Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Zellvereins-Seele der Keimblase. IX. an die Stelle dieser ursprünglichen, gleichmäßigen Zelltheilungfrüher oder später eine ungleichmäßige Vermehrung. Das Er- gebniß ist aber in allen Fällen dasselbe: die Bildung eines (meist kugelförmigen) Haufens oder Ballens von indifferenten (ursprüng- lich gleichartigen) Zellen. Wir nennen diesen Zustand den Maulbeerkeim (Morula; vergl. Anthropogenie S. 159). Ge- wöhnlich sammelt sich dann im Innern dieses maulbeerförmigen Zellen-Aggregates Flüssigkeit an; es verwandelt sich in Folge dessen in ein kugeliges Bläschen; alle Zellen treten an dessen Oberfläche und ordnen sich in eine einfache Zellenschicht, die Keimhaut (Blastoderma). Die so entstandene Hohlkugel ist der bedeutungsvolle Zustand der Keimblase (Blastula oder Blastosphaera, Anthropogenie S. 159). Die psychologischen Thatsachen, welche wir un- Zellvereins-Seele der Keimblaſe. IX. an die Stelle dieſer urſprünglichen, gleichmäßigen Zelltheilungfrüher oder ſpäter eine ungleichmäßige Vermehrung. Das Er- gebniß iſt aber in allen Fällen dasſelbe: die Bildung eines (meiſt kugelförmigen) Haufens oder Ballens von indifferenten (urſprüng- lich gleichartigen) Zellen. Wir nennen dieſen Zuſtand den Maulbeerkeim (Morula; vergl. Anthropogenie S. 159). Ge- wöhnlich ſammelt ſich dann im Innern dieſes maulbeerförmigen Zellen-Aggregates Flüſſigkeit an; es verwandelt ſich in Folge deſſen in ein kugeliges Bläschen; alle Zellen treten an deſſen Oberfläche und ordnen ſich in eine einfache Zellenſchicht, die Keimhaut (Blaſtoderma). Die ſo entſtandene Hohlkugel iſt der bedeutungsvolle Zuſtand der Keimblaſe (Blaſtula oder Blaſtoſphaera, Anthropogenie S. 159). Die pſychologiſchen Thatſachen, welche wir un- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0196" n="180"/><fw place="top" type="header">Zellvereins-Seele der Keimblaſe. <hi rendition="#aq">IX.</hi></fw><lb/> an die Stelle dieſer urſprünglichen, gleichmäßigen Zelltheilung<lb/> früher oder ſpäter eine ungleichmäßige Vermehrung. Das Er-<lb/> gebniß iſt aber in allen Fällen dasſelbe: die Bildung eines (meiſt<lb/> kugelförmigen) Haufens oder Ballens von indifferenten (urſprüng-<lb/> lich gleichartigen) Zellen. Wir nennen dieſen Zuſtand den<lb/><hi rendition="#g">Maulbeerkeim</hi> (<hi rendition="#aq">Morula</hi>; vergl. Anthropogenie S. 159). Ge-<lb/> wöhnlich ſammelt ſich dann im Innern dieſes maulbeerförmigen<lb/> Zellen-Aggregates Flüſſigkeit an; es verwandelt ſich in Folge<lb/> deſſen in ein kugeliges Bläschen; alle Zellen treten an deſſen<lb/> Oberfläche und ordnen ſich in eine einfache Zellenſchicht, die<lb/><hi rendition="#g">Keimhaut</hi> <hi rendition="#aq">(Blaſtoderma)</hi>. Die ſo entſtandene <hi rendition="#g">Hohlkugel</hi><lb/> iſt der bedeutungsvolle Zuſtand der <hi rendition="#g">Keimblaſe</hi> (<hi rendition="#aq">Blaſtula</hi> oder<lb/><hi rendition="#aq">Blaſtoſphaera,</hi> Anthropogenie S. 159).</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">pſychologiſchen Thatſachen,</hi> welche wir un-<lb/> mittelbar bei der Bildung der Blaſtula beobachten können, ſind<lb/> theils Bewegungen, theils Empfindungen dieſes Zellvereins. Die<lb/><hi rendition="#g">Bewegungen</hi> zerfallen in zwei Gruppen: 1. die inneren Be-<lb/> wegungen, welche überall in weſentlich gleicher Weiſe beim<lb/> Vorgange der gewöhnlichen (indirekten) Zelltheilung ſich wieder-<lb/> holen (Bildung der Kernſpindel, Mitoſe, Karyokineſe u. ſ. w.);<lb/> 2. die äußeren Bewegungen, welche in der geſetzmäßigen Lage-<lb/> Veränderung der geſelligen Zellen und ihrer Gruppirung bei<lb/> Bildung des Blaſtoderms zu Tage treten. Wir faſſen dieſe Be-<lb/> wegungen als <hi rendition="#g">heredive</hi> und unbewußte auf, weil ſie überall<lb/> in gleicher Weiſe durch Vererbung von den älteren Ahnen-Reihen<lb/> der Protiſten bedingt ſind. Die <hi rendition="#g">Empfindungen</hi> können<lb/> ebenfalls in zwei Gruppen unterſchieden werden: 1. die Em-<lb/> pfindungen der einzelnen Zellen, welche ſich in der Behauptung<lb/> ihrer individuellen Selbſtändigkeit und ihrem Verhalten gegen<lb/> die Nachbar-Zellen äußern (mit denen ſie in Kontakt und theil-<lb/> weiſe durch Plasma-Brücken in direkter Verbindung ſtehen); 2. die<lb/> einheitliche Empfindung des ganzen Zellvereins oder <hi rendition="#g">Cöno-<lb/></hi></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [180/0196]
Zellvereins-Seele der Keimblaſe. IX.
an die Stelle dieſer urſprünglichen, gleichmäßigen Zelltheilung
früher oder ſpäter eine ungleichmäßige Vermehrung. Das Er-
gebniß iſt aber in allen Fällen dasſelbe: die Bildung eines (meiſt
kugelförmigen) Haufens oder Ballens von indifferenten (urſprüng-
lich gleichartigen) Zellen. Wir nennen dieſen Zuſtand den
Maulbeerkeim (Morula; vergl. Anthropogenie S. 159). Ge-
wöhnlich ſammelt ſich dann im Innern dieſes maulbeerförmigen
Zellen-Aggregates Flüſſigkeit an; es verwandelt ſich in Folge
deſſen in ein kugeliges Bläschen; alle Zellen treten an deſſen
Oberfläche und ordnen ſich in eine einfache Zellenſchicht, die
Keimhaut (Blaſtoderma). Die ſo entſtandene Hohlkugel
iſt der bedeutungsvolle Zuſtand der Keimblaſe (Blaſtula oder
Blaſtoſphaera, Anthropogenie S. 159).
Die pſychologiſchen Thatſachen, welche wir un-
mittelbar bei der Bildung der Blaſtula beobachten können, ſind
theils Bewegungen, theils Empfindungen dieſes Zellvereins. Die
Bewegungen zerfallen in zwei Gruppen: 1. die inneren Be-
wegungen, welche überall in weſentlich gleicher Weiſe beim
Vorgange der gewöhnlichen (indirekten) Zelltheilung ſich wieder-
holen (Bildung der Kernſpindel, Mitoſe, Karyokineſe u. ſ. w.);
2. die äußeren Bewegungen, welche in der geſetzmäßigen Lage-
Veränderung der geſelligen Zellen und ihrer Gruppirung bei
Bildung des Blaſtoderms zu Tage treten. Wir faſſen dieſe Be-
wegungen als heredive und unbewußte auf, weil ſie überall
in gleicher Weiſe durch Vererbung von den älteren Ahnen-Reihen
der Protiſten bedingt ſind. Die Empfindungen können
ebenfalls in zwei Gruppen unterſchieden werden: 1. die Em-
pfindungen der einzelnen Zellen, welche ſich in der Behauptung
ihrer individuellen Selbſtändigkeit und ihrem Verhalten gegen
die Nachbar-Zellen äußern (mit denen ſie in Kontakt und theil-
weiſe durch Plasma-Brücken in direkter Verbindung ſtehen); 2. die
einheitliche Empfindung des ganzen Zellvereins oder Cöno-
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