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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Zukunft unserer Erde. XX.
Erde (seit mindestens hundert Millionen Jahren!), sind andere
schon weiter vorgeschritten und gehen im "planetarischen Greisen-
alter" ihrem Ende entgegen, demselben Ende, das auch unserer
Erde sicher bevorsteht. Durch Ausstrahlung der Wärme in den
kalten Weltraum wird die Temperatur allmählich so herabgesetzt,
das alles tropfbar flüssige Wasser zu Eis erstarrt; damit hört
die Möglichkeit organischen Lebens auf. Zugleich zieht sich die
Masse der rotirenden Weltkörper immer stärker zusammen; ihre
Umlaufsgeschwindigkeit ändert sich langsam. Die Bahnen der
kreisenden Planeten werden immer enger, ebenso diejenigen der
sie umgebenden Monde. Zuletzt stürzen die Monde in die Pla-
neten und diese in die Sonnen, aus denen sie geboren sind. Durch
diesen Zusammenstoß werden wieder ungeheure Wärme-Mengen
erzeugt. Die zerstäubte Masse der zerstoßenen kollidirten Welt-
körper vertheilt sich frei im unendlichen Weltraum, und das
ewige Spiel der Sonnenbildung beginnt von Neuem.

Das großartige Bild, welches so vor unseren geistigen Augen
die moderne Astrophysik aufrollt, offenbart uns ein ewiges Ent-
stehen und Vergehen der unzähligen Weltkörper, einen periodischen
Wechsel der verschiedenen kosmogenetischen Zustände, welche wir im
Universum neben einander beobachten. Während an einem Orte des
unendlichen Weltraums aus einem diffusen Nebelfleck ein neuer
Weltkeim sich entwickelt, hat ein anderer an einem weit entfernten
Orte sich bereits zu einem rotirenden Balle von gluthflüssiger
Materie verdichtet; ein dritter hat bereits an seinem Aequator
Ringe abgeschleudert, die sich zu Planeten ballen; ein vierter ist
schon zur mächtigen Sonne geworden, deren Planeten sich mit
sekundären Trabanten umgeben haben, den Monden, u. s. w.
u. s. w. Und dazwischen treiben sich im Weltraum Milliarden
von kleineren Weltkörpern umher, von Meteoriten und Stern-
schnuppen, die als scheinbar gesetzlose Vagabunden die Bahn der
größeren kreuzen, und von denen täglich ein großer Theil in die

Zukunft unſerer Erde. XX.
Erde (ſeit mindeſtens hundert Millionen Jahren!), ſind andere
ſchon weiter vorgeſchritten und gehen im „planetariſchen Greiſen-
alter“ ihrem Ende entgegen, demſelben Ende, das auch unſerer
Erde ſicher bevorſteht. Durch Ausſtrahlung der Wärme in den
kalten Weltraum wird die Temperatur allmählich ſo herabgeſetzt,
das alles tropfbar flüſſige Waſſer zu Eis erſtarrt; damit hört
die Möglichkeit organiſchen Lebens auf. Zugleich zieht ſich die
Maſſe der rotirenden Weltkörper immer ſtärker zuſammen; ihre
Umlaufsgeſchwindigkeit ändert ſich langſam. Die Bahnen der
kreiſenden Planeten werden immer enger, ebenſo diejenigen der
ſie umgebenden Monde. Zuletzt ſtürzen die Monde in die Pla-
neten und dieſe in die Sonnen, aus denen ſie geboren ſind. Durch
dieſen Zuſammenſtoß werden wieder ungeheure Wärme-Mengen
erzeugt. Die zerſtäubte Maſſe der zerſtoßenen kollidirten Welt-
körper vertheilt ſich frei im unendlichen Weltraum, und das
ewige Spiel der Sonnenbildung beginnt von Neuem.

Das großartige Bild, welches ſo vor unſeren geiſtigen Augen
die moderne Aſtrophyſik aufrollt, offenbart uns ein ewiges Ent-
ſtehen und Vergehen der unzähligen Weltkörper, einen periodiſchen
Wechſel der verſchiedenen kosmogenetiſchen Zuſtände, welche wir im
Univerſum neben einander beobachten. Während an einem Orte des
unendlichen Weltraums aus einem diffuſen Nebelfleck ein neuer
Weltkeim ſich entwickelt, hat ein anderer an einem weit entfernten
Orte ſich bereits zu einem rotirenden Balle von gluthflüſſiger
Materie verdichtet; ein dritter hat bereits an ſeinem Aequator
Ringe abgeſchleudert, die ſich zu Planeten ballen; ein vierter iſt
ſchon zur mächtigen Sonne geworden, deren Planeten ſich mit
ſekundären Trabanten umgeben haben, den Monden, u. ſ. w.
u. ſ. w. Und dazwiſchen treiben ſich im Weltraum Milliarden
von kleineren Weltkörpern umher, von Meteoriten und Stern-
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[430/0446] Zukunft unſerer Erde. XX. Erde (ſeit mindeſtens hundert Millionen Jahren!), ſind andere ſchon weiter vorgeſchritten und gehen im „planetariſchen Greiſen- alter“ ihrem Ende entgegen, demſelben Ende, das auch unſerer Erde ſicher bevorſteht. Durch Ausſtrahlung der Wärme in den kalten Weltraum wird die Temperatur allmählich ſo herabgeſetzt, das alles tropfbar flüſſige Waſſer zu Eis erſtarrt; damit hört die Möglichkeit organiſchen Lebens auf. Zugleich zieht ſich die Maſſe der rotirenden Weltkörper immer ſtärker zuſammen; ihre Umlaufsgeſchwindigkeit ändert ſich langſam. Die Bahnen der kreiſenden Planeten werden immer enger, ebenſo diejenigen der ſie umgebenden Monde. Zuletzt ſtürzen die Monde in die Pla- neten und dieſe in die Sonnen, aus denen ſie geboren ſind. Durch dieſen Zuſammenſtoß werden wieder ungeheure Wärme-Mengen erzeugt. Die zerſtäubte Maſſe der zerſtoßenen kollidirten Welt- körper vertheilt ſich frei im unendlichen Weltraum, und das ewige Spiel der Sonnenbildung beginnt von Neuem. Das großartige Bild, welches ſo vor unſeren geiſtigen Augen die moderne Aſtrophyſik aufrollt, offenbart uns ein ewiges Ent- ſtehen und Vergehen der unzähligen Weltkörper, einen periodiſchen Wechſel der verſchiedenen kosmogenetiſchen Zuſtände, welche wir im Univerſum neben einander beobachten. Während an einem Orte des unendlichen Weltraums aus einem diffuſen Nebelfleck ein neuer Weltkeim ſich entwickelt, hat ein anderer an einem weit entfernten Orte ſich bereits zu einem rotirenden Balle von gluthflüſſiger Materie verdichtet; ein dritter hat bereits an ſeinem Aequator Ringe abgeſchleudert, die ſich zu Planeten ballen; ein vierter iſt ſchon zur mächtigen Sonne geworden, deren Planeten ſich mit ſekundären Trabanten umgeben haben, den Monden, u. ſ. w. u. ſ. w. Und dazwiſchen treiben ſich im Weltraum Milliarden von kleineren Weltkörpern umher, von Meteoriten und Stern- ſchnuppen, die als ſcheinbar geſetzloſe Vagabunden die Bahn der größeren kreuzen, und von denen täglich ein großer Theil in die

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/446>, abgerufen am 08.05.2024.