Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Anmerkungen und Erläuterungen. Lebens, als ich die "weise Vorsehung" im Kampf um's Dasein zu entdeckenvermochte. Als ich dann später auf zahlreichen wissenschaftlichen Reisen alle Länder und Völker Europa's kennen lernte, als ich bei wiederholten Besuchen von Asien und Afrika einerseits die ehrwürdigen Religionen der ältesten Kulturvölker, andererseits die niedersten Religions-Anfänge der tiefstehenden Naturvölker beobachten konnte, reifte in mir durch vergleichende Reli- gions-Kritik jene Auffassung des Christenthums, welcher ich im 17. Kapitel Ausdruck gegeben habe. Daß ich als Zoologe berechtigt bin, auch die entgegengesetzte Welt- anschauung der Theologen in den Bereich meiner philosophischen Kritik zu ziehen, ergiebt sich schon daraus, daß ich die ganze Anthropologie als Theil der Zoologie betrachte und dabei die Psychologie nicht ausschließen kann. 18) Die monistische Kirche (S. 398). Das praktische Bedürfniß des Gemüths-Lebens und der Staatsordnung wird früher oder später dazu führen, unserer monistischen Religion ebenso eine bestimmte Kultus-Form zu geben, wie dies bei allen anderen Religionen der Kulturvölker der Fall gewesen ist. Es wird eine schöne Aufgabe der ehrlichen Theologen des 20. Jahrhunderts sein, diesen monistischen Kultus auszubauen und den mannigfaltigen Bedürfnissen der einzelnen Kultur-Völker anzupassen. Da wir auch auf diesem wichtigen Gebiete keine gewaltsame Revolution, sondern eine vernünftige Reform wünschen, scheint es uns das Richtigste, an die bestehenden Einrichtungen der herrschenden christlichen Kirche anzu- knüpfen, um so mehr, als diese ja auch mit den politischen und socialen Institutionen vielfach auf das Innigste verwachsen sind. In gleicher Weise, wie die christliche Kirche ihre großen Jahresfeste auf die uralten heidnischen Festtage des Jahres verlegt hat, so wird die monistische Kirche dieselben ihrer ursprünglichen, dem Natur-Kultus ent- sprungenen Bestimmung zurückgeben. Weihnachten wird wieder das Sonnen- wendfest des Winters werden, Johannisfeier dasjenige des Sommers. Zu Ostern werden wir nicht die übernatürliche und unmögliche Auferstehung eines mystischen Gekreuzigten feiern, sondern die herrliche Wiedergeburt der organischen Welt, die Auferstehung der Frühlings-Natur aus dem langen Winterschlafe. In dem Herbstfeste zu Michaelis werden wir den Abschluß der frohen Sommerszeit festlich begeben und den Eintritt in die ernste Arbeitszeit des Winters. In ähnlicher Weise können auch andere Institu- tionen der herrschenden christlichen Kirche und sogar besondere Ceremonien derselben zur Errichtung des monistischen Kultus werden. Der Gottesdienst des Sonntags, der nach wie vor als der uralte Tag der Ruhe, der Erbauung und Erholung auf die sechs Werktage der Arbeitswoche folgt, wird in der monistischen Kirche eine wesentliche Ver- besserung erfahren. An die Stelle des mystischen Glaubens an über- natürliche Wunder wird das klare Wissen von den wahren Wundern der Natur treten. Die Gotteshäuser als Andachtsstätten werden nicht mit Heiligenbildern und Krucifixen geschmückt werden, sondern mit kunstreichen Anmerkungen und Erläuterungen. Lebens, als ich die „weiſe Vorſehung“ im Kampf um's Daſein zu entdeckenvermochte. Als ich dann ſpäter auf zahlreichen wiſſenſchaftlichen Reiſen alle Länder und Völker Europa's kennen lernte, als ich bei wiederholten Beſuchen von Aſien und Afrika einerſeits die ehrwürdigen Religionen der älteſten Kulturvölker, andererſeits die niederſten Religions-Anfänge der tiefſtehenden Naturvölker beobachten konnte, reifte in mir durch vergleichende Reli- gions-Kritik jene Auffaſſung des Chriſtenthums, welcher ich im 17. Kapitel Ausdruck gegeben habe. Daß ich als Zoologe berechtigt bin, auch die entgegengeſetzte Welt- anſchauung der Theologen in den Bereich meiner philoſophiſchen Kritik zu ziehen, ergiebt ſich ſchon daraus, daß ich die ganze Anthropologie als Theil der Zoologie betrachte und dabei die Pſychologie nicht ausſchließen kann. 18) Die moniſtiſche Kirche (S. 398). Das praktiſche Bedürfniß des Gemüths-Lebens und der Staatsordnung wird früher oder ſpäter dazu führen, unſerer moniſtiſchen Religion ebenſo eine beſtimmte Kultus-Form zu geben, wie dies bei allen anderen Religionen der Kulturvölker der Fall geweſen iſt. Es wird eine ſchöne Aufgabe der ehrlichen Theologen des 20. Jahrhunderts ſein, dieſen moniſtiſchen Kultus auszubauen und den mannigfaltigen Bedürfniſſen der einzelnen Kultur-Völker anzupaſſen. Da wir auch auf dieſem wichtigen Gebiete keine gewaltſame Revolution, ſondern eine vernünftige Reform wünſchen, ſcheint es uns das Richtigſte, an die beſtehenden Einrichtungen der herrſchenden chriſtlichen Kirche anzu- knüpfen, um ſo mehr, als dieſe ja auch mit den politiſchen und ſocialen Inſtitutionen vielfach auf das Innigſte verwachſen ſind. In gleicher Weiſe, wie die chriſtliche Kirche ihre großen Jahresfeſte auf die uralten heidniſchen Feſttage des Jahres verlegt hat, ſo wird die moniſtiſche Kirche dieſelben ihrer urſprünglichen, dem Natur-Kultus ent- ſprungenen Beſtimmung zurückgeben. Weihnachten wird wieder das Sonnen- wendfeſt des Winters werden, Johannisfeier dasjenige des Sommers. Zu Oſtern werden wir nicht die übernatürliche und unmögliche Auferſtehung eines myſtiſchen Gekreuzigten feiern, ſondern die herrliche Wiedergeburt der organiſchen Welt, die Auferſtehung der Frühlings-Natur aus dem langen Winterſchlafe. In dem Herbſtfeſte zu Michaelis werden wir den Abſchluß der frohen Sommerszeit feſtlich begeben und den Eintritt in die ernſte Arbeitszeit des Winters. In ähnlicher Weiſe können auch andere Inſtitu- tionen der herrſchenden chriſtlichen Kirche und ſogar beſondere Ceremonien derſelben zur Errichtung des moniſtiſchen Kultus werden. Der Gottesdienſt des Sonntags, der nach wie vor als der uralte Tag der Ruhe, der Erbauung und Erholung auf die ſechs Werktage der Arbeitswoche folgt, wird in der moniſtiſchen Kirche eine weſentliche Ver- beſſerung erfahren. An die Stelle des myſtiſchen Glaubens an über- natürliche Wunder wird das klare Wiſſen von den wahren Wundern der Natur treten. Die Gotteshäuſer als Andachtsſtätten werden nicht mit Heiligenbildern und Krucifixen geſchmückt werden, ſondern mit kunſtreichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <note xml:id="end02_17" prev="#end17" place="end" n="17)"><pb facs="#f0478" n="462"/><fw place="top" type="header">Anmerkungen und Erläuterungen.</fw><lb/> Lebens, als ich die „weiſe Vorſehung“ im Kampf um's Daſein zu entdecken<lb/> vermochte. 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Anmerkungen und Erläuterungen.
¹⁷⁾
Lebens, als ich die „weiſe Vorſehung“ im Kampf um's Daſein zu entdecken
vermochte. Als ich dann ſpäter auf zahlreichen wiſſenſchaftlichen Reiſen alle
Länder und Völker Europa's kennen lernte, als ich bei wiederholten Beſuchen
von Aſien und Afrika einerſeits die ehrwürdigen Religionen der älteſten
Kulturvölker, andererſeits die niederſten Religions-Anfänge der tiefſtehenden
Naturvölker beobachten konnte, reifte in mir durch vergleichende Reli-
gions-Kritik jene Auffaſſung des Chriſtenthums, welcher ich im 17. Kapitel
Ausdruck gegeben habe.
Daß ich als Zoologe berechtigt bin, auch die entgegengeſetzte Welt-
anſchauung der Theologen in den Bereich meiner philoſophiſchen Kritik
zu ziehen, ergiebt ſich ſchon daraus, daß ich die ganze Anthropologie als
Theil der Zoologie betrachte und dabei die Pſychologie nicht ausſchließen kann.
¹⁸⁾ Die moniſtiſche Kirche (S. 398). Das praktiſche Bedürfniß des
Gemüths-Lebens und der Staatsordnung wird früher oder ſpäter dazu
führen, unſerer moniſtiſchen Religion ebenſo eine beſtimmte Kultus-Form
zu geben, wie dies bei allen anderen Religionen der Kulturvölker der Fall
geweſen iſt. Es wird eine ſchöne Aufgabe der ehrlichen Theologen
des 20. Jahrhunderts ſein, dieſen moniſtiſchen Kultus auszubauen und den
mannigfaltigen Bedürfniſſen der einzelnen Kultur-Völker anzupaſſen. Da
wir auch auf dieſem wichtigen Gebiete keine gewaltſame Revolution,
ſondern eine vernünftige Reform wünſchen, ſcheint es uns das Richtigſte,
an die beſtehenden Einrichtungen der herrſchenden chriſtlichen Kirche anzu-
knüpfen, um ſo mehr, als dieſe ja auch mit den politiſchen und ſocialen
Inſtitutionen vielfach auf das Innigſte verwachſen ſind.
In gleicher Weiſe, wie die chriſtliche Kirche ihre großen Jahresfeſte
auf die uralten heidniſchen Feſttage des Jahres verlegt hat, ſo wird die
moniſtiſche Kirche dieſelben ihrer urſprünglichen, dem Natur-Kultus ent-
ſprungenen Beſtimmung zurückgeben. Weihnachten wird wieder das Sonnen-
wendfeſt des Winters werden, Johannisfeier dasjenige des Sommers. Zu
Oſtern werden wir nicht die übernatürliche und unmögliche Auferſtehung
eines myſtiſchen Gekreuzigten feiern, ſondern die herrliche Wiedergeburt der
organiſchen Welt, die Auferſtehung der Frühlings-Natur aus dem langen
Winterſchlafe. In dem Herbſtfeſte zu Michaelis werden wir den Abſchluß
der frohen Sommerszeit feſtlich begeben und den Eintritt in die ernſte
Arbeitszeit des Winters. In ähnlicher Weiſe können auch andere Inſtitu-
tionen der herrſchenden chriſtlichen Kirche und ſogar beſondere Ceremonien
derſelben zur Errichtung des moniſtiſchen Kultus werden.
Der Gottesdienſt des Sonntags, der nach wie vor als der uralte
Tag der Ruhe, der Erbauung und Erholung auf die ſechs Werktage der
Arbeitswoche folgt, wird in der moniſtiſchen Kirche eine weſentliche Ver-
beſſerung erfahren. An die Stelle des myſtiſchen Glaubens an über-
natürliche Wunder wird das klare Wiſſen von den wahren Wundern der
Natur treten. Die Gotteshäuſer als Andachtsſtätten werden nicht mit
Heiligenbildern und Krucifixen geſchmückt werden, ſondern mit kunſtreichen
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