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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XV. Zweigötterei (Amphiteismus).
tausende vor Christus bei verschiedenen Kulturvölkern des Alter-
thums ausgebildet. Im alten Indien kämpft Wischnu, der
Erhalter, mit Schiwa, dem Zerstörer. Im alten Egypten steht
dem guten Osiris der böse Typhon gegenüber. Bei den
ältesten Hebräern besteht ein ähnlicher Dualismus zwischen
Aschera, der fruchtbar zeugenden Erdmutter (= Keturah),
und Eljou (= Moloch oder Sethos), dem strengen Himmels-
vater. In der Zend-Religion der alten Perser, von Zoroaster
2000 Jahre vor Christus gegründet, herrscht beständiger Kampf
zwischen Ormudz, dem guten Gott des Lichtes, und Ahriman,
dem bösen Gott der Finsterniß.

Keine geringere Rolle spielt der Teufel als Gegner des
guten Gottes in der Mythologie des Christenthums, als der
Versucher und Verführer, der Fürst der Hölle und Herr der
Finsterniß. Als persönlicher Satanas war er auch noch im
Anfange unseres Jahrhunderts ein wesentliches Element im
Glauben der meisten Christen; erst gegen die Mitte desselben
wurde er mit zunehmender Aufklärung allmählich abgesetzt, oder
er mußte sich mit jener untergeordneten Rolle begnügen, welche
ihm Goethe in der größten aller dramatischen Dichtungen, im
"Faust", als Mephistopheles zutheilt. Gegenwärtig gilt in
den besseren gebildeten Kreisen der "Glaube an den persönlichen
Teufel" als ein überwundener Aberglaube des Mittelalters,
während gleichzeitig der "Glaube an Gott" (d. h. den persön-
lichen, guten und lieben Gott) als ein unentbehrlicher Bestand-
theil der Religion festgehalten wird. Und doch ist der erstere
Glaube ebenso voll berechtigt (und ebenso haltlos!) wie der
letztere! Jedenfalls erklärt sich die vielbeklagte "Unvollkommen-
heit des Erdenlebens", der "Kampf um's Dasein", und was dazu
gehört, viel einfacher und natürlicher durch diesen Kampf des
guten und bösen Gottes als durch irgend welche andere Form
des Gottesglaubens.

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XV. Zweigötterei (Amphiteismus).
tauſende vor Chriſtus bei verſchiedenen Kulturvölkern des Alter-
thums ausgebildet. Im alten Indien kämpft Wiſchnu, der
Erhalter, mit Schiwa, dem Zerſtörer. Im alten Egypten ſteht
dem guten Oſiris der böſe Typhon gegenüber. Bei den
älteſten Hebräern beſteht ein ähnlicher Dualismus zwiſchen
Aſchera, der fruchtbar zeugenden Erdmutter (= Keturah),
und Eljou (= Moloch oder Sethoſ), dem ſtrengen Himmels-
vater. In der Zend-Religion der alten Perſer, von Zoroaſter
2000 Jahre vor Chriſtus gegründet, herrſcht beſtändiger Kampf
zwiſchen Ormudz, dem guten Gott des Lichtes, und Ahriman,
dem böſen Gott der Finſterniß.

Keine geringere Rolle ſpielt der Teufel als Gegner des
guten Gottes in der Mythologie des Chriſtenthums, als der
Verſucher und Verführer, der Fürſt der Hölle und Herr der
Finſterniß. Als perſönlicher Satanas war er auch noch im
Anfange unſeres Jahrhunderts ein weſentliches Element im
Glauben der meiſten Chriſten; erſt gegen die Mitte desſelben
wurde er mit zunehmender Aufklärung allmählich abgeſetzt, oder
er mußte ſich mit jener untergeordneten Rolle begnügen, welche
ihm Goethe in der größten aller dramatiſchen Dichtungen, im
„Fauſt“, als Mephiſtopheles zutheilt. Gegenwärtig gilt in
den beſſeren gebildeten Kreiſen der „Glaube an den perſönlichen
Teufel“ als ein überwundener Aberglaube des Mittelalters,
während gleichzeitig der „Glaube an Gott“ (d. h. den perſön-
lichen, guten und lieben Gott) als ein unentbehrlicher Beſtand-
theil der Religion feſtgehalten wird. Und doch iſt der erſtere
Glaube ebenſo voll berechtigt (und ebenſo haltlos!) wie der
letztere! Jedenfalls erklärt ſich die vielbeklagte „Unvollkommen-
heit des Erdenlebens“, der „Kampf um's Daſein“, und was dazu
gehört, viel einfacher und natürlicher durch dieſen Kampf des
guten und böſen Gottes als durch irgend welche andere Form
des Gottesglaubens.

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[323/0339] XV. Zweigötterei (Amphiteismus). tauſende vor Chriſtus bei verſchiedenen Kulturvölkern des Alter- thums ausgebildet. Im alten Indien kämpft Wiſchnu, der Erhalter, mit Schiwa, dem Zerſtörer. Im alten Egypten ſteht dem guten Oſiris der böſe Typhon gegenüber. Bei den älteſten Hebräern beſteht ein ähnlicher Dualismus zwiſchen Aſchera, der fruchtbar zeugenden Erdmutter (= Keturah), und Eljou (= Moloch oder Sethoſ), dem ſtrengen Himmels- vater. In der Zend-Religion der alten Perſer, von Zoroaſter 2000 Jahre vor Chriſtus gegründet, herrſcht beſtändiger Kampf zwiſchen Ormudz, dem guten Gott des Lichtes, und Ahriman, dem böſen Gott der Finſterniß. Keine geringere Rolle ſpielt der Teufel als Gegner des guten Gottes in der Mythologie des Chriſtenthums, als der Verſucher und Verführer, der Fürſt der Hölle und Herr der Finſterniß. Als perſönlicher Satanas war er auch noch im Anfange unſeres Jahrhunderts ein weſentliches Element im Glauben der meiſten Chriſten; erſt gegen die Mitte desſelben wurde er mit zunehmender Aufklärung allmählich abgeſetzt, oder er mußte ſich mit jener untergeordneten Rolle begnügen, welche ihm Goethe in der größten aller dramatiſchen Dichtungen, im „Fauſt“, als Mephiſtopheles zutheilt. Gegenwärtig gilt in den beſſeren gebildeten Kreiſen der „Glaube an den perſönlichen Teufel“ als ein überwundener Aberglaube des Mittelalters, während gleichzeitig der „Glaube an Gott“ (d. h. den perſön- lichen, guten und lieben Gott) als ein unentbehrlicher Beſtand- theil der Religion feſtgehalten wird. Und doch iſt der erſtere Glaube ebenſo voll berechtigt (und ebenſo haltlos!) wie der letztere! Jedenfalls erklärt ſich die vielbeklagte „Unvollkommen- heit des Erdenlebens“, der „Kampf um's Daſein“, und was dazu gehört, viel einfacher und natürlicher durch dieſen Kampf des guten und böſen Gottes als durch irgend welche andere Form des Gottesglaubens. 21 *

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/339>, abgerufen am 23.11.2024.