kann uns eine unbewußte Vorstellung plötzlich bewußt werden; wird unsere Aufmerksamkeit darauf durch ein anderes Objekt gefesselt, so kann sie ebenso rasch wieder unserem Bewußtsein völlig entschwinden.
Bewußtsein des Menschen. Die einzige Quelle unserer Erkenntniß des Bewußtseins ist dieses selbst, und hierin liegt in erster Linie die außerordentliche Schwierigkeit seiner wissenschaft- lichen Untersuchung und Deutung. Subjekt und Objekt fallen hier in Eins zusammen; das erkennende Subjekt spiegelt sich in seinem eigenen inneren Wesen, welches Objekt der Er- kenntniß sein soll. Auf das Bewußtsein anderer Wesen können wir also niemals mit voller objektiver Sicherheit schließen, sondern immer nur durch Vergleichung seiner Seelen-Zustände mit unseren eigenen. Soweit diese Vergleichung sich nur auf normale Menschen erstreckt, können wir allerdings auf deren Bewußtsein gewisse Schlüsse ziehen, deren Richtigkeit Niemand bezweifelt. Aber schon bei abnormen Persönlichkeiten (bei genialen und excentrischen, stumpfsinnigen und geisteskranken Menschen) sind diese Analogie-Schlüsse entweder unsicher oder falsch. In noch höherem Grade gilt das, wenn wir das Bewußtsein des Menschen mit demjenigen der Thiere (zunächst der höheren, weiterhin der niederen Thiere) in Vergleich stellen. Da ergeben sich als- bald so große thatsächliche Schwierigkeiten, daß die Ansichten der hervorragendsten Physiologen und Philosophen himmelweit aus einander gehen. Wir wollen hier nur die wichtigsten Anschauungen darüber kurz einander gegenüberstellen.
I.Anthropistische Theorie des Bewußtseins:es ist dem Menschen eigenthümlich. Die weitverbreitete An- schauung, daß Bewußtsein und Denken ausschließliches Eigen- thum des Menschen seien, und daß auch ihm allein eine "un- sterbliche Seele" zukomme, ist auf Descartes zurückzu- führen (1643). Dieser geistreiche französische Philosoph und
X. Bewußtſein des Menſchen.
kann uns eine unbewußte Vorſtellung plötzlich bewußt werden; wird unſere Aufmerkſamkeit darauf durch ein anderes Objekt gefeſſelt, ſo kann ſie ebenſo raſch wieder unſerem Bewußtſein völlig entſchwinden.
Bewußtſein des Menſchen. Die einzige Quelle unſerer Erkenntniß des Bewußtſeins iſt dieſes ſelbſt, und hierin liegt in erſter Linie die außerordentliche Schwierigkeit ſeiner wiſſenſchaft- lichen Unterſuchung und Deutung. Subjekt und Objekt fallen hier in Eins zuſammen; das erkennende Subjekt ſpiegelt ſich in ſeinem eigenen inneren Weſen, welches Objekt der Er- kenntniß ſein ſoll. Auf das Bewußtſein anderer Weſen können wir alſo niemals mit voller objektiver Sicherheit ſchließen, ſondern immer nur durch Vergleichung ſeiner Seelen-Zuſtände mit unſeren eigenen. Soweit dieſe Vergleichung ſich nur auf normale Menſchen erſtreckt, können wir allerdings auf deren Bewußtſein gewiſſe Schlüſſe ziehen, deren Richtigkeit Niemand bezweifelt. Aber ſchon bei abnormen Perſönlichkeiten (bei genialen und excentriſchen, ſtumpfſinnigen und geiſteskranken Menſchen) ſind dieſe Analogie-Schlüſſe entweder unſicher oder falſch. In noch höherem Grade gilt das, wenn wir das Bewußtſein des Menſchen mit demjenigen der Thiere (zunächſt der höheren, weiterhin der niederen Thiere) in Vergleich ſtellen. Da ergeben ſich als- bald ſo große thatſächliche Schwierigkeiten, daß die Anſichten der hervorragendſten Phyſiologen und Philoſophen himmelweit aus einander gehen. Wir wollen hier nur die wichtigſten Anſchauungen darüber kurz einander gegenüberſtellen.
I.Anthropiſtiſche Theorie des Bewußtſeins:es iſt dem Menſchen eigenthümlich. Die weitverbreitete An- ſchauung, daß Bewußtſein und Denken ausſchließliches Eigen- thum des Menſchen ſeien, und daß auch ihm allein eine „un- ſterbliche Seele“ zukomme, iſt auf Descartes zurückzu- führen (1643). Dieſer geiſtreiche franzöſiſche Philoſoph und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0215"n="199"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">X.</hi> Bewußtſein des Menſchen.</fw><lb/>
kann uns eine unbewußte Vorſtellung plötzlich bewußt werden;<lb/>
wird unſere Aufmerkſamkeit darauf durch ein anderes Objekt<lb/>
gefeſſelt, ſo kann ſie ebenſo raſch wieder unſerem Bewußtſein<lb/>
völlig entſchwinden.</p><lb/><p><hirendition="#b">Bewußtſein des Menſchen.</hi> Die einzige Quelle unſerer<lb/>
Erkenntniß des Bewußtſeins iſt dieſes ſelbſt, und hierin liegt in<lb/>
erſter Linie die außerordentliche Schwierigkeit ſeiner wiſſenſchaft-<lb/>
lichen Unterſuchung und Deutung. <hirendition="#g">Subjekt</hi> und <hirendition="#g">Objekt</hi><lb/>
fallen hier in Eins zuſammen; das erkennende Subjekt ſpiegelt<lb/>ſich in ſeinem eigenen inneren Weſen, welches Objekt der Er-<lb/>
kenntniß ſein ſoll. Auf das Bewußtſein anderer Weſen können<lb/>
wir alſo niemals mit voller objektiver Sicherheit ſchließen, ſondern<lb/>
immer nur durch Vergleichung ſeiner Seelen-Zuſtände mit unſeren<lb/>
eigenen. Soweit dieſe Vergleichung ſich nur auf <hirendition="#g">normale<lb/>
Menſchen</hi> erſtreckt, können wir allerdings auf deren Bewußtſein<lb/>
gewiſſe Schlüſſe ziehen, deren Richtigkeit Niemand bezweifelt.<lb/>
Aber ſchon bei <hirendition="#g">abnormen</hi> Perſönlichkeiten (bei genialen und<lb/>
excentriſchen, ſtumpfſinnigen und geiſteskranken Menſchen) ſind<lb/>
dieſe Analogie-Schlüſſe entweder unſicher oder falſch. In noch<lb/>
höherem Grade gilt das, wenn wir das Bewußtſein des Menſchen<lb/>
mit demjenigen der <hirendition="#g">Thiere</hi> (zunächſt der höheren, weiterhin<lb/>
der niederen Thiere) in Vergleich ſtellen. Da ergeben ſich als-<lb/>
bald ſo große thatſächliche Schwierigkeiten, daß die Anſichten<lb/>
der hervorragendſten Phyſiologen und Philoſophen himmelweit<lb/>
aus einander gehen. Wir wollen hier nur die wichtigſten<lb/>
Anſchauungen darüber kurz einander gegenüberſtellen.</p><lb/><p><hirendition="#aq">I.</hi><hirendition="#b">Anthropiſtiſche Theorie des Bewußtſeins:</hi><hirendition="#g">es iſt<lb/>
dem Menſchen eigenthümlich</hi>. Die weitverbreitete An-<lb/>ſchauung, daß Bewußtſein und Denken ausſchließliches Eigen-<lb/>
thum des Menſchen ſeien, und daß auch ihm allein eine „un-<lb/>ſterbliche Seele“ zukomme, iſt auf <hirendition="#g">Descartes</hi> zurückzu-<lb/>
führen (1643). Dieſer geiſtreiche franzöſiſche Philoſoph und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[199/0215]
X. Bewußtſein des Menſchen.
kann uns eine unbewußte Vorſtellung plötzlich bewußt werden;
wird unſere Aufmerkſamkeit darauf durch ein anderes Objekt
gefeſſelt, ſo kann ſie ebenſo raſch wieder unſerem Bewußtſein
völlig entſchwinden.
Bewußtſein des Menſchen. Die einzige Quelle unſerer
Erkenntniß des Bewußtſeins iſt dieſes ſelbſt, und hierin liegt in
erſter Linie die außerordentliche Schwierigkeit ſeiner wiſſenſchaft-
lichen Unterſuchung und Deutung. Subjekt und Objekt
fallen hier in Eins zuſammen; das erkennende Subjekt ſpiegelt
ſich in ſeinem eigenen inneren Weſen, welches Objekt der Er-
kenntniß ſein ſoll. Auf das Bewußtſein anderer Weſen können
wir alſo niemals mit voller objektiver Sicherheit ſchließen, ſondern
immer nur durch Vergleichung ſeiner Seelen-Zuſtände mit unſeren
eigenen. Soweit dieſe Vergleichung ſich nur auf normale
Menſchen erſtreckt, können wir allerdings auf deren Bewußtſein
gewiſſe Schlüſſe ziehen, deren Richtigkeit Niemand bezweifelt.
Aber ſchon bei abnormen Perſönlichkeiten (bei genialen und
excentriſchen, ſtumpfſinnigen und geiſteskranken Menſchen) ſind
dieſe Analogie-Schlüſſe entweder unſicher oder falſch. In noch
höherem Grade gilt das, wenn wir das Bewußtſein des Menſchen
mit demjenigen der Thiere (zunächſt der höheren, weiterhin
der niederen Thiere) in Vergleich ſtellen. Da ergeben ſich als-
bald ſo große thatſächliche Schwierigkeiten, daß die Anſichten
der hervorragendſten Phyſiologen und Philoſophen himmelweit
aus einander gehen. Wir wollen hier nur die wichtigſten
Anſchauungen darüber kurz einander gegenüberſtellen.
I. Anthropiſtiſche Theorie des Bewußtſeins: es iſt
dem Menſchen eigenthümlich. Die weitverbreitete An-
ſchauung, daß Bewußtſein und Denken ausſchließliches Eigen-
thum des Menſchen ſeien, und daß auch ihm allein eine „un-
ſterbliche Seele“ zukomme, iſt auf Descartes zurückzu-
führen (1643). Dieſer geiſtreiche franzöſiſche Philoſoph und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/215>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.