Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Anmerkungen und Erläuterungen. Weise betrieben werden, daß man ihre Sätze für in Wahrheit begründeterachten dürfe, auch wenn sie der Offenbarungslehre widersprechen. Wer behauptet, beim Fortschreiten der Wissenschaft könne es einmal dahin kommen, daß jene durch die Kirche aufgestellten Lehren in anderem Sinne aufgefaßt werden müssen, als die Kirche sie bisher immer aufgefaßt hat und noch auffaßt." Die orthodoxe evangelische Kirche giebt übrigens der katho- lischen in der Verdammung der Wissenschaft als solcher bisweilen nichts nach. In dem Mecklenburgischen Schulblatte war kürzlich folgende Warnung zu lesen: "Hüte dich vor dem ersten Schritte! Noch stehst du da unberührt von dem falschen Götzen der Wissenschaft. Hast du diesem Satan erst den kleinen Finger gegeben, so erfaßt er nach und nach die ganze Hand, du bist ihm rettungslos verfallen, mit geheimniß- voller Zauberkraft umgarnt er dich und führt dich hin an den Baum der Erkenntniß; und hast du einmal davon gekostet, so zieht es dich immer wieder mit magischer Gewalt zu dem Baume zurück, ganz zu er- kennen, was wahr und was falsch, was gut und was böse sei. Wahre dir das Paradies deiner wissenschaftlichen Unschuld!" 17) Theologie und Zoologie (S. 380). Die innige Verbindung, in welcher bei den meisten Menschen die philosophische Weltanschauung mit der religiösen Ueberzeugung steht, hat mich hier genöthigt, auf die herrschenden Glaubenslehren des Christenthums näher einzugehen, und ihren fundamen- talen Widerspruch zu den Grundlehren unserer monistischen Philosophie offen zu besprechen. Nun ist mir aber schon früher von meinen christlichen Gegnern oft der Vorwurf gemacht worden, daß ich die christliche Religion überhaupt nicht kenne. Noch vor Kurzem gab der fromme Dr. Dannert (bei Empfehlung einer thierpsychologischen Arbeit des ausgezeichneten Jesuiten und Zoologen Erich Wasmann) dieser Ansicht den höflichen Ausdruck: "Ernst Haeckel versteht bekanntlich vom Christenthum so viel, wie der Esel von den Logarithmen" (Konservative Monatsschrift, Juli 1898, S. 774). Diese oft geäußerte Ansicht ist ein thatsächlicher Irrthum. Nicht nur zeichnete ich mich auf der Schule -- in Folge meiner frommen Er- ziehung -- durch besonderen Eifer und Fleiß im Religions-Unterricht aus, sondern ich habe noch in meinem 21. Lebensjahre die christlichen Glaubens- lehren in lebhaften Diskussionen gegen meine freidenkenden Kommilitonen auf das Wärmste vertheidigt, obgleich das Studium der menschlichen Ana- tomie und Physiologie, ihre Vergleichung mit derjenigen der anderen Wirbelthiere, meinen Glauben schon tief erschüttert hatte. Zur völligen Aufgabe desselben -- unter den bittersten Seelenkämpfen! -- ge- langte ich erst durch das vollendete Studium der Medicin und durch die Thätigkeit als praktischer Arzt. Da lernte ich das Wort von Faust ver- stehen: "Der Menschheit ganzer Jammer packt mich an!" Da fand ich die "Allgüte des liebenden Vaters" ebenso wenig in der harten Schule des Anmerkungen und Erläuterungen. Weiſe betrieben werden, daß man ihre Sätze für in Wahrheit begründeterachten dürfe, auch wenn ſie der Offenbarungslehre widerſprechen. Wer behauptet, beim Fortſchreiten der Wiſſenſchaft könne es einmal dahin kommen, daß jene durch die Kirche aufgeſtellten Lehren in anderem Sinne aufgefaßt werden müſſen, als die Kirche ſie bisher immer aufgefaßt hat und noch auffaßt.“ Die orthodoxe evangeliſche Kirche giebt übrigens der katho- liſchen in der Verdammung der Wiſſenſchaft als ſolcher bisweilen nichts nach. In dem Mecklenburgiſchen Schulblatte war kürzlich folgende Warnung zu leſen: „Hüte dich vor dem erſten Schritte! Noch ſtehſt du da unberührt von dem falſchen Götzen der Wiſſenſchaft. Haſt du dieſem Satan erſt den kleinen Finger gegeben, ſo erfaßt er nach und nach die ganze Hand, du biſt ihm rettungslos verfallen, mit geheimniß- voller Zauberkraft umgarnt er dich und führt dich hin an den Baum der Erkenntniß; und haſt du einmal davon gekoſtet, ſo zieht es dich immer wieder mit magiſcher Gewalt zu dem Baume zurück, ganz zu er- kennen, was wahr und was falſch, was gut und was böſe ſei. Wahre dir das Paradies deiner wiſſenſchaftlichen Unſchuld!“ 17) Theologie und Zoologie (S. 380). Die innige Verbindung, in welcher bei den meiſten Menſchen die philoſophiſche Weltanſchauung mit der religiöſen Ueberzeugung ſteht, hat mich hier genöthigt, auf die herrſchenden Glaubenslehren des Chriſtenthums näher einzugehen, und ihren fundamen- talen Widerſpruch zu den Grundlehren unſerer moniſtiſchen Philoſophie offen zu beſprechen. Nun iſt mir aber ſchon früher von meinen chriſtlichen Gegnern oft der Vorwurf gemacht worden, daß ich die chriſtliche Religion überhaupt nicht kenne. Noch vor Kurzem gab der fromme Dr. Dannert (bei Empfehlung einer thierpſychologiſchen Arbeit des ausgezeichneten Jeſuiten und Zoologen Erich Wasmann) dieſer Anſicht den höflichen Ausdruck: „Ernſt Haeckel verſteht bekanntlich vom Chriſtenthum ſo viel, wie der Eſel von den Logarithmen“ (Konſervative Monatsſchrift, Juli 1898, S. 774). Dieſe oft geäußerte Anſicht iſt ein thatſächlicher Irrthum. Nicht nur zeichnete ich mich auf der Schule — in Folge meiner frommen Er- ziehung — durch beſonderen Eifer und Fleiß im Religions-Unterricht aus, ſondern ich habe noch in meinem 21. Lebensjahre die chriſtlichen Glaubens- lehren in lebhaften Diskuſſionen gegen meine freidenkenden Kommilitonen auf das Wärmſte vertheidigt, obgleich das Studium der menſchlichen Ana- tomie und Phyſiologie, ihre Vergleichung mit derjenigen der anderen Wirbelthiere, meinen Glauben ſchon tief erſchüttert hatte. Zur völligen Aufgabe desſelben — unter den bitterſten Seelenkämpfen! — ge- langte ich erſt durch das vollendete Studium der Medicin und durch die Thätigkeit als praktiſcher Arzt. 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Anmerkungen und Erläuterungen.
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Weiſe betrieben werden, daß man ihre Sätze für in Wahrheit begründet
erachten dürfe, auch wenn ſie der Offenbarungslehre widerſprechen. Wer
behauptet, beim Fortſchreiten der Wiſſenſchaft könne es einmal dahin
kommen, daß jene durch die Kirche aufgeſtellten Lehren in anderem Sinne
aufgefaßt werden müſſen, als die Kirche ſie bisher immer aufgefaßt hat
und noch auffaßt.“
Die orthodoxe evangeliſche Kirche giebt übrigens der katho-
liſchen in der Verdammung der Wiſſenſchaft als ſolcher bisweilen
nichts nach. In dem Mecklenburgiſchen Schulblatte war kürzlich
folgende Warnung zu leſen: „Hüte dich vor dem erſten Schritte! Noch
ſtehſt du da unberührt von dem falſchen Götzen der Wiſſenſchaft.
Haſt du dieſem Satan erſt den kleinen Finger gegeben, ſo erfaßt er nach
und nach die ganze Hand, du biſt ihm rettungslos verfallen, mit geheimniß-
voller Zauberkraft umgarnt er dich und führt dich hin an den Baum
der Erkenntniß; und haſt du einmal davon gekoſtet, ſo zieht es dich
immer wieder mit magiſcher Gewalt zu dem Baume zurück, ganz zu er-
kennen, was wahr und was falſch, was gut und was böſe ſei. Wahre
dir das Paradies deiner wiſſenſchaftlichen Unſchuld!“
¹⁷⁾ Theologie und Zoologie (S. 380). Die innige Verbindung, in
welcher bei den meiſten Menſchen die philoſophiſche Weltanſchauung mit
der religiöſen Ueberzeugung ſteht, hat mich hier genöthigt, auf die herrſchenden
Glaubenslehren des Chriſtenthums näher einzugehen, und ihren fundamen-
talen Widerſpruch zu den Grundlehren unſerer moniſtiſchen Philoſophie
offen zu beſprechen. Nun iſt mir aber ſchon früher von meinen chriſtlichen
Gegnern oft der Vorwurf gemacht worden, daß ich die chriſtliche Religion
überhaupt nicht kenne. Noch vor Kurzem gab der fromme Dr. Dannert
(bei Empfehlung einer thierpſychologiſchen Arbeit des ausgezeichneten Jeſuiten
und Zoologen Erich Wasmann) dieſer Anſicht den höflichen Ausdruck:
„Ernſt Haeckel verſteht bekanntlich vom Chriſtenthum ſo viel, wie der
Eſel von den Logarithmen“ (Konſervative Monatsſchrift, Juli 1898,
S. 774).
Dieſe oft geäußerte Anſicht iſt ein thatſächlicher Irrthum. Nicht
nur zeichnete ich mich auf der Schule — in Folge meiner frommen Er-
ziehung — durch beſonderen Eifer und Fleiß im Religions-Unterricht aus,
ſondern ich habe noch in meinem 21. Lebensjahre die chriſtlichen Glaubens-
lehren in lebhaften Diskuſſionen gegen meine freidenkenden Kommilitonen
auf das Wärmſte vertheidigt, obgleich das Studium der menſchlichen Ana-
tomie und Phyſiologie, ihre Vergleichung mit derjenigen der anderen
Wirbelthiere, meinen Glauben ſchon tief erſchüttert hatte. Zur völligen
Aufgabe desſelben — unter den bitterſten Seelenkämpfen! — ge-
langte ich erſt durch das vollendete Studium der Medicin und durch die
Thätigkeit als praktiſcher Arzt. Da lernte ich das Wort von Fauſt ver-
ſtehen: „Der Menſchheit ganzer Jammer packt mich an!“ Da fand ich die
„Allgüte des liebenden Vaters“ ebenſo wenig in der harten Schule des
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