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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Staat und Kirche. XIX.
jedoch unter der Voraussetzung, daß sie dadurch nicht die
öffentliche Ordnung und Sittlichkeit gefährdet. Und dann soll
gleiches Recht für Alle gelten! Die freien Gemeinden und die
monistischen Religions-Gesellschaften sollen ebenso geduldet und
ebenso frei in ihren Bewegungen sein wie die liberalen Pro-
testanten-Vereine und die orthodoxen ultramontanen Gemeinden.
Aber für alle diese "Gläubigen" der verschiedensten Konfessionen
soll die Religion Privatsache bleiben; der Staat soll sie
nur beaufsichtigen und ihre Ausschreitungen verhüten, sie aber
weder unterdrücken noch unterstützen. Vor Allem sollen jedoch
die Steuerzahler nicht mehr gehalten werden, ihr Geld für die
Aufrechterhaltung und Förderung eines fremden "Glaubens"
herzugeben, der nach ihrer ehrlichen Ueberzeugung ein schädlicher
Aberglaube ist. In den Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika ist in diesem Sinne die vollständige "Trennung von
Staat und Kirche" längst durchgeführt, und zwar zur Zufrieden-
heit aller Betheiligten. Damit ist dort zugleich die ebenso
wichtige Trennung der Kirche von der Schule bestimmt, un-
zweifelhaft ein wichtiger Grund für den gewaltigen Aufschwung,
welchen die Wissenschaft und das höhere Geistesleben überhaupt
neuerdings in Nord-Amerika genommen hat.

Kirche und Schule. Es ist selbstverständlich, daß die Ent-
fernung der Kirche aus der Schule sich bloß auf die Konfession
bezieht, auf die besondere Glaubens-Form, welche der Sagenkreis
jeder einzelnen Kirche im Laufe der Zeit entwickelt hat. Dieser
"konfessionelle Unterricht" ist reine Privatsache und Aufgabe der
Eltern und Vormünder, oder derjenigen Priester oder Lehrer,
denen diese ihr persönliches Vertrauen schenken. Dagegen treten
an Stelle der eliminirten "Konfession" in der Schule zwei ver-
schiedene wichtige Unterrichts-Gegenstände: erstens die monistische
Sittenlehre und zweitens die vergleichende Religions-Geschichte.
Ueber die neue monistische Ethik, welche sich auf der festen

Staat und Kirche. XIX.
jedoch unter der Vorausſetzung, daß ſie dadurch nicht die
öffentliche Ordnung und Sittlichkeit gefährdet. Und dann ſoll
gleiches Recht für Alle gelten! Die freien Gemeinden und die
moniſtiſchen Religions-Geſellſchaften ſollen ebenſo geduldet und
ebenſo frei in ihren Bewegungen ſein wie die liberalen Pro-
teſtanten-Vereine und die orthodoxen ultramontanen Gemeinden.
Aber für alle dieſe „Gläubigen“ der verſchiedenſten Konfeſſionen
ſoll die Religion Privatſache bleiben; der Staat ſoll ſie
nur beaufſichtigen und ihre Ausſchreitungen verhüten, ſie aber
weder unterdrücken noch unterſtützen. Vor Allem ſollen jedoch
die Steuerzahler nicht mehr gehalten werden, ihr Geld für die
Aufrechterhaltung und Förderung eines fremden „Glaubens“
herzugeben, der nach ihrer ehrlichen Ueberzeugung ein ſchädlicher
Aberglaube iſt. In den Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika iſt in dieſem Sinne die vollſtändige „Trennung von
Staat und Kirche“ längſt durchgeführt, und zwar zur Zufrieden-
heit aller Betheiligten. Damit iſt dort zugleich die ebenſo
wichtige Trennung der Kirche von der Schule beſtimmt, un-
zweifelhaft ein wichtiger Grund für den gewaltigen Aufſchwung,
welchen die Wiſſenſchaft und das höhere Geiſtesleben überhaupt
neuerdings in Nord-Amerika genommen hat.

Kirche und Schule. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß die Ent-
fernung der Kirche aus der Schule ſich bloß auf die Konfeſſion
bezieht, auf die beſondere Glaubens-Form, welche der Sagenkreis
jeder einzelnen Kirche im Laufe der Zeit entwickelt hat. Dieſer
„konfeſſionelle Unterricht“ iſt reine Privatſache und Aufgabe der
Eltern und Vormünder, oder derjenigen Prieſter oder Lehrer,
denen dieſe ihr perſönliches Vertrauen ſchenken. Dagegen treten
an Stelle der eliminirten „Konfeſſion“ in der Schule zwei ver-
ſchiedene wichtige Unterrichts-Gegenſtände: erſtens die moniſtiſche
Sittenlehre und zweitens die vergleichende Religions-Geſchichte.
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[416/0432] Staat und Kirche. XIX. jedoch unter der Vorausſetzung, daß ſie dadurch nicht die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit gefährdet. Und dann ſoll gleiches Recht für Alle gelten! Die freien Gemeinden und die moniſtiſchen Religions-Geſellſchaften ſollen ebenſo geduldet und ebenſo frei in ihren Bewegungen ſein wie die liberalen Pro- teſtanten-Vereine und die orthodoxen ultramontanen Gemeinden. Aber für alle dieſe „Gläubigen“ der verſchiedenſten Konfeſſionen ſoll die Religion Privatſache bleiben; der Staat ſoll ſie nur beaufſichtigen und ihre Ausſchreitungen verhüten, ſie aber weder unterdrücken noch unterſtützen. Vor Allem ſollen jedoch die Steuerzahler nicht mehr gehalten werden, ihr Geld für die Aufrechterhaltung und Förderung eines fremden „Glaubens“ herzugeben, der nach ihrer ehrlichen Ueberzeugung ein ſchädlicher Aberglaube iſt. In den Vereinigten Staaten von Nord- Amerika iſt in dieſem Sinne die vollſtändige „Trennung von Staat und Kirche“ längſt durchgeführt, und zwar zur Zufrieden- heit aller Betheiligten. Damit iſt dort zugleich die ebenſo wichtige Trennung der Kirche von der Schule beſtimmt, un- zweifelhaft ein wichtiger Grund für den gewaltigen Aufſchwung, welchen die Wiſſenſchaft und das höhere Geiſtesleben überhaupt neuerdings in Nord-Amerika genommen hat. Kirche und Schule. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß die Ent- fernung der Kirche aus der Schule ſich bloß auf die Konfeſſion bezieht, auf die beſondere Glaubens-Form, welche der Sagenkreis jeder einzelnen Kirche im Laufe der Zeit entwickelt hat. Dieſer „konfeſſionelle Unterricht“ iſt reine Privatſache und Aufgabe der Eltern und Vormünder, oder derjenigen Prieſter oder Lehrer, denen dieſe ihr perſönliches Vertrauen ſchenken. Dagegen treten an Stelle der eliminirten „Konfeſſion“ in der Schule zwei ver- ſchiedene wichtige Unterrichts-Gegenſtände: erſtens die moniſtiſche Sittenlehre und zweitens die vergleichende Religions-Geſchichte. Ueber die neue moniſtiſche Ethik, welche ſich auf der feſten

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/432>, abgerufen am 27.11.2024.