Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Bewohner anderer Weltkörper. XX.
modomen Pflanzenzellen wie der plasmophagen Thier-
zellen -- berechtigt uns zu dem Schlusse, daß auch die weitere
Stammesgeschichte sich auf vielen Sternen ähnlich wie auf
unserer Erde abspielt -- immer natürlich die gleichen engen
Grenzen der Temperatur vorausgesetzt, in denen das Wasser
tropfbar-flüssig bleibt; für glühend-flüssige Weltkörper, auf denen
das Wasser nur in Dampfform, und für erstarrte, auf denen es
nur in Eisform besteht, ist organisches Leben in gleicher Weise ganz
unmöglich.

Die Aehnlichkeit der Phylogenie, die Analogie der
stammesgeschichtlichen Entwickelung, die wir demnach bei vielen
Sternen auf gleicher biogenetischer Entwickelungs-Stufe an-
nehmen dürfen, bietet natürlich der konstruktiven Phantasie ein
weites Feld für farbenreiche Spekulationen. Ein Lieblings-
Gegenstand derselben ist seit alter Zeit die Frage, ob auch
Menschen oder uns ähnliche, vielleicht höher entwickelte
Organismen auf anderen Sternen wohnen? Unter vielen
Schriften, welche diese offene Frage zu beantworten suchen, haben
neuerdings namentlich diejenigen des Pariser Astronomen
Camille Flammarion eine weite Verbreitung erlangt; sie
zeichnen sich ebenso durch reiche Phantasie und lebendige Dar-
stellung aus, wie durch bedauerlichen Mangel an Kritik und an
biologischen Kenntnissen. Soweit wir gegenwärtig zur Be-
antwortung dieser Frage befähigt erscheinen, können wir uns
etwa Folgendes vorstellen: I. Es ist sehr wahrscheinlich, daß auf
einigen Planeten unseres Systems (Mars und Venus) und vielen
Planeten anderer Sonnen-Systeme der biogenetische Proceß sich
ähnlich wie auf unserer Erde abspielt; zuerst entstanden durch
Archigonie einfache Moneren und aus diesen einzellige Protisten
(zunächst plasmodome Urpflanzen, später plasmophage Ur-
thiere). II. Es ist sehr wahrscheinlich, daß aus diesen einzelligen
Protisten sich im weiteren Verlauf der Entwickelung zunächst

Bewohner anderer Weltkörper. XX.
modomen Pflanzenzellen wie der plasmophagen Thier-
zellen — berechtigt uns zu dem Schluſſe, daß auch die weitere
Stammesgeſchichte ſich auf vielen Sternen ähnlich wie auf
unſerer Erde abſpielt — immer natürlich die gleichen engen
Grenzen der Temperatur vorausgeſetzt, in denen das Waſſer
tropfbar-flüſſig bleibt; für glühend-flüſſige Weltkörper, auf denen
das Waſſer nur in Dampfform, und für erſtarrte, auf denen es
nur in Eisform beſteht, iſt organiſches Leben in gleicher Weiſe ganz
unmöglich.

Die Aehnlichkeit der Phylogenie, die Analogie der
ſtammesgeſchichtlichen Entwickelung, die wir demnach bei vielen
Sternen auf gleicher biogenetiſcher Entwickelungs-Stufe an-
nehmen dürfen, bietet natürlich der konſtruktiven Phantaſie ein
weites Feld für farbenreiche Spekulationen. Ein Lieblings-
Gegenſtand derſelben iſt ſeit alter Zeit die Frage, ob auch
Menſchen oder uns ähnliche, vielleicht höher entwickelte
Organismen auf anderen Sternen wohnen? Unter vielen
Schriften, welche dieſe offene Frage zu beantworten ſuchen, haben
neuerdings namentlich diejenigen des Pariſer Aſtronomen
Camille Flammarion eine weite Verbreitung erlangt; ſie
zeichnen ſich ebenſo durch reiche Phantaſie und lebendige Dar-
ſtellung aus, wie durch bedauerlichen Mangel an Kritik und an
biologiſchen Kenntniſſen. Soweit wir gegenwärtig zur Be-
antwortung dieſer Frage befähigt erſcheinen, können wir uns
etwa Folgendes vorſtellen: I. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß auf
einigen Planeten unſeres Syſtems (Mars und Venus) und vielen
Planeten anderer Sonnen-Syſteme der biogenetiſche Proceß ſich
ähnlich wie auf unſerer Erde abſpielt; zuerſt entſtanden durch
Archigonie einfache Moneren und aus dieſen einzellige Protiſten
(zunächſt plasmodome Urpflanzen, ſpäter plasmophage Ur-
thiere). II. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß aus dieſen einzelligen
Protiſten ſich im weiteren Verlauf der Entwickelung zunächſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0444" n="428"/><fw place="top" type="header">Bewohner anderer Weltkörper. <hi rendition="#aq">XX.</hi></fw><lb/><hi rendition="#g">modomen</hi> Pflanzenzellen wie der <hi rendition="#g">plasmophagen</hi> Thier-<lb/>
zellen &#x2014; berechtigt uns zu dem Schlu&#x017F;&#x017F;e, daß auch die weitere<lb/>
Stammesge&#x017F;chichte &#x017F;ich auf vielen Sternen ähnlich wie auf<lb/>
un&#x017F;erer Erde ab&#x017F;pielt &#x2014; immer natürlich die gleichen engen<lb/>
Grenzen der Temperatur vorausge&#x017F;etzt, in denen das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
tropfbar-flü&#x017F;&#x017F;ig bleibt; für glühend-flü&#x017F;&#x017F;ige Weltkörper, auf denen<lb/>
das Wa&#x017F;&#x017F;er nur in Dampfform, und für er&#x017F;tarrte, auf denen es<lb/>
nur in Eisform be&#x017F;teht, i&#x017F;t organi&#x017F;ches Leben in gleicher Wei&#x017F;e ganz<lb/>
unmöglich.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#b">Die Aehnlichkeit der Phylogenie,</hi> die Analogie der<lb/>
&#x017F;tammesge&#x017F;chichtlichen Entwickelung, die wir demnach bei vielen<lb/>
Sternen auf gleicher biogeneti&#x017F;cher Entwickelungs-Stufe an-<lb/>
nehmen dürfen, bietet natürlich der kon&#x017F;truktiven Phanta&#x017F;ie ein<lb/>
weites Feld für farbenreiche Spekulationen. Ein Lieblings-<lb/>
Gegen&#x017F;tand der&#x017F;elben i&#x017F;t &#x017F;eit alter Zeit die Frage, ob auch<lb/><hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi> oder uns ähnliche, vielleicht höher entwickelte<lb/>
Organismen auf anderen Sternen wohnen? Unter vielen<lb/>
Schriften, welche die&#x017F;e offene Frage zu beantworten &#x017F;uchen, haben<lb/>
neuerdings namentlich diejenigen des Pari&#x017F;er A&#x017F;tronomen<lb/><hi rendition="#g">Camille Flammarion</hi> eine weite Verbreitung erlangt; &#x017F;ie<lb/>
zeichnen &#x017F;ich eben&#x017F;o durch reiche Phanta&#x017F;ie und lebendige Dar-<lb/>
&#x017F;tellung aus, wie durch bedauerlichen Mangel an Kritik und an<lb/>
biologi&#x017F;chen Kenntni&#x017F;&#x017F;en. Soweit wir gegenwärtig zur Be-<lb/>
antwortung die&#x017F;er Frage befähigt er&#x017F;cheinen, können wir uns<lb/>
etwa Folgendes vor&#x017F;tellen: <hi rendition="#aq">I.</hi> Es i&#x017F;t &#x017F;ehr wahr&#x017F;cheinlich, daß auf<lb/>
einigen Planeten un&#x017F;eres Sy&#x017F;tems (Mars und Venus) und vielen<lb/>
Planeten anderer Sonnen-Sy&#x017F;teme der biogeneti&#x017F;che Proceß &#x017F;ich<lb/>
ähnlich wie auf un&#x017F;erer Erde ab&#x017F;pielt; zuer&#x017F;t ent&#x017F;tanden durch<lb/>
Archigonie einfache Moneren und aus die&#x017F;en einzellige Proti&#x017F;ten<lb/>
(zunäch&#x017F;t plasmodome Urpflanzen, &#x017F;päter plasmophage Ur-<lb/>
thiere). <hi rendition="#aq">II.</hi> Es i&#x017F;t &#x017F;ehr wahr&#x017F;cheinlich, daß aus die&#x017F;en einzelligen<lb/>
Proti&#x017F;ten &#x017F;ich im weiteren Verlauf der Entwickelung zunäch&#x017F;t<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[428/0444] Bewohner anderer Weltkörper. XX. modomen Pflanzenzellen wie der plasmophagen Thier- zellen — berechtigt uns zu dem Schluſſe, daß auch die weitere Stammesgeſchichte ſich auf vielen Sternen ähnlich wie auf unſerer Erde abſpielt — immer natürlich die gleichen engen Grenzen der Temperatur vorausgeſetzt, in denen das Waſſer tropfbar-flüſſig bleibt; für glühend-flüſſige Weltkörper, auf denen das Waſſer nur in Dampfform, und für erſtarrte, auf denen es nur in Eisform beſteht, iſt organiſches Leben in gleicher Weiſe ganz unmöglich. Die Aehnlichkeit der Phylogenie, die Analogie der ſtammesgeſchichtlichen Entwickelung, die wir demnach bei vielen Sternen auf gleicher biogenetiſcher Entwickelungs-Stufe an- nehmen dürfen, bietet natürlich der konſtruktiven Phantaſie ein weites Feld für farbenreiche Spekulationen. Ein Lieblings- Gegenſtand derſelben iſt ſeit alter Zeit die Frage, ob auch Menſchen oder uns ähnliche, vielleicht höher entwickelte Organismen auf anderen Sternen wohnen? Unter vielen Schriften, welche dieſe offene Frage zu beantworten ſuchen, haben neuerdings namentlich diejenigen des Pariſer Aſtronomen Camille Flammarion eine weite Verbreitung erlangt; ſie zeichnen ſich ebenſo durch reiche Phantaſie und lebendige Dar- ſtellung aus, wie durch bedauerlichen Mangel an Kritik und an biologiſchen Kenntniſſen. Soweit wir gegenwärtig zur Be- antwortung dieſer Frage befähigt erſcheinen, können wir uns etwa Folgendes vorſtellen: I. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß auf einigen Planeten unſeres Syſtems (Mars und Venus) und vielen Planeten anderer Sonnen-Syſteme der biogenetiſche Proceß ſich ähnlich wie auf unſerer Erde abſpielt; zuerſt entſtanden durch Archigonie einfache Moneren und aus dieſen einzellige Protiſten (zunächſt plasmodome Urpflanzen, ſpäter plasmophage Ur- thiere). II. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß aus dieſen einzelligen Protiſten ſich im weiteren Verlauf der Entwickelung zunächſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/444
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/444>, abgerufen am 08.05.2024.