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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Existenz des Aethers. XII.
wunderbaren Stoffe erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts gelungen, und zwar im Zusammenhang mit den
erstaunlichen empirischen Entdeckungen auf dem Gebiete der
Elektricität, mit ihrer experimentellen Erkenntniß, ihrem
theoretischen Verständniß und ihrer praktischen Verwerthung.
Vor Allem sind hier bahnbrechend geworden die berühmten
Untersuchungen von Heinrich Hertz in Bonn (1888); der
frühzeitige Tod dieses genialen jungen Physikers, der das
Größte zu erreichen versprach, ist nicht genug zu beklagen; er
gehört ebenso wie der allzu frühe Tod von Spinoza, von
Raffael, von Schubert und vielen anderen genialen Jünglingen
zu jenen brutalen Thatsachen der menschlichen Geschichte,
welche für sich allein schon den unhaltbaren Mythus von einer
"weisen Vorsehung" und von einem "allliebenden Vater im
Himmel" gründlich widerlegen.

Die Existenz des Aethers oder "Weltäthers" (Kosmo-
äthers
) als realer Materie ist heute (seit 12 Jahren) eine
positive Thatsache. Man kann allerdings auch heute noch
vielfach lesen, daß der Aether eine "bloße Hypothese" sei; diese
irrthümliche Behauptung wird nicht nur von unkundigen Philo-
sophen und populären Schriftstellern wiederholt, sondern auch
von einzelnen "vorsichtigen exakten Physikern". Mit demselben
Rechte müßte man aber auch die Existenz der ponderablen
Materie, der Masse leugnen. Freilich giebt es heute noch
Metaphysiker, die auch dieses Kunststück zu Stande bringen,
und deren höchste Weisheit darin besteht, die Realität der
Außenwelt zu leugnen oder doch zu bezweifeln; nach ihnen
existirt eigentlich nur ein einziges reales Wesen, nämlich ihre
eigene theure Person, oder vielmehr deren unsterbliche Seele.
Neuerdings haben sogar einige hervorragende Physiologen diesen
ultra-idealistischen Standpunkt acceptirt, der schon in der Meta-
physik von Descartes, Berkeley, Fichte u. A. ausgebildet

Exiſtenz des Aethers. XII.
wunderbaren Stoffe erſt in der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts gelungen, und zwar im Zuſammenhang mit den
erſtaunlichen empiriſchen Entdeckungen auf dem Gebiete der
Elektricität, mit ihrer experimentellen Erkenntniß, ihrem
theoretiſchen Verſtändniß und ihrer praktiſchen Verwerthung.
Vor Allem ſind hier bahnbrechend geworden die berühmten
Unterſuchungen von Heinrich Hertz in Bonn (1888); der
frühzeitige Tod dieſes genialen jungen Phyſikers, der das
Größte zu erreichen verſprach, iſt nicht genug zu beklagen; er
gehört ebenſo wie der allzu frühe Tod von Spinoza, von
Raffael, von Schubert und vielen anderen genialen Jünglingen
zu jenen brutalen Thatſachen der menſchlichen Geſchichte,
welche für ſich allein ſchon den unhaltbaren Mythus von einer
„weiſen Vorſehung“ und von einem „allliebenden Vater im
Himmel“ gründlich widerlegen.

Die Exiſtenz des Aethers oder „Weltäthers“ (Kosmo-
äthers
) als realer Materie iſt heute (ſeit 12 Jahren) eine
poſitive Thatſache. Man kann allerdings auch heute noch
vielfach leſen, daß der Aether eine „bloße Hypotheſe“ ſei; dieſe
irrthümliche Behauptung wird nicht nur von unkundigen Philo-
ſophen und populären Schriftſtellern wiederholt, ſondern auch
von einzelnen „vorſichtigen exakten Phyſikern“. Mit demſelben
Rechte müßte man aber auch die Exiſtenz der ponderablen
Materie, der Maſſe leugnen. Freilich giebt es heute noch
Metaphyſiker, die auch dieſes Kunſtſtück zu Stande bringen,
und deren höchſte Weisheit darin beſteht, die Realität der
Außenwelt zu leugnen oder doch zu bezweifeln; nach ihnen
exiſtirt eigentlich nur ein einziges reales Weſen, nämlich ihre
eigene theure Perſon, oder vielmehr deren unſterbliche Seele.
Neuerdings haben ſogar einige hervorragende Phyſiologen dieſen
ultra-idealiſtiſchen Standpunkt acceptirt, der ſchon in der Meta-
phyſik von Descartes, Berkeley, Fichte u. A. ausgebildet

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[260/0276] Exiſtenz des Aethers. XII. wunderbaren Stoffe erſt in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gelungen, und zwar im Zuſammenhang mit den erſtaunlichen empiriſchen Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektricität, mit ihrer experimentellen Erkenntniß, ihrem theoretiſchen Verſtändniß und ihrer praktiſchen Verwerthung. Vor Allem ſind hier bahnbrechend geworden die berühmten Unterſuchungen von Heinrich Hertz in Bonn (1888); der frühzeitige Tod dieſes genialen jungen Phyſikers, der das Größte zu erreichen verſprach, iſt nicht genug zu beklagen; er gehört ebenſo wie der allzu frühe Tod von Spinoza, von Raffael, von Schubert und vielen anderen genialen Jünglingen zu jenen brutalen Thatſachen der menſchlichen Geſchichte, welche für ſich allein ſchon den unhaltbaren Mythus von einer „weiſen Vorſehung“ und von einem „allliebenden Vater im Himmel“ gründlich widerlegen. Die Exiſtenz des Aethers oder „Weltäthers“ (Kosmo- äthers) als realer Materie iſt heute (ſeit 12 Jahren) eine poſitive Thatſache. Man kann allerdings auch heute noch vielfach leſen, daß der Aether eine „bloße Hypotheſe“ ſei; dieſe irrthümliche Behauptung wird nicht nur von unkundigen Philo- ſophen und populären Schriftſtellern wiederholt, ſondern auch von einzelnen „vorſichtigen exakten Phyſikern“. Mit demſelben Rechte müßte man aber auch die Exiſtenz der ponderablen Materie, der Maſſe leugnen. Freilich giebt es heute noch Metaphyſiker, die auch dieſes Kunſtſtück zu Stande bringen, und deren höchſte Weisheit darin beſteht, die Realität der Außenwelt zu leugnen oder doch zu bezweifeln; nach ihnen exiſtirt eigentlich nur ein einziges reales Weſen, nämlich ihre eigene theure Perſon, oder vielmehr deren unſterbliche Seele. Neuerdings haben ſogar einige hervorragende Phyſiologen dieſen ultra-idealiſtiſchen Standpunkt acceptirt, der ſchon in der Meta- phyſik von Descartes, Berkeley, Fichte u. A. ausgebildet

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/276>, abgerufen am 03.05.2024.