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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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VI. Methoden der phylogenetischen Psychologie.
späteren Stufen und Metamorphosen der individuellen Psyche
bleibt noch sehr viel zu thun; die richtige, kritische Anwendung
des biogenetischen Grundgesetzes beginnt auch hier sich als klarer
Leitstern des wissenschaftlichen Verständnisses zu bewähren.

Phylogenetische Psychologie. Eine neue, fruchtbare Periode
höherer Entwickelung begann für die Psychologie, wie für alle
anderen biologischen Wissenschaften, als vor vierzig Jahren
Charles Darwin die Grundsätze der Entwickelungslehre auf
sie anwendete. Das siebente Kapitel seines epochemachenden
Werkes über die Entstehung der Arten (1859) ist dem Instinkt
gewidmet; es enthält den werthvollen Nachweis, daß die Instinkte
der Thiere, gleich allen anderen Lebensthätigkeiten, den allgemeinen
Gesetzen der historischen Entwickelung unterliegen. Die speciellen
Instinkte der einzelnen Thier-Arten werden durch Anpassung
umgebildet, und diese "erworbenen Abänderungen" werden durch
Vererbung auf die Nachkommen übertragen; bei ihrer Er-
haltung und Ausbildung spielt die natürliche Selektion durch
den "Kampf um's Dasein" ebenso eine züchtende Rolle wie bei
der Transformation jeder anderen physiologischen Thätigkeit.
Später hat Darwin in mehreren Werken diese fundamentale
Ansicht weiter ausgeführt und gezeigt, daß dieselben Gesetze
"geistiger Entwickelung" durch die ganze organische Welt hin-
durch walten, beim Menschen ebenso wie bei den Thieren und
bei diesen ebenso wie bei den Pflanzen. Die Einheit der
organischen Welt
, die sich aus ihrem gemeinsamen Ursprung
erklärt, gilt also auch für das gesammte Gebiet des Seelen-
lebens, vom einfachsten, einzelligen Organismus bis hinauf zum
Menschen.

Die weitere Ausführung von Darwin's Psychologie und
ihre besondere Anwendung auf alle einzelnen Gebiete des Seelen-
lebens verdanken wir einem ausgezeichneten englischen Natur-
forscher, George Romanes. Leider wurde er durch seinen

VI. Methoden der phylogenetiſchen Pſychologie.
ſpäteren Stufen und Metamorphoſen der individuellen Pſyche
bleibt noch ſehr viel zu thun; die richtige, kritiſche Anwendung
des biogenetiſchen Grundgeſetzes beginnt auch hier ſich als klarer
Leitſtern des wiſſenſchaftlichen Verſtändniſſes zu bewähren.

Phylogenetiſche Pſychologie. Eine neue, fruchtbare Periode
höherer Entwickelung begann für die Pſychologie, wie für alle
anderen biologiſchen Wiſſenſchaften, als vor vierzig Jahren
Charles Darwin die Grundſätze der Entwickelungslehre auf
ſie anwendete. Das ſiebente Kapitel ſeines epochemachenden
Werkes über die Entſtehung der Arten (1859) iſt dem Inſtinkt
gewidmet; es enthält den werthvollen Nachweis, daß die Inſtinkte
der Thiere, gleich allen anderen Lebensthätigkeiten, den allgemeinen
Geſetzen der hiſtoriſchen Entwickelung unterliegen. Die ſpeciellen
Inſtinkte der einzelnen Thier-Arten werden durch Anpaſſung
umgebildet, und dieſe „erworbenen Abänderungen“ werden durch
Vererbung auf die Nachkommen übertragen; bei ihrer Er-
haltung und Ausbildung ſpielt die natürliche Selektion durch
den „Kampf um's Daſein“ ebenſo eine züchtende Rolle wie bei
der Transformation jeder anderen phyſiologiſchen Thätigkeit.
Später hat Darwin in mehreren Werken dieſe fundamentale
Anſicht weiter ausgeführt und gezeigt, daß dieſelben Geſetze
„geiſtiger Entwickelung“ durch die ganze organiſche Welt hin-
durch walten, beim Menſchen ebenſo wie bei den Thieren und
bei dieſen ebenſo wie bei den Pflanzen. Die Einheit der
organiſchen Welt
, die ſich aus ihrem gemeinſamen Urſprung
erklärt, gilt alſo auch für das geſammte Gebiet des Seelen-
lebens, vom einfachſten, einzelligen Organismus bis hinauf zum
Menſchen.

Die weitere Ausführung von Darwin's Pſychologie und
ihre beſondere Anwendung auf alle einzelnen Gebiete des Seelen-
lebens verdanken wir einem ausgezeichneten engliſchen Natur-
forſcher, George Romanes. Leider wurde er durch ſeinen

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[121/0137] VI. Methoden der phylogenetiſchen Pſychologie. ſpäteren Stufen und Metamorphoſen der individuellen Pſyche bleibt noch ſehr viel zu thun; die richtige, kritiſche Anwendung des biogenetiſchen Grundgeſetzes beginnt auch hier ſich als klarer Leitſtern des wiſſenſchaftlichen Verſtändniſſes zu bewähren. Phylogenetiſche Pſychologie. Eine neue, fruchtbare Periode höherer Entwickelung begann für die Pſychologie, wie für alle anderen biologiſchen Wiſſenſchaften, als vor vierzig Jahren Charles Darwin die Grundſätze der Entwickelungslehre auf ſie anwendete. Das ſiebente Kapitel ſeines epochemachenden Werkes über die Entſtehung der Arten (1859) iſt dem Inſtinkt gewidmet; es enthält den werthvollen Nachweis, daß die Inſtinkte der Thiere, gleich allen anderen Lebensthätigkeiten, den allgemeinen Geſetzen der hiſtoriſchen Entwickelung unterliegen. Die ſpeciellen Inſtinkte der einzelnen Thier-Arten werden durch Anpaſſung umgebildet, und dieſe „erworbenen Abänderungen“ werden durch Vererbung auf die Nachkommen übertragen; bei ihrer Er- haltung und Ausbildung ſpielt die natürliche Selektion durch den „Kampf um's Daſein“ ebenſo eine züchtende Rolle wie bei der Transformation jeder anderen phyſiologiſchen Thätigkeit. Später hat Darwin in mehreren Werken dieſe fundamentale Anſicht weiter ausgeführt und gezeigt, daß dieſelben Geſetze „geiſtiger Entwickelung“ durch die ganze organiſche Welt hin- durch walten, beim Menſchen ebenſo wie bei den Thieren und bei dieſen ebenſo wie bei den Pflanzen. Die Einheit der organiſchen Welt, die ſich aus ihrem gemeinſamen Urſprung erklärt, gilt alſo auch für das geſammte Gebiet des Seelen- lebens, vom einfachſten, einzelligen Organismus bis hinauf zum Menſchen. Die weitere Ausführung von Darwin's Pſychologie und ihre beſondere Anwendung auf alle einzelnen Gebiete des Seelen- lebens verdanken wir einem ausgezeichneten engliſchen Natur- forſcher, George Romanes. Leider wurde er durch ſeinen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/137>, abgerufen am 23.11.2024.