Wesen des Theismus. Alle hier angeführten Formen des Theismus im eigentlichen Sinne -- gleichviel, ob dieser Gottes- glaube eine naturalistische oder anthropistische Form annimmt -- haben gemeinsam die Vorstellung Gottes als des Außerwelt- lichen(Extramundanum) oder Uebernatürlichen(Supra- naturale). Immer steht Gott als selbstständiges Wesen der Welt oder der Natur gegenüber, meistens als Schöpfer, Erhalter und Regierer der Welt. In den allermeisten Religionen kommt dazu noch der Charakter des Persönlichen und bestimmter noch die Vorstellung, daß Gott als Person dem Menschen ähnlich ist. "In seinen Göttern malet sich der Mensch." Dieser Anthropo- morphismus Gottes oder die anthropistische Vorstellung eines Wesens, welches gleich dem Menschen denkt, empfindet und handelt, ist bei der großen Mehrzahl der Gottesgläubigen maß- gebend, bald in mehr roher und naiver, bald in mehr feiner und abstrakter Form. Allerdings wird die vorgeschrittenste Form der Theosophie behaupten, daß Gott als höchstes Wesen von absoluter Vollkommenheit und daher gänzlich von dem unvoll- kommenen Wesen des Menschen verschieden sei. Allein bei genauerer Untersuchung bleibt immer das Gemeinsame Beider ihre Seelen- oder Geistesthätigkeit. Gott empfindet, denkt und handelt wie der Mensch, wenn auch in unendlich vollkommenerer Form.
Der persönliche Anthropismus Gottes ist bei der großen Mehrzahl der Gläubigen zu einer so natürlichen Vorstellung ge- worden, daß sie keinen Anstoß an der menschlichen Personifikation Gottes in Bildern und Statuen nehmen, und an den mannig- faltigen Dichtungen der Phantasie, in welchen Gott menschliche Gestalt annimmt, d. h. sich in ein Wirbelthier verwandelt. In vielen Mythen erscheint die Person Gottes auch in Gestalt anderer Säugethiere (Affen, Löwen, Stiere u. s. w.), seltener in Gestalt von Vögeln (Adler, Tauben, Störche) oder in Form von niederen Wirbelthieren (Schlangen, Krokodile, Drachen).
Anthropiſtiſcher Theismus. XV.
Weſen des Theismus. Alle hier angeführten Formen des Theismus im eigentlichen Sinne — gleichviel, ob dieſer Gottes- glaube eine naturaliſtiſche oder anthropiſtiſche Form annimmt — haben gemeinſam die Vorſtellung Gottes als des Außerwelt- lichen(Extramundanum) oder Uebernatürlichen(Supra- naturale). Immer ſteht Gott als ſelbſtſtändiges Weſen der Welt oder der Natur gegenüber, meiſtens als Schöpfer, Erhalter und Regierer der Welt. In den allermeiſten Religionen kommt dazu noch der Charakter des Perſönlichen und beſtimmter noch die Vorſtellung, daß Gott als Perſon dem Menſchen ähnlich iſt. „In ſeinen Göttern malet ſich der Menſch.“ Dieſer Anthropo- morphismus Gottes oder die anthropiſtiſche Vorſtellung eines Weſens, welches gleich dem Menſchen denkt, empfindet und handelt, iſt bei der großen Mehrzahl der Gottesgläubigen maß- gebend, bald in mehr roher und naiver, bald in mehr feiner und abſtrakter Form. Allerdings wird die vorgeſchrittenſte Form der Theoſophie behaupten, daß Gott als höchſtes Weſen von abſoluter Vollkommenheit und daher gänzlich von dem unvoll- kommenen Weſen des Menſchen verſchieden ſei. Allein bei genauerer Unterſuchung bleibt immer das Gemeinſame Beider ihre Seelen- oder Geiſtesthätigkeit. Gott empfindet, denkt und handelt wie der Menſch, wenn auch in unendlich vollkommenerer Form.
Der perſönliche Anthropismus Gottes iſt bei der großen Mehrzahl der Gläubigen zu einer ſo natürlichen Vorſtellung ge- worden, daß ſie keinen Anſtoß an der menſchlichen Perſonifikation Gottes in Bildern und Statuen nehmen, und an den mannig- faltigen Dichtungen der Phantaſie, in welchen Gott menſchliche Geſtalt annimmt, d. h. ſich in ein Wirbelthier verwandelt. In vielen Mythen erſcheint die Perſon Gottes auch in Geſtalt anderer Säugethiere (Affen, Löwen, Stiere u. ſ. w.), ſeltener in Geſtalt von Vögeln (Adler, Tauben, Störche) oder in Form von niederen Wirbelthieren (Schlangen, Krokodile, Drachen).
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0348"n="332"/><fwplace="top"type="header">Anthropiſtiſcher Theismus. <hirendition="#aq">XV.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#b">Weſen des Theismus.</hi> Alle hier angeführten Formen des<lb/>
Theismus im eigentlichen Sinne — gleichviel, ob dieſer Gottes-<lb/>
glaube eine naturaliſtiſche oder anthropiſtiſche Form annimmt —<lb/>
haben gemeinſam die Vorſtellung Gottes als des <hirendition="#g">Außerwelt-<lb/>
lichen</hi><hirendition="#aq">(Extramundanum)</hi> oder <hirendition="#g">Uebernatürlichen</hi><hirendition="#aq">(Supra-<lb/>
naturale)</hi>. Immer ſteht Gott als ſelbſtſtändiges Weſen der<lb/>
Welt oder der Natur gegenüber, meiſtens als Schöpfer, Erhalter<lb/>
und Regierer der Welt. In den allermeiſten Religionen kommt<lb/>
dazu noch der Charakter des <hirendition="#g">Perſönlichen</hi> und beſtimmter<lb/>
noch die Vorſtellung, daß Gott als Perſon dem Menſchen ähnlich<lb/>
iſt. „In ſeinen Göttern malet ſich der Menſch.“ Dieſer <hirendition="#g">Anthropo-<lb/>
morphismus Gottes</hi> oder die anthropiſtiſche Vorſtellung<lb/>
eines Weſens, welches gleich dem Menſchen denkt, empfindet und<lb/>
handelt, iſt bei der großen Mehrzahl der Gottesgläubigen maß-<lb/>
gebend, bald in mehr roher und naiver, bald in mehr feiner<lb/>
und abſtrakter Form. Allerdings wird die vorgeſchrittenſte Form<lb/>
der Theoſophie behaupten, daß Gott als höchſtes Weſen von<lb/>
abſoluter Vollkommenheit und daher gänzlich von dem unvoll-<lb/>
kommenen Weſen des Menſchen verſchieden ſei. Allein bei genauerer<lb/>
Unterſuchung bleibt immer das Gemeinſame Beider ihre Seelen-<lb/>
oder Geiſtesthätigkeit. Gott empfindet, denkt und handelt wie<lb/>
der Menſch, wenn auch in unendlich vollkommenerer Form.</p><lb/><p><hirendition="#b">Der perſönliche Anthropismus Gottes</hi> iſt bei der großen<lb/>
Mehrzahl der Gläubigen zu einer ſo natürlichen Vorſtellung ge-<lb/>
worden, daß ſie keinen Anſtoß an der menſchlichen Perſonifikation<lb/>
Gottes in Bildern und Statuen nehmen, und an den mannig-<lb/>
faltigen Dichtungen der Phantaſie, in welchen Gott menſchliche<lb/>
Geſtalt annimmt, d. h. ſich in ein <hirendition="#g">Wirbelthier</hi> verwandelt.<lb/>
In vielen Mythen erſcheint die Perſon Gottes auch in Geſtalt<lb/>
anderer Säugethiere (Affen, Löwen, Stiere u. ſ. w.), ſeltener in<lb/>
Geſtalt von Vögeln (Adler, Tauben, Störche) oder in Form<lb/>
von niederen Wirbelthieren (Schlangen, Krokodile, Drachen).</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[332/0348]
Anthropiſtiſcher Theismus. XV.
Weſen des Theismus. Alle hier angeführten Formen des
Theismus im eigentlichen Sinne — gleichviel, ob dieſer Gottes-
glaube eine naturaliſtiſche oder anthropiſtiſche Form annimmt —
haben gemeinſam die Vorſtellung Gottes als des Außerwelt-
lichen (Extramundanum) oder Uebernatürlichen (Supra-
naturale). Immer ſteht Gott als ſelbſtſtändiges Weſen der
Welt oder der Natur gegenüber, meiſtens als Schöpfer, Erhalter
und Regierer der Welt. In den allermeiſten Religionen kommt
dazu noch der Charakter des Perſönlichen und beſtimmter
noch die Vorſtellung, daß Gott als Perſon dem Menſchen ähnlich
iſt. „In ſeinen Göttern malet ſich der Menſch.“ Dieſer Anthropo-
morphismus Gottes oder die anthropiſtiſche Vorſtellung
eines Weſens, welches gleich dem Menſchen denkt, empfindet und
handelt, iſt bei der großen Mehrzahl der Gottesgläubigen maß-
gebend, bald in mehr roher und naiver, bald in mehr feiner
und abſtrakter Form. Allerdings wird die vorgeſchrittenſte Form
der Theoſophie behaupten, daß Gott als höchſtes Weſen von
abſoluter Vollkommenheit und daher gänzlich von dem unvoll-
kommenen Weſen des Menſchen verſchieden ſei. Allein bei genauerer
Unterſuchung bleibt immer das Gemeinſame Beider ihre Seelen-
oder Geiſtesthätigkeit. Gott empfindet, denkt und handelt wie
der Menſch, wenn auch in unendlich vollkommenerer Form.
Der perſönliche Anthropismus Gottes iſt bei der großen
Mehrzahl der Gläubigen zu einer ſo natürlichen Vorſtellung ge-
worden, daß ſie keinen Anſtoß an der menſchlichen Perſonifikation
Gottes in Bildern und Statuen nehmen, und an den mannig-
faltigen Dichtungen der Phantaſie, in welchen Gott menſchliche
Geſtalt annimmt, d. h. ſich in ein Wirbelthier verwandelt.
In vielen Mythen erſcheint die Perſon Gottes auch in Geſtalt
anderer Säugethiere (Affen, Löwen, Stiere u. ſ. w.), ſeltener in
Geſtalt von Vögeln (Adler, Tauben, Störche) oder in Form
von niederen Wirbelthieren (Schlangen, Krokodile, Drachen).
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/348>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.