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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XIX. Kultur-Verachtung des Christenthums.
eine Fülle der edelsten irdischen Freuden, vor Allem den herrlichen
wahrhaft erhebenden Naturgenuß.

IV. Die Kultur-Verachtung des Christenthums.
Da nach Christi Lehre unsere Erde ein Jammerthal ist, unser
irdisches Leben werthlos und nur eine Vorbereitung auf das
"ewige Leben" im besseren Jenseits, so verlangt sie folgerichtig,
daß demgemäß der Mensch auf alles Glück im Diesseits zu ver-
zichten und alle dazu erforderlichen irdischen Güter gering
zu achten hat. Zu diesen "irdischen Gütern" gehören aber für
den modernen Kulturmenschen die unzähligen kleinen und großen
Hilfsmittel der Technik, der Hygieine, des Verkehrs, welche unser
heutiges Kulturleben angenehm und gemüthlich gestalten; -- zu
diesen "irdischen Gütern" gehören alle die hohen Genüsse der
bildenden Kunst, der Tonkunst, der Poesie, welche schon während
des christlichen Mittelalters (und trotz seiner Principien!) sich
zu hoher Blüthe entwickelten, und welche wir als "ideale Güter"
hochschätzen; -- zu diesen "irdischen Gütern" gehören alle jene
unschätzbaren Fortschritte der Wissenschaft und vor Allem der
Naturerkenntniß, auf deren ungeahnte Entwickelung unser 19. Jahr-
hundert in der That stolz sein kann. Alle diese "irdischen Güter"
der verfeinerten Kultur, welche nach unserer monistischen Welt-
anschauung den höchsten Werth besitzen, sind nach der christlichen
Lehre werthlos, ja großentheils verwerflich, und die strenge christ-
liche Moral muß das Streben nach diesen Gütern ebenso miß-
billigen, wie unsere humanistische Ethik dasselbe billigt und
empfiehlt. Das Christenthum zeigt sich also auch auf diesem
praktischen Gebiete kulturfeindlich, und der Kampf, welchen die
moderne Bildung und Wissenschaft dagegen zu führen gezwungen
sind, ist auch in diesem Sinne "Kulturkampf".

V. Die Familien-Verachtung des Christenthums.
Zu den bedauerlichsten Seiten der christlichen Moral gehört die
Geringschätzung, welche dasselbe gegen das Familien-Leben

XIX. Kultur-Verachtung des Chriſtenthums.
eine Fülle der edelſten irdiſchen Freuden, vor Allem den herrlichen
wahrhaft erhebenden Naturgenuß.

IV. Die Kultur-Verachtung des Chriſtenthums.
Da nach Chriſti Lehre unſere Erde ein Jammerthal iſt, unſer
irdiſches Leben werthlos und nur eine Vorbereitung auf das
„ewige Leben“ im beſſeren Jenſeits, ſo verlangt ſie folgerichtig,
daß demgemäß der Menſch auf alles Glück im Diesſeits zu ver-
zichten und alle dazu erforderlichen irdiſchen Güter gering
zu achten hat. Zu dieſen „irdiſchen Gütern“ gehören aber für
den modernen Kulturmenſchen die unzähligen kleinen und großen
Hilfsmittel der Technik, der Hygieine, des Verkehrs, welche unſer
heutiges Kulturleben angenehm und gemüthlich geſtalten; — zu
dieſen „irdiſchen Gütern“ gehören alle die hohen Genüſſe der
bildenden Kunſt, der Tonkunſt, der Poeſie, welche ſchon während
des chriſtlichen Mittelalters (und trotz ſeiner Principien!) ſich
zu hoher Blüthe entwickelten, und welche wir als „ideale Güter“
hochſchätzen; — zu dieſen „irdiſchen Gütern“ gehören alle jene
unſchätzbaren Fortſchritte der Wiſſenſchaft und vor Allem der
Naturerkenntniß, auf deren ungeahnte Entwickelung unſer 19. Jahr-
hundert in der That ſtolz ſein kann. Alle dieſe „irdiſchen Güter“
der verfeinerten Kultur, welche nach unſerer moniſtiſchen Welt-
anſchauung den höchſten Werth beſitzen, ſind nach der chriſtlichen
Lehre werthlos, ja großentheils verwerflich, und die ſtrenge chriſt-
liche Moral muß das Streben nach dieſen Gütern ebenſo miß-
billigen, wie unſere humaniſtiſche Ethik dasſelbe billigt und
empfiehlt. Das Chriſtenthum zeigt ſich alſo auch auf dieſem
praktiſchen Gebiete kulturfeindlich, und der Kampf, welchen die
moderne Bildung und Wiſſenſchaft dagegen zu führen gezwungen
ſind, iſt auch in dieſem Sinne „Kulturkampf“.

V. Die Familien-Verachtung des Chriſtenthums.
Zu den bedauerlichſten Seiten der chriſtlichen Moral gehört die
Geringſchätzung, welche dasſelbe gegen das Familien-Leben

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[411/0427] XIX. Kultur-Verachtung des Chriſtenthums. eine Fülle der edelſten irdiſchen Freuden, vor Allem den herrlichen wahrhaft erhebenden Naturgenuß. IV. Die Kultur-Verachtung des Chriſtenthums. Da nach Chriſti Lehre unſere Erde ein Jammerthal iſt, unſer irdiſches Leben werthlos und nur eine Vorbereitung auf das „ewige Leben“ im beſſeren Jenſeits, ſo verlangt ſie folgerichtig, daß demgemäß der Menſch auf alles Glück im Diesſeits zu ver- zichten und alle dazu erforderlichen irdiſchen Güter gering zu achten hat. Zu dieſen „irdiſchen Gütern“ gehören aber für den modernen Kulturmenſchen die unzähligen kleinen und großen Hilfsmittel der Technik, der Hygieine, des Verkehrs, welche unſer heutiges Kulturleben angenehm und gemüthlich geſtalten; — zu dieſen „irdiſchen Gütern“ gehören alle die hohen Genüſſe der bildenden Kunſt, der Tonkunſt, der Poeſie, welche ſchon während des chriſtlichen Mittelalters (und trotz ſeiner Principien!) ſich zu hoher Blüthe entwickelten, und welche wir als „ideale Güter“ hochſchätzen; — zu dieſen „irdiſchen Gütern“ gehören alle jene unſchätzbaren Fortſchritte der Wiſſenſchaft und vor Allem der Naturerkenntniß, auf deren ungeahnte Entwickelung unſer 19. Jahr- hundert in der That ſtolz ſein kann. Alle dieſe „irdiſchen Güter“ der verfeinerten Kultur, welche nach unſerer moniſtiſchen Welt- anſchauung den höchſten Werth beſitzen, ſind nach der chriſtlichen Lehre werthlos, ja großentheils verwerflich, und die ſtrenge chriſt- liche Moral muß das Streben nach dieſen Gütern ebenſo miß- billigen, wie unſere humaniſtiſche Ethik dasſelbe billigt und empfiehlt. Das Chriſtenthum zeigt ſich alſo auch auf dieſem praktiſchen Gebiete kulturfeindlich, und der Kampf, welchen die moderne Bildung und Wiſſenſchaft dagegen zu führen gezwungen ſind, iſt auch in dieſem Sinne „Kulturkampf“. V. Die Familien-Verachtung des Chriſtenthums. Zu den bedauerlichſten Seiten der chriſtlichen Moral gehört die Geringſchätzung, welche dasſelbe gegen das Familien-Leben

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/427>, abgerufen am 27.11.2024.