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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Empfängniß der Jungfrau Maria. XVII.
nommen ist. 13 Aehnliche Sagen hatten schon mehrere Jahr-
hunderte vor Christi Geburt eine weite Verbreitung in Indien,
Persien, Klein-Asien und Griechenland. Wenn Königstöchter
oder andere Jungfrauen aus höheren Ständen, ohne legitim
verheirathet zu sein, durch die Geburt eines Kindes erfreut
wurden, so wurde als der Vater dieses illegitimen Sprößlings
meistens ein "Gott" oder "Halbgott" ausgegeben, in diesem
Falle der mysteriöse "Heilige Geist".

Die besonderen Gaben des Geistes und Körpers, durch welche
solche "Kinder der Liebe" oft vor gewöhnlichen Menschenkindern
sich auszeichneten, wurden damit zugleich theilweise durch Ver-
erbung
erklärt. Solche hervorragende "Göttersöhne" standen
sowohl im Alterthum als im Mittelalter in hohem Ansehen,
während der Moral-Kodex der modernen Civilisation ihnen den
Mangel der "legitimen" Eltern als Makel anrechnet. In noch
höherem Maße gilt dies von den "Göttertöchtern", obwohl
diese armen Mädchen an dem fehlenden Titel ihres Vaters
ebenso unschuldig sind. Uebrigens weiß Jeder, der sich an der
schönheitsvollen Mythologie des klassischen Alterthums erfreut
hat, wie gerade die angeblichen Söhne und Töchter der griechischen
und römischen "Götter" sich oft den höchsten Idealen des
reinen Menschen-Typus am meisten genähert haben; man denke
nur an die große legitime und die noch viel größere illegitime
Familie des Göttervaters Zeus u. s. w. (Vergl. Shakespeare.)

Was nun speciell die Befruchtung der Jungfrau Maria
durch den Heiligen Geist betrifft, so werden wir durch das Zeug-
niß der Evangelien selbst darüber aufgeklärt. Die beiden Evan-
gelisten, welche allein darüber Bericht erstatten, Matthäus
und Lukas, erzählen übereinstimmend, daß die jüdische Jung-
frau Maria mit dem Zimmermann Joseph verlobt war, aber
ohne dessen Mitwirkung schwanger wurde, und zwar durch den
"Heiligen Geist". Matthäus sagt ausdrücklich (Kap. 1, Vers 19):

Empfängniß der Jungfrau Maria. XVII.
nommen iſt. 13 Aehnliche Sagen hatten ſchon mehrere Jahr-
hunderte vor Chriſti Geburt eine weite Verbreitung in Indien,
Perſien, Klein-Aſien und Griechenland. Wenn Königstöchter
oder andere Jungfrauen aus höheren Ständen, ohne legitim
verheirathet zu ſein, durch die Geburt eines Kindes erfreut
wurden, ſo wurde als der Vater dieſes illegitimen Sprößlings
meiſtens ein „Gott“ oder „Halbgott“ ausgegeben, in dieſem
Falle der myſteriöſe „Heilige Geiſt“.

Die beſonderen Gaben des Geiſtes und Körpers, durch welche
ſolche „Kinder der Liebe“ oft vor gewöhnlichen Menſchenkindern
ſich auszeichneten, wurden damit zugleich theilweiſe durch Ver-
erbung
erklärt. Solche hervorragende „Götterſöhne“ ſtanden
ſowohl im Alterthum als im Mittelalter in hohem Anſehen,
während der Moral-Kodex der modernen Civiliſation ihnen den
Mangel der „legitimen“ Eltern als Makel anrechnet. In noch
höherem Maße gilt dies von den „Göttertöchtern“, obwohl
dieſe armen Mädchen an dem fehlenden Titel ihres Vaters
ebenſo unſchuldig ſind. Uebrigens weiß Jeder, der ſich an der
ſchönheitsvollen Mythologie des klaſſiſchen Alterthums erfreut
hat, wie gerade die angeblichen Söhne und Töchter der griechiſchen
und römiſchen „Götter“ ſich oft den höchſten Idealen des
reinen Menſchen-Typus am meiſten genähert haben; man denke
nur an die große legitime und die noch viel größere illegitime
Familie des Göttervaters Zeus u. ſ. w. (Vergl. Shakeſpeare.)

Was nun ſpeciell die Befruchtung der Jungfrau Maria
durch den Heiligen Geiſt betrifft, ſo werden wir durch das Zeug-
niß der Evangelien ſelbſt darüber aufgeklärt. Die beiden Evan-
geliſten, welche allein darüber Bericht erſtatten, Matthäus
und Lukas, erzählen übereinſtimmend, daß die jüdiſche Jung-
frau Maria mit dem Zimmermann Joſeph verlobt war, aber
ohne deſſen Mitwirkung ſchwanger wurde, und zwar durch den
„Heiligen Geiſt“. Matthäus ſagt ausdrücklich (Kap. 1, Vers 19):

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[376/0392] Empfängniß der Jungfrau Maria. XVII. nommen iſt. ¹³ Aehnliche Sagen hatten ſchon mehrere Jahr- hunderte vor Chriſti Geburt eine weite Verbreitung in Indien, Perſien, Klein-Aſien und Griechenland. Wenn Königstöchter oder andere Jungfrauen aus höheren Ständen, ohne legitim verheirathet zu ſein, durch die Geburt eines Kindes erfreut wurden, ſo wurde als der Vater dieſes illegitimen Sprößlings meiſtens ein „Gott“ oder „Halbgott“ ausgegeben, in dieſem Falle der myſteriöſe „Heilige Geiſt“. Die beſonderen Gaben des Geiſtes und Körpers, durch welche ſolche „Kinder der Liebe“ oft vor gewöhnlichen Menſchenkindern ſich auszeichneten, wurden damit zugleich theilweiſe durch Ver- erbung erklärt. Solche hervorragende „Götterſöhne“ ſtanden ſowohl im Alterthum als im Mittelalter in hohem Anſehen, während der Moral-Kodex der modernen Civiliſation ihnen den Mangel der „legitimen“ Eltern als Makel anrechnet. In noch höherem Maße gilt dies von den „Göttertöchtern“, obwohl dieſe armen Mädchen an dem fehlenden Titel ihres Vaters ebenſo unſchuldig ſind. Uebrigens weiß Jeder, der ſich an der ſchönheitsvollen Mythologie des klaſſiſchen Alterthums erfreut hat, wie gerade die angeblichen Söhne und Töchter der griechiſchen und römiſchen „Götter“ ſich oft den höchſten Idealen des reinen Menſchen-Typus am meiſten genähert haben; man denke nur an die große legitime und die noch viel größere illegitime Familie des Göttervaters Zeus u. ſ. w. (Vergl. Shakeſpeare.) Was nun ſpeciell die Befruchtung der Jungfrau Maria durch den Heiligen Geiſt betrifft, ſo werden wir durch das Zeug- niß der Evangelien ſelbſt darüber aufgeklärt. Die beiden Evan- geliſten, welche allein darüber Bericht erſtatten, Matthäus und Lukas, erzählen übereinſtimmend, daß die jüdiſche Jung- frau Maria mit dem Zimmermann Joſeph verlobt war, aber ohne deſſen Mitwirkung ſchwanger wurde, und zwar durch den „Heiligen Geiſt“. Matthäus ſagt ausdrücklich (Kap. 1, Vers 19):

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/392>, abgerufen am 27.11.2024.