Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Aberglaube der Naturvölker. XVI. im engeren Sinne (!) bezeichnet werden. Da aber diese beidenGlaubens-Formen, der "natürliche Glaube" der Wissenschaft und der "übernatürliche Glaube" der Religion, nicht selten verwechselt werden und so Verwirrung entsteht, ist es zweckmäßig, ja noth- wendig, ihren principiellen Gegensatz scharf zu betonen. Der "religiöse" Glaube ist stets Wunderglaube und steht als solcher mit dem natürlichen Glauben der Vernunft in un- versöhnlichem Widerspruch. Im Gegensatz zu letzterem behauptet er übernatürliche Vorgänge und kann somit als "Ueberglaube" oder "Oberglaube" bezeichnet werden, die ursprüngliche Form des Wortes Aberglaube. Der wesentliche Unterschied dieses Aberglaubens von dem "vernünftigen Glauben" besteht eben darin, daß er übernatürliche Kräfte und Erscheinungen annimmt, welche die Wissenschaft nicht kennt und nicht zuläßt, welche durch irrthümliche Wahrnehmungen und falsche Phantasie-Dichtungen erzeugt sind; der Aberglaube widerspricht mithin den klar er- kannten Naturgesetzen und ist als solcher unvernünftig. Aberglaube der Naturvölker. Durch die großen Fort- Aberglaube der Naturvölker. XVI. im engeren Sinne (!) bezeichnet werden. Da aber dieſe beidenGlaubens-Formen, der „natürliche Glaube“ der Wiſſenſchaft und der „übernatürliche Glaube“ der Religion, nicht ſelten verwechſelt werden und ſo Verwirrung entſteht, iſt es zweckmäßig, ja noth- wendig, ihren principiellen Gegenſatz ſcharf zu betonen. Der „religiöſe“ Glaube iſt ſtets Wunderglaube und ſteht als ſolcher mit dem natürlichen Glauben der Vernunft in un- verſöhnlichem Widerſpruch. Im Gegenſatz zu letzterem behauptet er übernatürliche Vorgänge und kann ſomit als „Ueberglaube“ oder „Oberglaube“ bezeichnet werden, die urſprüngliche Form des Wortes Aberglaube. Der weſentliche Unterſchied dieſes Aberglaubens von dem „vernünftigen Glauben“ beſteht eben darin, daß er übernatürliche Kräfte und Erſcheinungen annimmt, welche die Wiſſenſchaft nicht kennt und nicht zuläßt, welche durch irrthümliche Wahrnehmungen und falſche Phantaſie-Dichtungen erzeugt ſind; der Aberglaube widerſpricht mithin den klar er- kannten Naturgeſetzen und iſt als ſolcher unvernünftig. Aberglaube der Naturvölker. Durch die großen Fort- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0364" n="348"/><fw place="top" type="header">Aberglaube der Naturvölker. <hi rendition="#aq">XVI.</hi></fw><lb/> im engeren Sinne (!) bezeichnet werden. Da aber dieſe beiden<lb/> Glaubens-Formen, der „natürliche Glaube“ der Wiſſenſchaft und<lb/> der „übernatürliche Glaube“ der Religion, nicht ſelten verwechſelt<lb/> werden und ſo Verwirrung entſteht, iſt es zweckmäßig, ja noth-<lb/> wendig, ihren <hi rendition="#g">principiellen Gegenſatz</hi> ſcharf zu betonen.<lb/> Der „religiöſe“ Glaube iſt ſtets <hi rendition="#g">Wunderglaube</hi> und ſteht<lb/> als ſolcher mit dem natürlichen Glauben der Vernunft in un-<lb/> verſöhnlichem Widerſpruch. Im Gegenſatz zu letzterem behauptet<lb/> er übernatürliche Vorgänge und kann ſomit als „<hi rendition="#g">Ueberglaube</hi>“<lb/> oder „<hi rendition="#g">Oberglaube</hi>“ bezeichnet werden, die urſprüngliche Form<lb/> des Wortes <hi rendition="#g">Aberglaube</hi>. Der weſentliche Unterſchied dieſes<lb/> Aberglaubens von dem „vernünftigen Glauben“ beſteht eben<lb/> darin, daß er übernatürliche Kräfte und Erſcheinungen annimmt,<lb/> welche die Wiſſenſchaft nicht kennt und nicht zuläßt, welche durch<lb/> irrthümliche Wahrnehmungen und falſche Phantaſie-Dichtungen<lb/> erzeugt ſind; der Aberglaube widerſpricht mithin den klar er-<lb/> kannten Naturgeſetzen und iſt als ſolcher <hi rendition="#g">unvernünftig</hi>.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Aberglaube der Naturvölker.</hi> Durch die großen Fort-<lb/> ſchritte der Ethnologie in unſerem 19. Jahrhundert iſt uns eine<lb/> erſtaunliche Fülle von mannigfaltigen Formen und Erzeugniſſen<lb/> des Aberglaubens bekannt geworden, wie ſie noch heute unter<lb/> den rohen Naturvölkern exiſtiren. Vergleicht man dieſelben unter<lb/> einander und mit den entſprechenden mythologiſchen Vorſtellungen<lb/> früherer Zeiten, ſo ergiebt ſich eine vielfache Analogie, oft ein<lb/> gemeinſamer Urſprung und zuletzt ſchließlich eine einfache Urquelle<lb/> für alle. Dieſe finden wir in dem natürlichen <hi rendition="#g">Kauſalitäts-<lb/> Bedürfniſſe der Vernunft</hi>, in dem Suchen noch Er-<lb/> klärung unbekannter Erſcheinungen durch Auffinden ihrer Urſachen.<lb/> Beſonders gilt das von ſolchen Bewegungs-Erſcheinungen, die<lb/> Gefahr drohen und Furcht erregen, wie Blitz und Donner, Erd-<lb/> beben, Mondfinſterniß u. ſ. w. Das Bedürfniß nach kauſaler<lb/> Erklärung ſolcher Natur-Erſcheinungen beſteht ſchon bei den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [348/0364]
Aberglaube der Naturvölker. XVI.
im engeren Sinne (!) bezeichnet werden. Da aber dieſe beiden
Glaubens-Formen, der „natürliche Glaube“ der Wiſſenſchaft und
der „übernatürliche Glaube“ der Religion, nicht ſelten verwechſelt
werden und ſo Verwirrung entſteht, iſt es zweckmäßig, ja noth-
wendig, ihren principiellen Gegenſatz ſcharf zu betonen.
Der „religiöſe“ Glaube iſt ſtets Wunderglaube und ſteht
als ſolcher mit dem natürlichen Glauben der Vernunft in un-
verſöhnlichem Widerſpruch. Im Gegenſatz zu letzterem behauptet
er übernatürliche Vorgänge und kann ſomit als „Ueberglaube“
oder „Oberglaube“ bezeichnet werden, die urſprüngliche Form
des Wortes Aberglaube. Der weſentliche Unterſchied dieſes
Aberglaubens von dem „vernünftigen Glauben“ beſteht eben
darin, daß er übernatürliche Kräfte und Erſcheinungen annimmt,
welche die Wiſſenſchaft nicht kennt und nicht zuläßt, welche durch
irrthümliche Wahrnehmungen und falſche Phantaſie-Dichtungen
erzeugt ſind; der Aberglaube widerſpricht mithin den klar er-
kannten Naturgeſetzen und iſt als ſolcher unvernünftig.
Aberglaube der Naturvölker. Durch die großen Fort-
ſchritte der Ethnologie in unſerem 19. Jahrhundert iſt uns eine
erſtaunliche Fülle von mannigfaltigen Formen und Erzeugniſſen
des Aberglaubens bekannt geworden, wie ſie noch heute unter
den rohen Naturvölkern exiſtiren. Vergleicht man dieſelben unter
einander und mit den entſprechenden mythologiſchen Vorſtellungen
früherer Zeiten, ſo ergiebt ſich eine vielfache Analogie, oft ein
gemeinſamer Urſprung und zuletzt ſchließlich eine einfache Urquelle
für alle. Dieſe finden wir in dem natürlichen Kauſalitäts-
Bedürfniſſe der Vernunft, in dem Suchen noch Er-
klärung unbekannter Erſcheinungen durch Auffinden ihrer Urſachen.
Beſonders gilt das von ſolchen Bewegungs-Erſcheinungen, die
Gefahr drohen und Furcht erregen, wie Blitz und Donner, Erd-
beben, Mondfinſterniß u. ſ. w. Das Bedürfniß nach kauſaler
Erklärung ſolcher Natur-Erſcheinungen beſteht ſchon bei den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |