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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Zweigötterei (Amphitheismus). XV.
sehr wohl noch der Bedenken, welche dieser auffällige Widerspruch
in mir selbst beim ersten Unterricht erregte. -- Uebrigens ist die
"Dreieinigkeit" im Christenthum keineswegs originell, son-
dern gleich den meisten anderen Lehren desselben aus älteren
Religionen übernommen. Aus dem Sonnendienste der chaldäischen
Magier entwickelt sich die Trinität der Ilu, der geheimnißvollen
Urquelle der Welt; ihre drei Offenbarungen waren Anu, das
ursprüngliche Chaos, Bel, der Ordner der Welt, und Ao, das
himmlische Licht, die Alles erleuchtende Weisheit. -- In der
Brahmanen-Religion wird die Trimurti als "Gottes-Einheit"
ebenfalls aus drei Personen zusammengesetzt, aus Brahma
(dem Schöpfer), Wischnu (dem Erhalter) und Schiwa (dem
Zerstörer). Es scheint, daß in diesen wie in anderen Trinitäts-
Vorstellungen die "heilige Dreizahl" als solche -- als
"symbolische Zahl" -- eine Rolle gespielt hat. Auch die
drei ersten Christenpflichten: "Glaube, Liebe, Hoffnung", bilden
eine solche Triade.

Amphitheismus (Zweigötterei). Die Welt wird von zwei
verschiedenen Göttern regiert, einem guten und einem bösen
Wesen, Gott und Teufel. Beide Weltregenten befinden sich
in einem beständigen Kampfe, wie Kaiser und Gegenkaiser, Papst
und Gegenpapst. Das Ergebniß dieses Kampfes ist jederzeit der
gegenwärtige Zustand der Welt. Der liebe Gott, als das gute
Wesen, ist der Urquell des Guten und Schönen, der Lust und
Freude. Die Welt würde vollkommen sein, wenn sein Wirken
nicht beständig durchkreuzt würde von dem bösen Wesen, dem
Teufel; dieser schlimme Satanas ist die Ursache alles Bösen
und Häßlichen, der Unlust und des Schmerzes.

Dieser Amphitheismus ist unstreitig unter allen ver-
schiedenen Formen des Götterglaubens der vernünftigste, derjenige,
dessen Theorie sich am ersten mit einer wissenschaftlichen Welt-
erklärung verträgt. Wir finden ihn daher schon mehrere Jahr-

Zweigötterei (Amphitheismus). XV.
ſehr wohl noch der Bedenken, welche dieſer auffällige Widerſpruch
in mir ſelbſt beim erſten Unterricht erregte. — Uebrigens iſt die
Dreieinigkeit“ im Chriſtenthum keineswegs originell, ſon-
dern gleich den meiſten anderen Lehren desſelben aus älteren
Religionen übernommen. Aus dem Sonnendienſte der chaldäiſchen
Magier entwickelt ſich die Trinität der Ilu, der geheimnißvollen
Urquelle der Welt; ihre drei Offenbarungen waren Anu, das
urſprüngliche Chaos, Bel, der Ordner der Welt, und Ao, das
himmliſche Licht, die Alles erleuchtende Weisheit. — In der
Brahmanen-Religion wird die Trimurti als „Gottes-Einheit“
ebenfalls aus drei Perſonen zuſammengeſetzt, aus Brahma
(dem Schöpfer), Wiſchnu (dem Erhalter) und Schiwa (dem
Zerſtörer). Es ſcheint, daß in dieſen wie in anderen Trinitäts-
Vorſtellungen die „heilige Dreizahl“ als ſolche — als
ſymboliſche Zahl“ — eine Rolle geſpielt hat. Auch die
drei erſten Chriſtenpflichten: „Glaube, Liebe, Hoffnung“, bilden
eine ſolche Triade.

Amphitheismus (Zweigötterei). Die Welt wird von zwei
verſchiedenen Göttern regiert, einem guten und einem böſen
Weſen, Gott und Teufel. Beide Weltregenten befinden ſich
in einem beſtändigen Kampfe, wie Kaiſer und Gegenkaiſer, Papſt
und Gegenpapſt. Das Ergebniß dieſes Kampfes iſt jederzeit der
gegenwärtige Zuſtand der Welt. Der liebe Gott, als das gute
Weſen, iſt der Urquell des Guten und Schönen, der Luſt und
Freude. Die Welt würde vollkommen ſein, wenn ſein Wirken
nicht beſtändig durchkreuzt würde von dem böſen Weſen, dem
Teufel; dieſer ſchlimme Satanas iſt die Urſache alles Böſen
und Häßlichen, der Unluſt und des Schmerzes.

Dieſer Amphitheismus iſt unſtreitig unter allen ver-
ſchiedenen Formen des Götterglaubens der vernünftigſte, derjenige,
deſſen Theorie ſich am erſten mit einer wiſſenſchaftlichen Welt-
erklärung verträgt. Wir finden ihn daher ſchon mehrere Jahr-

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[322/0338] Zweigötterei (Amphitheismus). XV. ſehr wohl noch der Bedenken, welche dieſer auffällige Widerſpruch in mir ſelbſt beim erſten Unterricht erregte. — Uebrigens iſt die „Dreieinigkeit“ im Chriſtenthum keineswegs originell, ſon- dern gleich den meiſten anderen Lehren desſelben aus älteren Religionen übernommen. Aus dem Sonnendienſte der chaldäiſchen Magier entwickelt ſich die Trinität der Ilu, der geheimnißvollen Urquelle der Welt; ihre drei Offenbarungen waren Anu, das urſprüngliche Chaos, Bel, der Ordner der Welt, und Ao, das himmliſche Licht, die Alles erleuchtende Weisheit. — In der Brahmanen-Religion wird die Trimurti als „Gottes-Einheit“ ebenfalls aus drei Perſonen zuſammengeſetzt, aus Brahma (dem Schöpfer), Wiſchnu (dem Erhalter) und Schiwa (dem Zerſtörer). Es ſcheint, daß in dieſen wie in anderen Trinitäts- Vorſtellungen die „heilige Dreizahl“ als ſolche — als „ſymboliſche Zahl“ — eine Rolle geſpielt hat. Auch die drei erſten Chriſtenpflichten: „Glaube, Liebe, Hoffnung“, bilden eine ſolche Triade. Amphitheismus (Zweigötterei). Die Welt wird von zwei verſchiedenen Göttern regiert, einem guten und einem böſen Weſen, Gott und Teufel. Beide Weltregenten befinden ſich in einem beſtändigen Kampfe, wie Kaiſer und Gegenkaiſer, Papſt und Gegenpapſt. Das Ergebniß dieſes Kampfes iſt jederzeit der gegenwärtige Zuſtand der Welt. Der liebe Gott, als das gute Weſen, iſt der Urquell des Guten und Schönen, der Luſt und Freude. Die Welt würde vollkommen ſein, wenn ſein Wirken nicht beſtändig durchkreuzt würde von dem böſen Weſen, dem Teufel; dieſer ſchlimme Satanas iſt die Urſache alles Böſen und Häßlichen, der Unluſt und des Schmerzes. Dieſer Amphitheismus iſt unſtreitig unter allen ver- ſchiedenen Formen des Götterglaubens der vernünftigſte, derjenige, deſſen Theorie ſich am erſten mit einer wiſſenſchaftlichen Welt- erklärung verträgt. Wir finden ihn daher ſchon mehrere Jahr-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/338>, abgerufen am 22.11.2024.