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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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V. Schöpfung der Species.
doppelte Namengebung oder binäre Nomenklatur ein; jeder ein-
zelnen Art oder Species von Thieren und Pflanzen gab er einen
besonderen Art-Namen und stellte diesem einen allgemeinen
Gattungs-Namen voran. In einer Gattung (Genus) wurden
die nächstverwandten Arten (Species) zusammengestellt; so z. B.
vereinigte Linne in dem Genus Hund (Canis) als verschiedene
Species den Haushund (Canis familiaris), den Schakal (Canis
aureus)
, den Wolf (Canis lupus), den Fuchs (Canis vulpes)
u. A. Diese binäre Nomenklatur erwies sich bald so praktisch,
daß sie allgemein angenommen wurde und bis heute in der
zoologischen und botanischen Systematik allgemein gültig ist.

Höchst verhängnißvoll aber wurde für die Wissenschaft das
theoretische Dogma, welches schon von Linne selbst mit
seinem praktischen Species-Begriffe verknüpft wurde. Die erste
Frage, welche sich dem denkenden Systematiker aufdrängen mußte,
war natürlich die Frage nach dem eigentlichen Wesen des Species-
Begriffes, nach Inhalt und Umfang desselben. Und gerade
diese Fundamental-Frage beantwortete sein Schöpfer in naivster
Weise, in Anlehnung an den allgemein gültigen Mosaischen
Schöpfungs-Mythus: "Species tot sunt diversae, quot di-
versas formas ab initio creavit infinitum ens."
(-- Es giebt
so viel verschiedene Arten, als im Anfange vom unendlichen
Wesen verschiedene Formen erschaffen worden sind. --) Mit diesem
theosophischen Dogma war jede natürliche Erklärung der Art-
Entstehung abgeschnitten. Linne kannte nur die gegenwärtig
existirende Thier- und Pflanzen-Welt; er hatte keine Ahnung
von den viel zahlreicheren ausgestorbenen Arten, welche in den
früheren Perioden der Erdgeschichte unseren Erdball in wechseln-
der Gestaltung bevölkert hatten.

Erst im Anfange unsers Jahrhunderts wurden diese fossilen
Thiere durch Cuvier näher bekannt. Er gab in seinem berühmten
Werke über die fossilen Knochen der vierfüßigen Wirbelthiere

V. Schöpfung der Species.
doppelte Namengebung oder binäre Nomenklatur ein; jeder ein-
zelnen Art oder Species von Thieren und Pflanzen gab er einen
beſonderen Art-Namen und ſtellte dieſem einen allgemeinen
Gattungs-Namen voran. In einer Gattung (Genuſ) wurden
die nächſtverwandten Arten (Specieſ) zuſammengeſtellt; ſo z. B.
vereinigte Linné in dem Genuſ Hund (Caniſ) als verſchiedene
Species den Haushund (Caniſ familiariſ), den Schakal (Caniſ
aureuſ)
, den Wolf (Caniſ lupuſ), den Fuchs (Caniſ vulpeſ)
u. A. Dieſe binäre Nomenklatur erwies ſich bald ſo praktiſch,
daß ſie allgemein angenommen wurde und bis heute in der
zoologiſchen und botaniſchen Syſtematik allgemein gültig iſt.

Höchſt verhängnißvoll aber wurde für die Wiſſenſchaft das
theoretiſche Dogma, welches ſchon von Linné ſelbſt mit
ſeinem praktiſchen Species-Begriffe verknüpft wurde. Die erſte
Frage, welche ſich dem denkenden Syſtematiker aufdrängen mußte,
war natürlich die Frage nach dem eigentlichen Weſen des Species-
Begriffes, nach Inhalt und Umfang deſſelben. Und gerade
dieſe Fundamental-Frage beantwortete ſein Schöpfer in naivſter
Weiſe, in Anlehnung an den allgemein gültigen Moſaiſchen
Schöpfungs-Mythus: „Specieſ tot ſunt diverſae, quot di-
verſaſ formaſ ab initio creavit infinitum enſ.“
(— Es giebt
ſo viel verſchiedene Arten, als im Anfange vom unendlichen
Weſen verſchiedene Formen erſchaffen worden ſind. —) Mit dieſem
theoſophiſchen Dogma war jede natürliche Erklärung der Art-
Entſtehung abgeſchnitten. Linné kannte nur die gegenwärtig
exiſtirende Thier- und Pflanzen-Welt; er hatte keine Ahnung
von den viel zahlreicheren ausgeſtorbenen Arten, welche in den
früheren Perioden der Erdgeſchichte unſeren Erdball in wechſeln-
der Geſtaltung bevölkert hatten.

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Thiere durch Cuvier näher bekannt. Er gab in ſeinem berühmten
Werke über die foſſilen Knochen der vierfüßigen Wirbelthiere

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[85/0101] V. Schöpfung der Species. doppelte Namengebung oder binäre Nomenklatur ein; jeder ein- zelnen Art oder Species von Thieren und Pflanzen gab er einen beſonderen Art-Namen und ſtellte dieſem einen allgemeinen Gattungs-Namen voran. In einer Gattung (Genuſ) wurden die nächſtverwandten Arten (Specieſ) zuſammengeſtellt; ſo z. B. vereinigte Linné in dem Genuſ Hund (Caniſ) als verſchiedene Species den Haushund (Caniſ familiariſ), den Schakal (Caniſ aureuſ), den Wolf (Caniſ lupuſ), den Fuchs (Caniſ vulpeſ) u. A. Dieſe binäre Nomenklatur erwies ſich bald ſo praktiſch, daß ſie allgemein angenommen wurde und bis heute in der zoologiſchen und botaniſchen Syſtematik allgemein gültig iſt. Höchſt verhängnißvoll aber wurde für die Wiſſenſchaft das theoretiſche Dogma, welches ſchon von Linné ſelbſt mit ſeinem praktiſchen Species-Begriffe verknüpft wurde. Die erſte Frage, welche ſich dem denkenden Syſtematiker aufdrängen mußte, war natürlich die Frage nach dem eigentlichen Weſen des Species- Begriffes, nach Inhalt und Umfang deſſelben. Und gerade dieſe Fundamental-Frage beantwortete ſein Schöpfer in naivſter Weiſe, in Anlehnung an den allgemein gültigen Moſaiſchen Schöpfungs-Mythus: „Specieſ tot ſunt diverſae, quot di- verſaſ formaſ ab initio creavit infinitum enſ.“ (— Es giebt ſo viel verſchiedene Arten, als im Anfange vom unendlichen Weſen verſchiedene Formen erſchaffen worden ſind. —) Mit dieſem theoſophiſchen Dogma war jede natürliche Erklärung der Art- Entſtehung abgeſchnitten. Linné kannte nur die gegenwärtig exiſtirende Thier- und Pflanzen-Welt; er hatte keine Ahnung von den viel zahlreicheren ausgeſtorbenen Arten, welche in den früheren Perioden der Erdgeſchichte unſeren Erdball in wechſeln- der Geſtaltung bevölkert hatten. Erſt im Anfange unſers Jahrhunderts wurden dieſe foſſilen Thiere durch Cuvier näher bekannt. Er gab in ſeinem berühmten Werke über die foſſilen Knochen der vierfüßigen Wirbelthiere

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/101>, abgerufen am 23.11.2024.