Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Stimme. IX. Buch.
ihm die Namen der Dinge, und die Sprache in das Gemüth (c).
Der Leser wird mich entschuldigen, daß ich hier de Grundzüge ei-
ner der schönsten Künste berühren wollen.

§. 14.
Noch eine andre Weise, wie man Taube unterrichten könne.

Jch muß noch von einer Kunst Meldung thun, die zwar ei-
gentlich nicht hierher gehöret, vermöge welcher aber Stumme nicht
lernen, die Werkzeuge der Stimme recht zu gebrauchen, sondern
man kömmt ihnen vielmehr mit einem andern Gehörwerkzeuge zu
Hülfe, auf welches man indessen doch durch die Beobachtung der
Natur gefallen ist. Es theilen sich nemlich die schallenden Zitte-
rungen, welche unser träges Ohr nicht gewahr wird, den Knochen
des Kopfes mit, und sie gelangen also, ohne die Umwege der
Trommelhaut zu berühren, zum Gehörnerven. Es kann also ein
klingender Körper auf den Kopf des Kranken angelegt (d), oder, wel-
ches noch besser ist, ein Stäbchen in dem Mund des Redenden,
und zwischen die Zähne dessen, der es hören will, genommen wer-
den. Solchergestalt zwingt die Luft, welche aus der Glottis des
redenden Menschen fähret, das Stäbchen, Schwingungen anzu-
nehmen, indessen daß der taube diese Zitterungen wahrnimmt (e).
Jn der That unterscheidet der taube genau den Ton der Zitter,
wenn er den Finger daran hält, und wenn er die Hand des Reden-
den ergreifet, so weiß er seine Stimme, nebst den Silben, durch das
Zittern zu unterscheiden (f). Ein anderer tauber nahm ein Horn
in den Mund, und hörete damit die Gespräche an (g), ja es be-
richtet J. Bapt. Porta, daß, wenn man dergleichen zwischen den
Zähnen hielte, ein tauber den Schall der Jnstrumenten hören
könne (h). Endlich konnte eine Jungfer, welche taub war,
mit den Augen hören, wenn man ihr auf den Arm, die Stirn
oder den Rükken Buchstaben aufschrieb, und sie wuste den Ge-
danken des Schreibers geschwinde zu treffen (i).

Regi-
(c) S. 103. 104.
(d) Gautier in seinen obs. phys.
(e) Jorissen diss. de nova
methodo, surdos reddendi audien-
res,
Halle 1757. eavmer de surd.
a nativ. cur. Commerc. Litt. Norimb.
1743. hebdom.
12.
(f) [Spaltenumbruch] kaavw de perspir. n. 1100.
Dieser bekannte Mann hörete selbst
nach der Erfahrung, daß er sogar die
Fehler der Redenden zu unterscheiden
wußte, impet. fac. n. 372.
(g) welsch episagm. obs. 24.
(h) Magia nat. Lib. XX. c. 1.
monroo de nervis.
S. 376.
(i) Journ. de Medec. 1657. Juin.
Ende des dritten Theils.

Die Stimme. IX. Buch.
ihm die Namen der Dinge, und die Sprache in das Gemuͤth (c).
Der Leſer wird mich entſchuldigen, daß ich hier de Grundzuͤge ei-
ner der ſchoͤnſten Kuͤnſte beruͤhren wollen.

§. 14.
Noch eine andre Weiſe, wie man Taube unterrichten koͤnne.

Jch muß noch von einer Kunſt Meldung thun, die zwar ei-
gentlich nicht hierher gehoͤret, vermoͤge welcher aber Stumme nicht
lernen, die Werkzeuge der Stimme recht zu gebrauchen, ſondern
man koͤmmt ihnen vielmehr mit einem andern Gehoͤrwerkzeuge zu
Huͤlfe, auf welches man indeſſen doch durch die Beobachtung der
Natur gefallen iſt. Es theilen ſich nemlich die ſchallenden Zitte-
rungen, welche unſer traͤges Ohr nicht gewahr wird, den Knochen
des Kopfes mit, und ſie gelangen alſo, ohne die Umwege der
Trommelhaut zu beruͤhren, zum Gehoͤrnerven. Es kann alſo ein
klingender Koͤrper auf den Kopf des Kranken angelegt (d), oder, wel-
ches noch beſſer iſt, ein Staͤbchen in dem Mund des Redenden,
und zwiſchen die Zaͤhne deſſen, der es hoͤren will, genommen wer-
den. Solchergeſtalt zwingt die Luft, welche aus der Glottis des
redenden Menſchen faͤhret, das Staͤbchen, Schwingungen anzu-
nehmen, indeſſen daß der taube dieſe Zitterungen wahrnimmt (e).
Jn der That unterſcheidet der taube genau den Ton der Zitter,
wenn er den Finger daran haͤlt, und wenn er die Hand des Reden-
den ergreifet, ſo weiß er ſeine Stimme, nebſt den Silben, durch das
Zittern zu unterſcheiden (f). Ein anderer tauber nahm ein Horn
in den Mund, und hoͤrete damit die Geſpraͤche an (g), ja es be-
richtet J. Bapt. Porta, daß, wenn man dergleichen zwiſchen den
Zaͤhnen hielte, ein tauber den Schall der Jnſtrumenten hoͤren
koͤnne (h). Endlich konnte eine Jungfer, welche taub war,
mit den Augen hoͤren, wenn man ihr auf den Arm, die Stirn
oder den Ruͤkken Buchſtaben aufſchrieb, und ſie wuſte den Ge-
danken des Schreibers geſchwinde zu treffen (i).

Regi-
(c) S. 103. 104.
(d) Gautier in ſeinen obſ. phyſ.
(e) Joriſſen diſſ. de nova
methodo, ſurdos reddendi audien-
res,
Halle 1757. eavmer de ſurd.
a nativ. cur. Commerc. Litt. Norimb.
1743. hebdom.
12.
(f) [Spaltenumbruch] kaavw de perſpir. n. 1100.
Dieſer bekannte Mann hoͤrete ſelbſt
nach der Erfahrung, daß er ſogar die
Fehler der Redenden zu unterſcheiden
wußte, impet. fac. n. 372.
(g) welſch epiſagm. obſ. 24.
(h) Magia nat. Lib. XX. c. 1.
monroo de nervis.
S. 376.
(i) Journ. de Medec. 1657. Juin.
Ende des dritten Theils.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0758" n="750[752]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Stimme. <hi rendition="#aq">IX.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
ihm die Namen der Dinge, und die Sprache in das Gemu&#x0364;th <note place="foot" n="(c)">S. 103. 104.</note>.<lb/>
Der Le&#x017F;er wird mich ent&#x017F;chuldigen, daß ich hier de Grundzu&#x0364;ge ei-<lb/>
ner der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Ku&#x0364;n&#x017F;te beru&#x0364;hren wollen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 14.<lb/><hi rendition="#b">Noch eine andre Wei&#x017F;e, wie man Taube unterrichten ko&#x0364;nne.</hi></head><lb/>
            <p>Jch muß noch von einer Kun&#x017F;t Meldung thun, die zwar ei-<lb/>
gentlich nicht hierher geho&#x0364;ret, vermo&#x0364;ge welcher aber Stumme nicht<lb/>
lernen, die Werkzeuge der Stimme recht zu gebrauchen, &#x017F;ondern<lb/>
man ko&#x0364;mmt ihnen vielmehr mit einem andern Geho&#x0364;rwerkzeuge zu<lb/>
Hu&#x0364;lfe, auf welches man inde&#x017F;&#x017F;en doch durch die Beobachtung der<lb/>
Natur gefallen i&#x017F;t. Es theilen &#x017F;ich nemlich die &#x017F;challenden Zitte-<lb/>
rungen, welche un&#x017F;er tra&#x0364;ges Ohr nicht gewahr wird, den Knochen<lb/>
des Kopfes mit, und &#x017F;ie gelangen al&#x017F;o, ohne die Umwege der<lb/>
Trommelhaut zu beru&#x0364;hren, zum Geho&#x0364;rnerven. Es kann al&#x017F;o ein<lb/>
klingender Ko&#x0364;rper auf den Kopf des Kranken angelegt <note place="foot" n="(d)"><hi rendition="#fr">Gautier</hi> in &#x017F;einen <hi rendition="#aq">ob&#x017F;. phy&#x017F;.</hi></note>, oder, wel-<lb/>
ches noch be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t, ein Sta&#x0364;bchen in dem Mund des Redenden,<lb/>
und zwi&#x017F;chen die Za&#x0364;hne de&#x017F;&#x017F;en, der es ho&#x0364;ren will, genommen wer-<lb/>
den. Solcherge&#x017F;talt zwingt die Luft, welche aus der Glottis des<lb/>
redenden Men&#x017F;chen fa&#x0364;hret, das Sta&#x0364;bchen, Schwingungen anzu-<lb/>
nehmen, inde&#x017F;&#x017F;en daß der taube die&#x017F;e Zitterungen wahrnimmt <note place="foot" n="(e)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">Jori&#x017F;&#x017F;en</hi></hi> di&#x017F;&#x017F;. de nova<lb/>
methodo, &#x017F;urdos reddendi audien-<lb/>
res,</hi> Halle 1757. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">eavmer</hi></hi> de &#x017F;urd.<lb/>
a nativ. cur. Commerc. Litt. Norimb.<lb/>
1743. hebdom.</hi> 12.</note>.<lb/>
Jn der That unter&#x017F;cheidet der taube genau den Ton der Zitter,<lb/>
wenn er den Finger daran ha&#x0364;lt, und wenn er die Hand des Reden-<lb/>
den ergreifet, &#x017F;o weiß er &#x017F;eine Stimme, neb&#x017F;t den Silben, durch das<lb/>
Zittern zu unter&#x017F;cheiden <note place="foot" n="(f)"><cb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">kaavw</hi></hi> de per&#x017F;pir. n.</hi> 1100.<lb/>
Die&#x017F;er bekannte Mann ho&#x0364;rete &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nach der Erfahrung, daß er &#x017F;ogar die<lb/>
Fehler der Redenden zu unter&#x017F;cheiden<lb/>
wußte, <hi rendition="#aq">impet. fac. n.</hi> 372.</note>. Ein anderer tauber nahm ein Horn<lb/>
in den Mund, und ho&#x0364;rete damit die Ge&#x017F;pra&#x0364;che an <note place="foot" n="(g)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">wel&#x017F;ch</hi></hi> epi&#x017F;agm. ob&#x017F;.</hi> 24.</note>, ja es be-<lb/>
richtet <hi rendition="#fr">J. Bapt. Porta,</hi> daß, wenn man dergleichen zwi&#x017F;chen den<lb/>
Za&#x0364;hnen hielte, ein tauber den Schall der Jn&#x017F;trumenten ho&#x0364;ren<lb/>
ko&#x0364;nne <note place="foot" n="(h)"><hi rendition="#aq">Magia nat. Lib. XX. c. 1.<lb/><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">monroo</hi></hi> de nervis.</hi> S. 376.</note>. Endlich konnte eine Jungfer, welche taub war,<lb/>
mit den Augen ho&#x0364;ren, wenn man ihr auf den Arm, die Stirn<lb/>
oder den Ru&#x0364;kken Buch&#x017F;taben auf&#x017F;chrieb, und &#x017F;ie wu&#x017F;te den Ge-<lb/>
danken des Schreibers ge&#x017F;chwinde zu treffen <note place="foot" n="(i)"><hi rendition="#aq">Journ. de Medec. 1657. Juin.</hi></note>.</p>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig"> <hi rendition="#fr">Ende des dritten Theils.</hi> </fw>
      <fw place="bottom" type="catch">Regi-</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[750[752]/0758] Die Stimme. IX. Buch. ihm die Namen der Dinge, und die Sprache in das Gemuͤth (c). Der Leſer wird mich entſchuldigen, daß ich hier de Grundzuͤge ei- ner der ſchoͤnſten Kuͤnſte beruͤhren wollen. §. 14. Noch eine andre Weiſe, wie man Taube unterrichten koͤnne. Jch muß noch von einer Kunſt Meldung thun, die zwar ei- gentlich nicht hierher gehoͤret, vermoͤge welcher aber Stumme nicht lernen, die Werkzeuge der Stimme recht zu gebrauchen, ſondern man koͤmmt ihnen vielmehr mit einem andern Gehoͤrwerkzeuge zu Huͤlfe, auf welches man indeſſen doch durch die Beobachtung der Natur gefallen iſt. Es theilen ſich nemlich die ſchallenden Zitte- rungen, welche unſer traͤges Ohr nicht gewahr wird, den Knochen des Kopfes mit, und ſie gelangen alſo, ohne die Umwege der Trommelhaut zu beruͤhren, zum Gehoͤrnerven. Es kann alſo ein klingender Koͤrper auf den Kopf des Kranken angelegt (d), oder, wel- ches noch beſſer iſt, ein Staͤbchen in dem Mund des Redenden, und zwiſchen die Zaͤhne deſſen, der es hoͤren will, genommen wer- den. Solchergeſtalt zwingt die Luft, welche aus der Glottis des redenden Menſchen faͤhret, das Staͤbchen, Schwingungen anzu- nehmen, indeſſen daß der taube dieſe Zitterungen wahrnimmt (e). Jn der That unterſcheidet der taube genau den Ton der Zitter, wenn er den Finger daran haͤlt, und wenn er die Hand des Reden- den ergreifet, ſo weiß er ſeine Stimme, nebſt den Silben, durch das Zittern zu unterſcheiden (f). Ein anderer tauber nahm ein Horn in den Mund, und hoͤrete damit die Geſpraͤche an (g), ja es be- richtet J. Bapt. Porta, daß, wenn man dergleichen zwiſchen den Zaͤhnen hielte, ein tauber den Schall der Jnſtrumenten hoͤren koͤnne (h). Endlich konnte eine Jungfer, welche taub war, mit den Augen hoͤren, wenn man ihr auf den Arm, die Stirn oder den Ruͤkken Buchſtaben aufſchrieb, und ſie wuſte den Ge- danken des Schreibers geſchwinde zu treffen (i). Regi- (c) S. 103. 104. (d) Gautier in ſeinen obſ. phyſ. (e) Joriſſen diſſ. de nova methodo, ſurdos reddendi audien- res, Halle 1757. eavmer de ſurd. a nativ. cur. Commerc. Litt. Norimb. 1743. hebdom. 12. (f) kaavw de perſpir. n. 1100. Dieſer bekannte Mann hoͤrete ſelbſt nach der Erfahrung, daß er ſogar die Fehler der Redenden zu unterſcheiden wußte, impet. fac. n. 372. (g) welſch epiſagm. obſ. 24. (h) Magia nat. Lib. XX. c. 1. monroo de nervis. S. 376. (i) Journ. de Medec. 1657. Juin. Ende des dritten Theils.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/758
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 750[752]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/758>, abgerufen am 23.11.2024.