ehernen, großen Gesetzen" wie die Geschichte der ganzen organischen Welt, die seit vielen Jahrmillionen die Erde bevölkert.
Die Geologen unterscheiden in der "organischen Erdgeschichte", soweit sie uns durch die Denkmäler der Versteinerungskunde be- kannt ist, drei große Perioden: das primäre, sekundäre und tertiäre Zeitalter. Die Zeitdauer der ersteren soll nach einer neueren Berechnung mindestens 34 Millionen, die der zweiten 11, die der dritten 3 Millionen Jahre betragen haben. Die Geschichte des Wirbelthier-Stammes, aus dem unser eigenes Geschlecht ent- sprossen ist, liegt innerhalb dieses langen Zeitraumes klar vor unseren Augen; drei verschiedene Entwickelungsstufen der Verte- braten waren in jenen drei großen Perioden successiv entwickelt; in der primären (paläozoischen) Periode die Fische, in dem sekundären (mesozoischen) Zeitalter die Reptilien, in dem tertiären (cänozoischen) die Säugethiere. Von diesen drei Hauptgruppen der Wirbelthiere nehmen die Fische den niedersten, die Reptilien einen mittleren, die Säugethiere den höchsten Rang der Vollkommenheit ein. Bei tieferem Eingehen in die Geschichte der drei Klassen finden wir, daß auch die ein- zelnen Ordnungen und Familien derselben innerhalb der drei Zeiträume sich fortschreitend zu höherer Vollkommenheit ent- wickelten. Kann man nun diesen fortschreitenden Entwickelungs- gang als Ausfluß einer bewußten zweckmäßigen Zielstrebigkeit oder einer sittlichen Weltordnung bezeichnen? Durchaus nicht! Denn die Selektions-Theorie lehrt uns, ebenso wie die organische Differenzirung, daß der organische Fortschritt eine noth- wendige Folge des Kampfes um's Dasein ist. Tausende von guten, schönen, bewunderungswürdigen Arten des Thier- und Pflanzenreiches sind im Laufe jener 48 Millionen Jahre zu Grunde gegangen, weil sie anderen, stärkeren Platz machen mußten; und diese Sieger im Kampfe um's Dasein waren nicht immer die edleren oder im moralischen Sinne vollkommneren Formen.
XIV. Sittliche Weltordnung.
ehernen, großen Geſetzen“ wie die Geſchichte der ganzen organiſchen Welt, die ſeit vielen Jahrmillionen die Erde bevölkert.
Die Geologen unterſcheiden in der „organiſchen Erdgeſchichte“, ſoweit ſie uns durch die Denkmäler der Verſteinerungskunde be- kannt iſt, drei große Perioden: das primäre, ſekundäre und tertiäre Zeitalter. Die Zeitdauer der erſteren ſoll nach einer neueren Berechnung mindeſtens 34 Millionen, die der zweiten 11, die der dritten 3 Millionen Jahre betragen haben. Die Geſchichte des Wirbelthier-Stammes, aus dem unſer eigenes Geſchlecht ent- ſproſſen iſt, liegt innerhalb dieſes langen Zeitraumes klar vor unſeren Augen; drei verſchiedene Entwickelungsſtufen der Verte- braten waren in jenen drei großen Perioden ſucceſſiv entwickelt; in der primären (paläozoiſchen) Periode die Fiſche, in dem ſekundären (meſozoiſchen) Zeitalter die Reptilien, in dem tertiären (cänozoiſchen) die Säugethiere. Von dieſen drei Hauptgruppen der Wirbelthiere nehmen die Fiſche den niederſten, die Reptilien einen mittleren, die Säugethiere den höchſten Rang der Vollkommenheit ein. Bei tieferem Eingehen in die Geſchichte der drei Klaſſen finden wir, daß auch die ein- zelnen Ordnungen und Familien derſelben innerhalb der drei Zeiträume ſich fortſchreitend zu höherer Vollkommenheit ent- wickelten. Kann man nun dieſen fortſchreitenden Entwickelungs- gang als Ausfluß einer bewußten zweckmäßigen Zielſtrebigkeit oder einer ſittlichen Weltordnung bezeichnen? Durchaus nicht! Denn die Selektions-Theorie lehrt uns, ebenſo wie die organiſche Differenzirung, daß der organiſche Fortſchritt eine noth- wendige Folge des Kampfes um's Daſein iſt. Tauſende von guten, ſchönen, bewunderungswürdigen Arten des Thier- und Pflanzenreiches ſind im Laufe jener 48 Millionen Jahre zu Grunde gegangen, weil ſie anderen, ſtärkeren Platz machen mußten; und dieſe Sieger im Kampfe um's Daſein waren nicht immer die edleren oder im moraliſchen Sinne vollkommneren Formen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0329"n="313"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">XIV.</hi> Sittliche Weltordnung.</fw><lb/>
ehernen, großen Geſetzen“ wie die Geſchichte der ganzen organiſchen<lb/>
Welt, die ſeit vielen Jahrmillionen die Erde bevölkert.</p><lb/><p>Die Geologen unterſcheiden in der „organiſchen Erdgeſchichte“,<lb/>ſoweit ſie uns durch die Denkmäler der Verſteinerungskunde be-<lb/>
kannt iſt, drei große Perioden: das primäre, ſekundäre und<lb/>
tertiäre Zeitalter. Die Zeitdauer der erſteren ſoll nach einer<lb/>
neueren Berechnung mindeſtens 34 Millionen, die der zweiten 11,<lb/>
die der dritten 3 Millionen Jahre betragen haben. Die Geſchichte<lb/>
des Wirbelthier-Stammes, aus dem unſer eigenes Geſchlecht ent-<lb/>ſproſſen iſt, liegt innerhalb dieſes langen Zeitraumes klar vor<lb/>
unſeren Augen; drei verſchiedene Entwickelungsſtufen der Verte-<lb/>
braten waren in jenen drei großen Perioden ſucceſſiv entwickelt;<lb/>
in der primären (<hirendition="#g">paläozoiſchen</hi>) Periode die <hirendition="#g">Fiſche</hi>, in dem<lb/>ſekundären (<hirendition="#g">meſozoiſchen</hi>) Zeitalter die <hirendition="#g">Reptilien</hi>, in dem<lb/>
tertiären (<hirendition="#g">cänozoiſchen</hi>) die <hirendition="#g">Säugethiere</hi>. Von dieſen<lb/>
drei Hauptgruppen der Wirbelthiere nehmen die Fiſche den<lb/>
niederſten, die Reptilien einen mittleren, die Säugethiere den<lb/>
höchſten Rang der Vollkommenheit ein. Bei tieferem Eingehen<lb/>
in die Geſchichte der drei Klaſſen finden wir, daß auch die ein-<lb/>
zelnen Ordnungen und Familien derſelben innerhalb der drei<lb/>
Zeiträume ſich fortſchreitend zu höherer Vollkommenheit ent-<lb/>
wickelten. Kann man nun dieſen fortſchreitenden Entwickelungs-<lb/>
gang als Ausfluß einer bewußten zweckmäßigen Zielſtrebigkeit<lb/>
oder einer ſittlichen Weltordnung bezeichnen? Durchaus nicht!<lb/>
Denn die Selektions-Theorie lehrt uns, ebenſo wie die organiſche<lb/>
Differenzirung, daß der organiſche <hirendition="#g">Fortſchritt</hi> eine <hirendition="#g">noth-<lb/>
wendige Folge</hi> des Kampfes um's Daſein iſt. Tauſende<lb/>
von guten, ſchönen, bewunderungswürdigen Arten des Thier-<lb/>
und Pflanzenreiches ſind im Laufe jener 48 Millionen Jahre zu<lb/>
Grunde gegangen, weil ſie anderen, ſtärkeren Platz machen mußten;<lb/>
und dieſe Sieger im Kampfe um's Daſein waren nicht immer die<lb/>
edleren oder im moraliſchen Sinne vollkommneren Formen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[313/0329]
XIV. Sittliche Weltordnung.
ehernen, großen Geſetzen“ wie die Geſchichte der ganzen organiſchen
Welt, die ſeit vielen Jahrmillionen die Erde bevölkert.
Die Geologen unterſcheiden in der „organiſchen Erdgeſchichte“,
ſoweit ſie uns durch die Denkmäler der Verſteinerungskunde be-
kannt iſt, drei große Perioden: das primäre, ſekundäre und
tertiäre Zeitalter. Die Zeitdauer der erſteren ſoll nach einer
neueren Berechnung mindeſtens 34 Millionen, die der zweiten 11,
die der dritten 3 Millionen Jahre betragen haben. Die Geſchichte
des Wirbelthier-Stammes, aus dem unſer eigenes Geſchlecht ent-
ſproſſen iſt, liegt innerhalb dieſes langen Zeitraumes klar vor
unſeren Augen; drei verſchiedene Entwickelungsſtufen der Verte-
braten waren in jenen drei großen Perioden ſucceſſiv entwickelt;
in der primären (paläozoiſchen) Periode die Fiſche, in dem
ſekundären (meſozoiſchen) Zeitalter die Reptilien, in dem
tertiären (cänozoiſchen) die Säugethiere. Von dieſen
drei Hauptgruppen der Wirbelthiere nehmen die Fiſche den
niederſten, die Reptilien einen mittleren, die Säugethiere den
höchſten Rang der Vollkommenheit ein. Bei tieferem Eingehen
in die Geſchichte der drei Klaſſen finden wir, daß auch die ein-
zelnen Ordnungen und Familien derſelben innerhalb der drei
Zeiträume ſich fortſchreitend zu höherer Vollkommenheit ent-
wickelten. Kann man nun dieſen fortſchreitenden Entwickelungs-
gang als Ausfluß einer bewußten zweckmäßigen Zielſtrebigkeit
oder einer ſittlichen Weltordnung bezeichnen? Durchaus nicht!
Denn die Selektions-Theorie lehrt uns, ebenſo wie die organiſche
Differenzirung, daß der organiſche Fortſchritt eine noth-
wendige Folge des Kampfes um's Daſein iſt. Tauſende
von guten, ſchönen, bewunderungswürdigen Arten des Thier-
und Pflanzenreiches ſind im Laufe jener 48 Millionen Jahre zu
Grunde gegangen, weil ſie anderen, ſtärkeren Platz machen mußten;
und dieſe Sieger im Kampfe um's Daſein waren nicht immer die
edleren oder im moraliſchen Sinne vollkommneren Formen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/329>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.