daß die Koͤrper gleich groß ſind: waͤre er groͤſſer, ſo wuͤr- de auch das Object groͤſſer ſein, und ſo wuͤrde das Object im Gegentheil kleiner ſein, welches unter einem kleinern Winkel erſcheinet. Jch ſage aber darum nicht, die See- le meſſe dieſe Winkel aus, denn ſie kennet dieſelben nicht (k): ich will nur ſo viel ſagen, daß die Jdee der Groͤſſe, Kraft des ewigen Geſezzes von Gott, mit dieſem Winkel verbunden ſei.
Nun irren wir, wenn wir blos aus dieſem Winkel urtheilen wollen, und wir irren hiebei auf eine vielfache Art: erſtlich wenn dieſe Koͤrper auf verſchiedene Weiſe leuchten. Denn da der Sehwinkel mit dem Maaß der Strahlenwinkel einerlei iſt, die beide Koͤrper von ſich laſ- ſen, ſo geſchicht es, daß uns aus gleichem Grunde, auch diejenigen Koͤrper groͤſſer zu ſein ſcheinen (l), welche hel- ler ſind, und hievon geben uns die Fakkeln und Lichter ein Exempel. Wir irren aber um ſo viel mehr, je ent- fernter dieſe leuchtende Koͤrper von uns ſind. Denn da uns entfernte Dinge gemeiniglich dunkel vorkommen, und uns wenig ruͤhren, ſo urtheilen wir, daß ſie ſehr groß ſein muͤſſen, weil ſie weit von uns und dennoch helle ſind. Jch habe oͤfters bemerket, wenn ich ſpazzieren gegangen, daß mir die Flamme einer Wachskerze um deſto groͤſſer vorgekommen, je weiter ich davon zuruͤkk getreten, und ſie wurde immer kleiner, je naͤher ich ihr kam. Eden ſo erinnere ich mich, bei der Feuersbrunſt entfernter Doͤr- fer, daß mir die Leute dabei faſt von Rieſen Groͤſſe ge- ſchienen.
Wir irren auf eine andere Weiſe wieder, ſobald Koͤr- per von deren Groͤſſe wir urtheilen, nicht gleich weit ab- ſtehen. Denn da der Winkel, nach welchen wir die Groͤſſe
meſſen,
(k)[Spaltenumbruch]BERKLEY p. 256.
(l)[Spaltenumbruch]BAYLE p. 483. BERKLEY p. 259. SCHEINER p. 132. 133.
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Das Sehen. XVI. Buch.
ſind, und in einerlei Diſtanz vom Auge geſtelt werden,
denn es beweiſet die gleiche Groͤſſe dieſes Winkels alsdann,
daß die Koͤrper gleich groß ſind: waͤre er groͤſſer, ſo wuͤr-
de auch das Object groͤſſer ſein, und ſo wuͤrde das Object
im Gegentheil kleiner ſein, welches unter einem kleinern
Winkel erſcheinet. Jch ſage aber darum nicht, die See-
le meſſe dieſe Winkel aus, denn ſie kennet dieſelben nicht
(k): ich will nur ſo viel ſagen, daß die Jdee der Groͤſſe,
Kraft des ewigen Geſezzes von Gott, mit dieſem Winkel
verbunden ſei.
Nun irren wir, wenn wir blos aus dieſem Winkel
urtheilen wollen, und wir irren hiebei auf eine vielfache
Art: erſtlich wenn dieſe Koͤrper auf verſchiedene Weiſe
leuchten. Denn da der Sehwinkel mit dem Maaß der
Strahlenwinkel einerlei iſt, die beide Koͤrper von ſich laſ-
ſen, ſo geſchicht es, daß uns aus gleichem Grunde, auch
diejenigen Koͤrper groͤſſer zu ſein ſcheinen (l), welche hel-
ler ſind, und hievon geben uns die Fakkeln und Lichter
ein Exempel. Wir irren aber um ſo viel mehr, je ent-
fernter dieſe leuchtende Koͤrper von uns ſind. Denn da
uns entfernte Dinge gemeiniglich dunkel vorkommen, und
uns wenig ruͤhren, ſo urtheilen wir, daß ſie ſehr groß
ſein muͤſſen, weil ſie weit von uns und dennoch helle ſind.
Jch habe oͤfters bemerket, wenn ich ſpazzieren gegangen,
daß mir die Flamme einer Wachskerze um deſto groͤſſer
vorgekommen, je weiter ich davon zuruͤkk getreten, und
ſie wurde immer kleiner, je naͤher ich ihr kam. Eden ſo
erinnere ich mich, bei der Feuersbrunſt entfernter Doͤr-
fer, daß mir die Leute dabei faſt von Rieſen Groͤſſe ge-
ſchienen.
Wir irren auf eine andere Weiſe wieder, ſobald Koͤr-
per von deren Groͤſſe wir urtheilen, nicht gleich weit ab-
ſtehen. Denn da der Winkel, nach welchen wir die Groͤſſe
meſſen,
(k)
BERKLEY p. 256.
(l)
BAYLE p. 483. BERKLEY
p. 259. SCHEINER p. 132. 133.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1030. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1048>, abgerufen am 23.11.2024.
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