Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.III. Physiologie der Säugethiere. nach zur Klasse der Säugethiere gehört (S. 36), müssen wirvon vornherein erwarten, daß er auch den besonderen Charakter seiner Lebensthätigkeiten mit den übrigen Mammalien theilen wird. Und das ist in der That der Fall. Der Blutkreislauf und die Athmung vollziehen sich beim Menschen genau nach den- selben Gesetzen und in derselben eigenthümlichen Form, welche auch allen anderen Säugethieren -- und nur diesen! -- zu- kommt; sie ist bedingt durch den besonderen, feineren Bau ihres Herzens und ihrer Lungen. Nur bei den Mammalien wird alles Arterien-Blut aus der linken Herzkammer durch einen -- und zwar den linken! -- Aorten-Bogen in den Körper geführt, wäh- rend dies bei den Vögeln durch den rechten und bei den Reptilien durch beide Aorten-Bögen bewirkt wird. Das Blut der Säuge- thiere zeichnet sich vor demjenigen aller anderen Wirbelthiere dadurch aus, daß aus ihren rothen Blutzellen der Kern ver- schwunden ist (durch Rückbildung). Die Athem-Bewegungen werden nur in dieser Thierklasse vorzugsweise durch das Zwerch- fell vermittelt, weil dasselbe nur hier eine vollständige Scheide- wand zwischen Brusthöhle und Bauchhöhle bildet. Ganz besonders wichtig aber ist für diese höchst entwickelte Thierklasse die Pro- duktion der Milch in den Brustdrüsen (Mammae) und die be- sondere Form der Brutpflege, welche die Ernährung des Jungen durch die Milch der Mutter mit sich bringt. Da dieses Säuge- Geschäft auch andere Lebensthätigkeiten in der eingreifendsten Weise beeinflußt, da die Mutterliebe der Säugethiere aus dieser innigen Form der Brutpflege ihren Ursprung genommen hat, erinnert uns der Name der Klasse mit Recht an ihre hohe Be- deutung. In Millionen von Bildern, zum großen Theil von Künstlern ersten Ranges, wird "die Madonna mit dem Christuskinde" verherrlicht, als das reinste und erhabenste Urbild der Mutterliebe; desselben Instinktes, dessen extremste Form die übertriebene Zärtlichkeit der Affenmutter darstellt. III. Phyſiologie der Säugethiere. nach zur Klaſſe der Säugethiere gehört (S. 36), müſſen wirvon vornherein erwarten, daß er auch den beſonderen Charakter ſeiner Lebensthätigkeiten mit den übrigen Mammalien theilen wird. Und das iſt in der That der Fall. Der Blutkreislauf und die Athmung vollziehen ſich beim Menſchen genau nach den- ſelben Geſetzen und in derſelben eigenthümlichen Form, welche auch allen anderen Säugethieren — und nur dieſen! — zu- kommt; ſie iſt bedingt durch den beſonderen, feineren Bau ihres Herzens und ihrer Lungen. Nur bei den Mammalien wird alles Arterien-Blut aus der linken Herzkammer durch einen — und zwar den linken! — Aorten-Bogen in den Körper geführt, wäh- rend dies bei den Vögeln durch den rechten und bei den Reptilien durch beide Aorten-Bögen bewirkt wird. Das Blut der Säuge- thiere zeichnet ſich vor demjenigen aller anderen Wirbelthiere dadurch aus, daß aus ihren rothen Blutzellen der Kern ver- ſchwunden iſt (durch Rückbildung). Die Athem-Bewegungen werden nur in dieſer Thierklaſſe vorzugsweiſe durch das Zwerch- fell vermittelt, weil dasſelbe nur hier eine vollſtändige Scheide- wand zwiſchen Bruſthöhle und Bauchhöhle bildet. Ganz beſonders wichtig aber iſt für dieſe höchſt entwickelte Thierklaſſe die Pro- duktion der Milch in den Bruſtdrüſen (Mammae) und die be- ſondere Form der Brutpflege, welche die Ernährung des Jungen durch die Milch der Mutter mit ſich bringt. Da dieſes Säuge- Geſchäft auch andere Lebensthätigkeiten in der eingreifendſten Weiſe beeinflußt, da die Mutterliebe der Säugethiere aus dieſer innigen Form der Brutpflege ihren Urſprung genommen hat, erinnert uns der Name der Klaſſe mit Recht an ihre hohe Be- deutung. In Millionen von Bildern, zum großen Theil von Künſtlern erſten Ranges, wird „die Madonna mit dem Chriſtuskinde“ verherrlicht, als das reinſte und erhabenſte Urbild der Mutterliebe; desſelben Inſtinktes, deſſen extremſte Form die übertriebene Zärtlichkeit der Affenmutter darſtellt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Phyſiologie der Säugethiere.</fw><lb/> nach zur Klaſſe der Säugethiere gehört (S. 36), müſſen wir<lb/> von vornherein erwarten, daß er auch den beſonderen Charakter<lb/> ſeiner Lebensthätigkeiten mit den übrigen Mammalien theilen<lb/> wird. Und das iſt in der That der Fall. 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III. Phyſiologie der Säugethiere.
nach zur Klaſſe der Säugethiere gehört (S. 36), müſſen wir
von vornherein erwarten, daß er auch den beſonderen Charakter
ſeiner Lebensthätigkeiten mit den übrigen Mammalien theilen
wird. Und das iſt in der That der Fall. Der Blutkreislauf
und die Athmung vollziehen ſich beim Menſchen genau nach den-
ſelben Geſetzen und in derſelben eigenthümlichen Form, welche
auch allen anderen Säugethieren — und nur dieſen! — zu-
kommt; ſie iſt bedingt durch den beſonderen, feineren Bau ihres
Herzens und ihrer Lungen. Nur bei den Mammalien wird alles
Arterien-Blut aus der linken Herzkammer durch einen — und
zwar den linken! — Aorten-Bogen in den Körper geführt, wäh-
rend dies bei den Vögeln durch den rechten und bei den Reptilien
durch beide Aorten-Bögen bewirkt wird. Das Blut der Säuge-
thiere zeichnet ſich vor demjenigen aller anderen Wirbelthiere
dadurch aus, daß aus ihren rothen Blutzellen der Kern ver-
ſchwunden iſt (durch Rückbildung). Die Athem-Bewegungen
werden nur in dieſer Thierklaſſe vorzugsweiſe durch das Zwerch-
fell vermittelt, weil dasſelbe nur hier eine vollſtändige Scheide-
wand zwiſchen Bruſthöhle und Bauchhöhle bildet. Ganz beſonders
wichtig aber iſt für dieſe höchſt entwickelte Thierklaſſe die Pro-
duktion der Milch in den Bruſtdrüſen (Mammae) und die be-
ſondere Form der Brutpflege, welche die Ernährung des Jungen
durch die Milch der Mutter mit ſich bringt. Da dieſes Säuge-
Geſchäft auch andere Lebensthätigkeiten in der eingreifendſten
Weiſe beeinflußt, da die Mutterliebe der Säugethiere aus dieſer
innigen Form der Brutpflege ihren Urſprung genommen hat,
erinnert uns der Name der Klaſſe mit Recht an ihre hohe Be-
deutung. In Millionen von Bildern, zum großen Theil von
Künſtlern erſten Ranges, wird „die Madonna mit dem
Chriſtuskinde“ verherrlicht, als das reinſte und erhabenſte Urbild
der Mutterliebe; desſelben Inſtinktes, deſſen extremſte Form die
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