Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Sittliche Weltordnung. XIV. sittlichen Weltordnung, ebenso wenig als von einem persönlichenGotte, dessen "Hand mit Weisheit und Verstand alle Dinge ge- ordnet hat". Dasselbe gilt aber auch von dem gesammten Gebiete der Biologie, von der ganzen Verfassung und Geschichte der organischen Natur, zunächst den Menschen noch ausgenommen. Darwin hat uns in seiner Selektions-Theorie nicht nur ge- zeigt, wie die zweckmäßigen Einrichtungen im Leben und im Körperbau der Thiere und Pflanzen ohne vorbedachten Zweck mechanisch entstanden sind, sondern er hat uns auch in seinem "Kampf um's Dasein" die gewaltige Naturmacht erkennen gelehrt, welche den ganzen Entwickelungsgang der organischen Welt seit vielen Jahrmillionen ununterbrochen beherrscht und regelt. Man könnte freilich sagen: Der "Kampf um's Dasein" ist das "Ueberleben des Passendsten" oder der "Sieg des Besten"; das kann man aber nur, wenn man das Stärkere stets als das Beste (in moralischem Sinne!) betrachtet; und überdies zeigt uns die ganze Geschichte der organischen Welt, daß neben dem überwiegenden Fortschritt zum Vollkommenen jeder Zeit auch einzelne Rückschritte zu niederen Zuständen vorkommen. Selbst die "Zielstrebigkeit" im Sinne Baer's trägt durchaus keinen moralischen Charakter! Verhält es sich nun in der Völkergeschichte, die der Mensch Sittliche Weltordnung. XIV. ſittlichen Weltordnung, ebenſo wenig als von einem perſönlichenGotte, deſſen „Hand mit Weisheit und Verſtand alle Dinge ge- ordnet hat“. Dasſelbe gilt aber auch von dem geſammten Gebiete der Biologie, von der ganzen Verfaſſung und Geſchichte der organiſchen Natur, zunächſt den Menſchen noch ausgenommen. Darwin hat uns in ſeiner Selektions-Theorie nicht nur ge- zeigt, wie die zweckmäßigen Einrichtungen im Leben und im Körperbau der Thiere und Pflanzen ohne vorbedachten Zweck mechaniſch entſtanden ſind, ſondern er hat uns auch in ſeinem „Kampf um's Daſein“ die gewaltige Naturmacht erkennen gelehrt, welche den ganzen Entwickelungsgang der organiſchen Welt ſeit vielen Jahrmillionen ununterbrochen beherrſcht und regelt. Man könnte freilich ſagen: Der „Kampf um's Daſein“ iſt das „Ueberleben des Paſſendſten“ oder der „Sieg des Beſten“; das kann man aber nur, wenn man das Stärkere ſtets als das Beſte (in moraliſchem Sinne!) betrachtet; und überdies zeigt uns die ganze Geſchichte der organiſchen Welt, daß neben dem überwiegenden Fortſchritt zum Vollkommenen jeder Zeit auch einzelne Rückſchritte zu niederen Zuſtänden vorkommen. Selbſt die „Zielſtrebigkeit“ im Sinne Baer's trägt durchaus keinen moraliſchen Charakter! Verhält es ſich nun in der Völkergeſchichte, die der Menſch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0328" n="312"/><fw place="top" type="header">Sittliche Weltordnung. <hi rendition="#aq">XIV.</hi></fw><lb/> ſittlichen Weltordnung, ebenſo wenig als von einem perſönlichen<lb/> Gotte, deſſen „Hand mit Weisheit und Verſtand alle Dinge ge-<lb/> ordnet hat“. Dasſelbe gilt aber auch von dem geſammten Gebiete<lb/> der Biologie, von der ganzen Verfaſſung und Geſchichte der<lb/> organiſchen Natur, zunächſt den Menſchen noch ausgenommen.<lb/><hi rendition="#g">Darwin</hi> hat uns in ſeiner Selektions-Theorie nicht nur ge-<lb/> zeigt, wie die zweckmäßigen Einrichtungen im Leben und im<lb/> Körperbau der Thiere und Pflanzen ohne vorbedachten Zweck<lb/> mechaniſch entſtanden ſind, ſondern er hat uns auch in ſeinem<lb/> „<hi rendition="#g">Kampf um's Daſein</hi>“ die gewaltige Naturmacht erkennen<lb/> gelehrt, welche den ganzen Entwickelungsgang der organiſchen<lb/> Welt ſeit vielen Jahrmillionen ununterbrochen beherrſcht und<lb/> regelt. Man könnte freilich ſagen: Der „Kampf um's Daſein“<lb/> iſt das „Ueberleben des Paſſendſten“ oder der „Sieg des Beſten“;<lb/> das kann man aber nur, wenn man das Stärkere ſtets als das<lb/> Beſte (in moraliſchem Sinne!) betrachtet; und überdies zeigt<lb/> uns die ganze Geſchichte der organiſchen Welt, daß neben dem<lb/> überwiegenden Fortſchritt zum Vollkommenen jeder Zeit auch<lb/> einzelne Rückſchritte zu niederen Zuſtänden vorkommen. Selbſt<lb/> die „Zielſtrebigkeit“ im Sinne <hi rendition="#g">Baer's</hi> trägt durchaus keinen<lb/> moraliſchen Charakter!</p><lb/> <p>Verhält es ſich nun in der Völkergeſchichte, die der Menſch<lb/> in ſeinem anthropocentriſchen Größenwahn die „Weltgeſchichte“ zu<lb/> nennen liebt, etwa anders? Iſt da überall und jeder Zeit ein<lb/> höchſtes moraliſches Princip oder ein weiſer Weltregent zu ent-<lb/> decken, der die Geſchicke der Völker leitet? Die unbefangene<lb/> Antwort kann heute, bei dem vorgeſchrittenen Zuſtande unſerer<lb/> Naturgeſchichte und Völkergeſchichte, nur lauten: <hi rendition="#g">Nein</hi>! Die<lb/> Geſchichte der Zweige des Menſchengeſchlechts, die als Raſſen<lb/> und Nationen ſeit Jahrtauſenden um ihre Exiſtenz und ihre<lb/> Fortbildung gerungen haben, unterliegt genau denſelben „ewigen,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [312/0328]
Sittliche Weltordnung. XIV.
ſittlichen Weltordnung, ebenſo wenig als von einem perſönlichen
Gotte, deſſen „Hand mit Weisheit und Verſtand alle Dinge ge-
ordnet hat“. Dasſelbe gilt aber auch von dem geſammten Gebiete
der Biologie, von der ganzen Verfaſſung und Geſchichte der
organiſchen Natur, zunächſt den Menſchen noch ausgenommen.
Darwin hat uns in ſeiner Selektions-Theorie nicht nur ge-
zeigt, wie die zweckmäßigen Einrichtungen im Leben und im
Körperbau der Thiere und Pflanzen ohne vorbedachten Zweck
mechaniſch entſtanden ſind, ſondern er hat uns auch in ſeinem
„Kampf um's Daſein“ die gewaltige Naturmacht erkennen
gelehrt, welche den ganzen Entwickelungsgang der organiſchen
Welt ſeit vielen Jahrmillionen ununterbrochen beherrſcht und
regelt. Man könnte freilich ſagen: Der „Kampf um's Daſein“
iſt das „Ueberleben des Paſſendſten“ oder der „Sieg des Beſten“;
das kann man aber nur, wenn man das Stärkere ſtets als das
Beſte (in moraliſchem Sinne!) betrachtet; und überdies zeigt
uns die ganze Geſchichte der organiſchen Welt, daß neben dem
überwiegenden Fortſchritt zum Vollkommenen jeder Zeit auch
einzelne Rückſchritte zu niederen Zuſtänden vorkommen. Selbſt
die „Zielſtrebigkeit“ im Sinne Baer's trägt durchaus keinen
moraliſchen Charakter!
Verhält es ſich nun in der Völkergeſchichte, die der Menſch
in ſeinem anthropocentriſchen Größenwahn die „Weltgeſchichte“ zu
nennen liebt, etwa anders? Iſt da überall und jeder Zeit ein
höchſtes moraliſches Princip oder ein weiſer Weltregent zu ent-
decken, der die Geſchicke der Völker leitet? Die unbefangene
Antwort kann heute, bei dem vorgeſchrittenen Zuſtande unſerer
Naturgeſchichte und Völkergeſchichte, nur lauten: Nein! Die
Geſchichte der Zweige des Menſchengeſchlechts, die als Raſſen
und Nationen ſeit Jahrtauſenden um ihre Exiſtenz und ihre
Fortbildung gerungen haben, unterliegt genau denſelben „ewigen,
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