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Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 1. Hamburg, 1742.

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anacreontisch zu seyn, so wie die anacreontischen, nur aus wenigen
Zeilen, oder aus einer Strophe bestehen, dergleichen in den
Sammlungen französischer Lieder häufig anzutreffen sind. Und
diese mögen den Guardian veranlasset haben, den Franzosen hier
vorzuwerfen, daß sie viele Sinngedichte zu Liedern machen. Viel-
leicht aber hat er auch nur auf die zu epigrammatischen und zu
sinnreichen Einfälle des spielenden Witzes gesehen, die in vielen
französischen Liedern vorkommen, und freylich dem Character der
Oden und der Lieder zuwider sind. 23

Wie sehr auch die satyrische Moral an den Liedern der Alten
Antheil gehabt, das beweisen nicht nur Archilochus und Horaz,
sondern es erhellet auch aus dem Beyspiel des Demodocus beym
Homer, der dem wollüstigen Könige Alcinous und seinen Lieblingen
von den schändlichen Abentheuern der Venus und des Kriegsgottes
ein Lied sang, in welchem Plutarch, Suidas und andere Critici
nicht so sehr eine Allegorie, als eine feine Satyre auf den Hof und
die Sitten der weichlichen Phäacer zu entdecken wissen; obwohl
einige, insonderheit Scaliger und Cerda, in diesem Liede mehr
Lustreizungen, als Tadel, finden wollen. 24 Virgil ist desto be-

scheidener.
23 [Spaltenumbruch] Sublimes itaque possunt esse Odae,
vel humiliores; jocosae, vel seriae; tri-
stes, vel laetae: satyricae etiam interdum;
nunquam epigrammaticae. Ingeniosae
sunt quidem; sed ab isto ingenii fluxu,
quod Epigrammati proprium est, penitus
abhorrent. Trapp, in Praelect. poetic.
Voll. II. p.
99.
24 [Spaltenumbruch] Es können hievon die Anmerkun-
gen des Hn. Pope zu seiner Odyss. Voll. II.
p. 157. v.
307. und die Proginnasmi Poe-
tici di Udeno Nisiely, Academico Apatista,

die den gelehrten Benedetto Fioretti zum
Verfasser haben und zu Florenz 1695.
herausgekommen sind, im 5ten Bande,
Proginn. XLIV. p. 199-203 nachgesehen
werden.

anacreontiſch zu ſeyn, ſo wie die anacreontiſchen, nur aus wenigen
Zeilen, oder aus einer Strophe beſtehen, dergleichen in den
Sammlungen franzoͤſiſcher Lieder haͤufig anzutreffen ſind. Und
dieſe moͤgen den Guardian veranlaſſet haben, den Franzoſen hier
vorzuwerfen, daß ſie viele Sinngedichte zu Liedern machen. Viel-
leicht aber hat er auch nur auf die zu epigrammatiſchen und zu
ſinnreichen Einfaͤlle des ſpielenden Witzes geſehen, die in vielen
franzoͤſiſchen Liedern vorkommen, und freylich dem Character der
Oden und der Lieder zuwider ſind. 23

Wie ſehr auch die ſatyriſche Moral an den Liedern der Alten
Antheil gehabt, das beweiſen nicht nur Archilochus und Horaz,
ſondern es erhellet auch aus dem Beyſpiel des Demodocus beym
Homer, der dem wolluͤſtigen Koͤnige Alcinous und ſeinen Lieblingen
von den ſchaͤndlichen Abentheuern der Venus und des Kriegsgottes
ein Lied ſang, in welchem Plutarch, Suidas und andere Critici
nicht ſo ſehr eine Allegorie, als eine feine Satyre auf den Hof und
die Sitten der weichlichen Phaͤacer zu entdecken wiſſen; obwohl
einige, inſonderheit Scaliger und Cerda, in dieſem Liede mehr
Luſtreizungen, als Tadel, finden wollen. 24 Virgil iſt deſto be-

ſcheidener.
23 [Spaltenumbruch] Sublimes itaque poſſunt eſſe Odæ,
vel humiliores; jocoſæ, vel ſeriæ; tri-
ſtes, vel lætæ: ſatyricæ etiam interdum;
nunquam epigrammaticæ. Ingenioſæ
ſunt quidem; ſed ab iſto ingenii fluxu,
quod Epigrammati proprium eſt, penitus
abhorrent. Trapp, in Prælect. poëtic.
Voll. II. p.
99.
24 [Spaltenumbruch] Es koͤnnen hievon die Anmerkun-
gen des Hn. Pope zu ſeiner Odyſſ. Voll. II.
p. 157. v.
307. und die Proginnasmi Poe-
tici di Udeno Niſiely, Academico Apatiſta,

die den gelehrten Benedetto Fioretti zum
Verfaſſer haben und zu Florenz 1695.
herausgekommen ſind, im 5ten Bande,
Proginn. XLIV. p. 199-203 nachgeſehen
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Zitationshilfe: Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 1. Hamburg, 1742, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagedorn_sammlung01_1742/18>, abgerufen am 24.04.2024.