Allerdings konnte auch Mohammed sich von dem Anthropo- morphismus der Gottes-Vorstellung nicht frei machen. Auch sein alleiniger Gott blieb ein idealisirter, allmächtiger Mensch, ebenso wie der strenge, strafende Gott des Moses, ebenso wie der milde, liebende Gott des Christus. Aber trotzdem müssen wir der mohammedanischen Religion den Vorzug lassen, daß sie auch im Verlaufe ihrer historischen Entwickelung und der unvermeidlichen Abartung den Charakter des reinen Monotheismus viel strenger bewahrte als die mosaische und die christliche Religion. Das zeigt sich auch heute noch äußerlich in den Gebets-Formen und Predigt-Weisen ihres Kultus, wie in der Architektur und Ausschmückung ihrer Gotteshäuser. Als ich 1873 zum ersten Male den Orient besuchte und die herrlichen Moscheen in Kairo und Smyrna, in Brussa und Konstantinopel bewunderte, erfüllten mich mit wahrer Andacht die einfache und geschmackvolle Deko- ration des Innern, der erhabene und zugleich prächtige archi- tektonische Schmuck des Aeußern. Wie edel und erhaben er- scheinen diese Moscheen im Vergleiche zu der Mehrzahl der katholischen Kirchen, welche innen mit bunten Bildern und goldenem Flitterkram überladen, außen durch übermäßige Fülle von Menschen- und Thier-Figuren verunstaltet sind! Nicht minder erhaben erscheinen die stillen Gebete und die einfachen Andachts- Uebungen des Koran im Vergleiche mit dem lauten, unverstandenen Wortgeplapper der katholischen Messen und der lärmenden Musik ihrer theatralischen Processionen.
Mixotheismus (Mischgötterei). Unter diesem Begriffe kann man füglich alle diejenigen Formen des Götterglaubens zusammen- fassen, welche Mischungen von religiösen Vorstellungen ver- schiedener und zum Theil direkt widersprechender Art enthalten. Theoretisch ist diese weitestverbreitete Religionsform bisher nirgends anerkannt. Praktisch aber ist sie die wichtigste und merkwürdigste von allen. Denn die große Mehrzahl aller
Mohammedaniſcher Monotheismus. XV.
Allerdings konnte auch Mohammed ſich von dem Anthropo- morphismus der Gottes-Vorſtellung nicht frei machen. Auch ſein alleiniger Gott blieb ein idealiſirter, allmächtiger Menſch, ebenſo wie der ſtrenge, ſtrafende Gott des Moſes, ebenſo wie der milde, liebende Gott des Chriſtus. Aber trotzdem müſſen wir der mohammedaniſchen Religion den Vorzug laſſen, daß ſie auch im Verlaufe ihrer hiſtoriſchen Entwickelung und der unvermeidlichen Abartung den Charakter des reinen Monotheismus viel ſtrenger bewahrte als die moſaiſche und die chriſtliche Religion. Das zeigt ſich auch heute noch äußerlich in den Gebets-Formen und Predigt-Weiſen ihres Kultus, wie in der Architektur und Ausſchmückung ihrer Gotteshäuſer. Als ich 1873 zum erſten Male den Orient beſuchte und die herrlichen Moſcheen in Kairo und Smyrna, in Bruſſa und Konſtantinopel bewunderte, erfüllten mich mit wahrer Andacht die einfache und geſchmackvolle Deko- ration des Innern, der erhabene und zugleich prächtige archi- tektoniſche Schmuck des Aeußern. Wie edel und erhaben er- ſcheinen dieſe Moſcheen im Vergleiche zu der Mehrzahl der katholiſchen Kirchen, welche innen mit bunten Bildern und goldenem Flitterkram überladen, außen durch übermäßige Fülle von Menſchen- und Thier-Figuren verunſtaltet ſind! Nicht minder erhaben erſcheinen die ſtillen Gebete und die einfachen Andachts- Uebungen des Koran im Vergleiche mit dem lauten, unverſtandenen Wortgeplapper der katholiſchen Meſſen und der lärmenden Muſik ihrer theatraliſchen Proceſſionen.
Mixotheismus (Miſchgötterei). Unter dieſem Begriffe kann man füglich alle diejenigen Formen des Götterglaubens zuſammen- faſſen, welche Miſchungen von religiöſen Vorſtellungen ver- ſchiedener und zum Theil direkt widerſprechender Art enthalten. Theoretiſch iſt dieſe weiteſtverbreitete Religionsform bisher nirgends anerkannt. Praktiſch aber iſt ſie die wichtigſte und merkwürdigſte von allen. Denn die große Mehrzahl aller
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Mohammedaniſcher Monotheismus. XV.
Allerdings konnte auch Mohammed ſich von dem Anthropo-
morphismus der Gottes-Vorſtellung nicht frei machen. Auch ſein
alleiniger Gott blieb ein idealiſirter, allmächtiger Menſch, ebenſo
wie der ſtrenge, ſtrafende Gott des Moſes, ebenſo wie der milde,
liebende Gott des Chriſtus. Aber trotzdem müſſen wir der
mohammedaniſchen Religion den Vorzug laſſen, daß ſie auch im
Verlaufe ihrer hiſtoriſchen Entwickelung und der unvermeidlichen
Abartung den Charakter des reinen Monotheismus viel
ſtrenger bewahrte als die moſaiſche und die chriſtliche Religion.
Das zeigt ſich auch heute noch äußerlich in den Gebets-Formen
und Predigt-Weiſen ihres Kultus, wie in der Architektur und
Ausſchmückung ihrer Gotteshäuſer. Als ich 1873 zum erſten
Male den Orient beſuchte und die herrlichen Moſcheen in Kairo
und Smyrna, in Bruſſa und Konſtantinopel bewunderte, erfüllten
mich mit wahrer Andacht die einfache und geſchmackvolle Deko-
ration des Innern, der erhabene und zugleich prächtige archi-
tektoniſche Schmuck des Aeußern. Wie edel und erhaben er-
ſcheinen dieſe Moſcheen im Vergleiche zu der Mehrzahl der
katholiſchen Kirchen, welche innen mit bunten Bildern und
goldenem Flitterkram überladen, außen durch übermäßige Fülle
von Menſchen- und Thier-Figuren verunſtaltet ſind! Nicht minder
erhaben erſcheinen die ſtillen Gebete und die einfachen Andachts-
Uebungen des Koran im Vergleiche mit dem lauten, unverſtandenen
Wortgeplapper der katholiſchen Meſſen und der lärmenden Muſik
ihrer theatraliſchen Proceſſionen.
Mixotheismus (Miſchgötterei). Unter dieſem Begriffe kann
man füglich alle diejenigen Formen des Götterglaubens zuſammen-
faſſen, welche Miſchungen von religiöſen Vorſtellungen ver-
ſchiedener und zum Theil direkt widerſprechender Art enthalten.
Theoretiſch iſt dieſe weiteſtverbreitete Religionsform bisher
nirgends anerkannt. Praktiſch aber iſt ſie die wichtigſte und
merkwürdigſte von allen. Denn die große Mehrzahl aller
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/346>, abgerufen am 22.11.2024.
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