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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759.

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Ursachen des Herzschlages.
von denen ungleich wunderbarern Geschichten gedenken,
sondern nur noch mit wenigen diejenige merkwürdige Be-
gebenheit berühren, welche sich mit einem vornehmen
Manne zugetragen, der ganzer sechs Wochen als ein Ver-
storbener gelegen, und seine Beerdigung erwartet hat (s),
dem ohngeachtet aber doch von selbsten wieder zu sich ge-
kommen und gesund worden: ingleichen auch eine ande-
re von der sehr bekannten Frauensperson, von welcher
Empedocles (t) und das ganze Alterthum, als von ei-
ner apnou (unbeseelten) redet, da sie dreißig Tage, ohne A-
them zu holen, und folglich ohne Pulsschlag, gelebt hat-
te. Es erlangen diese wunderbare Geschichte in der
That, nicht nur von dem langwierigen Leben der Rau-
penpuppen allein, welche ohne einen Pulsschlag da lie-
gen, sondern auch durch das Exempel einiger Jnsekten,
ihre Glaubwürdigkeit. Denn es gibt das Räderthier-
chen (u), wenn es ausser dem Wasser ganz trokken und
fast zu Staub geworden, kein Zeichen des Lebens von
sich; hingegen fängt es den Augenblik wieder an im
Wasser zu leben, und seine Räder auszubreiten. Die
Aelchen, die man im verdorbenen Getreide findet (x), lie-
gen viele Jahre unbeweglich im verdorbenen Mehle stil-
le, und wenn man sie in das Wasser bringt, so nehmen
sie alsobald ihre willkührliche Bewegungen wieder an.

Hieraus erhellet also, daß die Bewegung des Herzens
lange Zeit unterbrochen, und nach langem Stillestehen
wieder hergestellet werden könne. Wenn nun aber nach
dergleichen Ohnmachten das Herz wieder von neuem sei-
ne Bewegbarkeit erhalten hat, und durch keine Gewohn-
heit die Empfindung oder der Wille der Seelen ist ein-

geschlä-
(s) [Spaltenumbruch] Grau Waestmanland, S.
257. 258.
(t) Suidas S. 269. Es haben
nämlich Pausanias, und andre
unter denen Alten, peri apnou
geschrieben.
(u) [Spaltenumbruch] Baker am angef. Ort S.
269.
(x) Ebenders. ebendas. S. 254.
255.

Urſachen des Herzſchlages.
von denen ungleich wunderbarern Geſchichten gedenken,
ſondern nur noch mit wenigen diejenige merkwuͤrdige Be-
gebenheit beruͤhren, welche ſich mit einem vornehmen
Manne zugetragen, der ganzer ſechs Wochen als ein Ver-
ſtorbener gelegen, und ſeine Beerdigung erwartet hat (s),
dem ohngeachtet aber doch von ſelbſten wieder zu ſich ge-
kommen und geſund worden: ingleichen auch eine ande-
re von der ſehr bekannten Frauensperſon, von welcher
Empedocles (t) und das ganze Alterthum, als von ei-
ner απνου (unbeſeelten) redet, da ſie dreißig Tage, ohne A-
them zu holen, und folglich ohne Pulsſchlag, gelebt hat-
te. Es erlangen dieſe wunderbare Geſchichte in der
That, nicht nur von dem langwierigen Leben der Rau-
penpuppen allein, welche ohne einen Pulsſchlag da lie-
gen, ſondern auch durch das Exempel einiger Jnſekten,
ihre Glaubwuͤrdigkeit. Denn es gibt das Raͤderthier-
chen (u), wenn es auſſer dem Waſſer ganz trokken und
faſt zu Staub geworden, kein Zeichen des Lebens von
ſich; hingegen faͤngt es den Augenblik wieder an im
Waſſer zu leben, und ſeine Raͤder auszubreiten. Die
Aelchen, die man im verdorbenen Getreide findet (x), lie-
gen viele Jahre unbeweglich im verdorbenen Mehle ſtil-
le, und wenn man ſie in das Waſſer bringt, ſo nehmen
ſie alſobald ihre willkuͤhrliche Bewegungen wieder an.

Hieraus erhellet alſo, daß die Bewegung des Herzens
lange Zeit unterbrochen, und nach langem Stilleſtehen
wieder hergeſtellet werden koͤnne. Wenn nun aber nach
dergleichen Ohnmachten das Herz wieder von neuem ſei-
ne Bewegbarkeit erhalten hat, und durch keine Gewohn-
heit die Empfindung oder der Wille der Seelen iſt ein-

geſchlaͤ-
(s) [Spaltenumbruch] Grau Wæſtmanland, S.
257. 258.
(t) Suidas S. 269. Es haben
naͤmlich Pauſanias, und andre
unter denen Alten, περι απνου
geſchrieben.
(u) [Spaltenumbruch] Baker am angef. Ort S.
269.
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255.
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[927/0983] Urſachen des Herzſchlages. von denen ungleich wunderbarern Geſchichten gedenken, ſondern nur noch mit wenigen diejenige merkwuͤrdige Be- gebenheit beruͤhren, welche ſich mit einem vornehmen Manne zugetragen, der ganzer ſechs Wochen als ein Ver- ſtorbener gelegen, und ſeine Beerdigung erwartet hat (s), dem ohngeachtet aber doch von ſelbſten wieder zu ſich ge- kommen und geſund worden: ingleichen auch eine ande- re von der ſehr bekannten Frauensperſon, von welcher Empedocles (t) und das ganze Alterthum, als von ei- ner απνου (unbeſeelten) redet, da ſie dreißig Tage, ohne A- them zu holen, und folglich ohne Pulsſchlag, gelebt hat- te. Es erlangen dieſe wunderbare Geſchichte in der That, nicht nur von dem langwierigen Leben der Rau- penpuppen allein, welche ohne einen Pulsſchlag da lie- gen, ſondern auch durch das Exempel einiger Jnſekten, ihre Glaubwuͤrdigkeit. Denn es gibt das Raͤderthier- chen (u), wenn es auſſer dem Waſſer ganz trokken und faſt zu Staub geworden, kein Zeichen des Lebens von ſich; hingegen faͤngt es den Augenblik wieder an im Waſſer zu leben, und ſeine Raͤder auszubreiten. Die Aelchen, die man im verdorbenen Getreide findet (x), lie- gen viele Jahre unbeweglich im verdorbenen Mehle ſtil- le, und wenn man ſie in das Waſſer bringt, ſo nehmen ſie alſobald ihre willkuͤhrliche Bewegungen wieder an. Hieraus erhellet alſo, daß die Bewegung des Herzens lange Zeit unterbrochen, und nach langem Stilleſtehen wieder hergeſtellet werden koͤnne. Wenn nun aber nach dergleichen Ohnmachten das Herz wieder von neuem ſei- ne Bewegbarkeit erhalten hat, und durch keine Gewohn- heit die Empfindung oder der Wille der Seelen iſt ein- geſchlaͤ- (s) Grau Wæſtmanland, S. 257. 258. (t) Suidas S. 269. Es haben naͤmlich Pauſanias, und andre unter denen Alten, περι απνου geſchrieben. (u) Baker am angef. Ort S. 269. (x) Ebenderſ. ebendaſ. S. 254. 255.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 927. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/983>, abgerufen am 23.11.2024.