Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Vorwort. weit davon entfernt ist, jene neu erworbenen Schätze der Er-fahrungswissenschaft in sich aufzunehmen. Und mit gleichem Bedauern müssen wir auf der anderen Seite zugestehen, daß die meisten Vertreter der sogenannten "exakten Naturwissenschaft" sich mit der speciellen Pflege ihres engeren Gebietes der Beob- achtung und des Versuchs begnügen und die tiefere Erkenntniß des allgemeinen Zusammenhanges der beobachteten Erscheinungen -- d. h. eben Philosophie! -- für überflüssig halten. Während diese reinen Empiriker "den Wald vor Bäumen nicht sehen", begnügen sich jene Metaphysiker mit dem bloßen Begriffe des Waldes, ohne seine Bäume zu sehen. Der Begriff der "Natur- philosophie", in welchem ganz naturgemäß jene beiden Wege der Wahrheitsforschung, die empirische und die spekulative Methode, zusammenlaufen, wird sogar noch heute in weiten Kreisen beider Richtungen mit Abscheu zurückgewiesen. Dieser unnatürliche und verderbliche Gegensatz zwischen Die Untersuchungen über diese "Welträthsel", welche ich in Vorwort. weit davon entfernt iſt, jene neu erworbenen Schätze der Er-fahrungswiſſenſchaft in ſich aufzunehmen. Und mit gleichem Bedauern müſſen wir auf der anderen Seite zugeſtehen, daß die meiſten Vertreter der ſogenannten „exakten Naturwiſſenſchaft“ ſich mit der ſpeciellen Pflege ihres engeren Gebietes der Beob- achtung und des Verſuchs begnügen und die tiefere Erkenntniß des allgemeinen Zuſammenhanges der beobachteten Erſcheinungen — d. h. eben Philoſophie! — für überflüſſig halten. Während dieſe reinen Empiriker „den Wald vor Bäumen nicht ſehen“, begnügen ſich jene Metaphyſiker mit dem bloßen Begriffe des Waldes, ohne ſeine Bäume zu ſehen. Der Begriff der „Natur- philoſophie“, in welchem ganz naturgemäß jene beiden Wege der Wahrheitsforſchung, die empiriſche und die ſpekulative Methode, zuſammenlaufen, wird ſogar noch heute in weiten Kreiſen beider Richtungen mit Abſcheu zurückgewieſen. Dieſer unnatürliche und verderbliche Gegenſatz zwiſchen Die Unterſuchungen über dieſe „Welträthſel“, welche ich in <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0010" n="IV"/><fw place="top" type="header">Vorwort.</fw><lb/> weit davon entfernt iſt, jene neu erworbenen Schätze der Er-<lb/> fahrungswiſſenſchaft in ſich aufzunehmen. Und mit gleichem<lb/> Bedauern müſſen wir auf der anderen Seite zugeſtehen, daß die<lb/> meiſten Vertreter der ſogenannten „exakten Naturwiſſenſchaft“<lb/> ſich mit der ſpeciellen Pflege ihres engeren Gebietes der Beob-<lb/> achtung und des Verſuchs begnügen und die tiefere Erkenntniß<lb/> des allgemeinen Zuſammenhanges der beobachteten Erſcheinungen<lb/> — d. h. eben Philoſophie! — für überflüſſig halten. Während<lb/> dieſe reinen Empiriker „den Wald vor Bäumen nicht ſehen“,<lb/> begnügen ſich jene Metaphyſiker mit dem bloßen Begriffe des<lb/> Waldes, ohne ſeine Bäume zu ſehen. Der Begriff der „<hi rendition="#g">Natur-<lb/> philoſophie</hi>“, in welchem ganz naturgemäß jene beiden Wege<lb/> der Wahrheitsforſchung, die empiriſche und die ſpekulative<lb/> Methode, zuſammenlaufen, wird ſogar noch heute in weiten<lb/> Kreiſen beider Richtungen mit Abſcheu zurückgewieſen.</p><lb/> <p>Dieſer unnatürliche und verderbliche Gegenſatz zwiſchen<lb/> Naturwiſſenſchaft und Philoſophie, zwiſchen den Ergebniſſen der<lb/> Erfahrung und des Denkens wird unſtreitig in weiten gebildeten<lb/> Kreiſen immer lebhafter und ſchmerzlicher empfunden. Das be-<lb/> zeugt ſchon der wachſende Umfang der ungeheuren populären<lb/> „naturphiloſophiſchen“ Literatur, die im Laufe des letzten halben<lb/> Jahrhunderts entſtanden iſt. Das bezeugt auch die erfreuliche<lb/> Thatſache, daß trotz jener gegenſeitigen Abneigung der beobach-<lb/> tenden Naturforſcher und der denkenden Philoſophen dennoch<lb/> hervorragende Männer der Wiſſenſchaft aus beiden Lagern ſich<lb/> gegenſeitig die Hand zum Bunde reichen und vereinigt nach der<lb/> Löſung jener höchſten Aufgabe der Forſchung ſtreben, die wir<lb/> kurz mit einem Worte als „<hi rendition="#g">die Welträthſel</hi>“ bezeichnen.</p><lb/> <p>Die Unterſuchungen über dieſe „Welträthſel“, welche ich in<lb/> der vorliegenden Schrift gebe, können vernünftiger Weiſe nicht<lb/> den Anſpruch erheben, eine vollſtändige <hi rendition="#g">Löſung</hi> derſelben zu<lb/> bringen; vielmehr ſollen ſie nur eine kritiſche <hi rendition="#g">Beleuchtung</hi><lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [IV/0010]
Vorwort.
weit davon entfernt iſt, jene neu erworbenen Schätze der Er-
fahrungswiſſenſchaft in ſich aufzunehmen. Und mit gleichem
Bedauern müſſen wir auf der anderen Seite zugeſtehen, daß die
meiſten Vertreter der ſogenannten „exakten Naturwiſſenſchaft“
ſich mit der ſpeciellen Pflege ihres engeren Gebietes der Beob-
achtung und des Verſuchs begnügen und die tiefere Erkenntniß
des allgemeinen Zuſammenhanges der beobachteten Erſcheinungen
— d. h. eben Philoſophie! — für überflüſſig halten. Während
dieſe reinen Empiriker „den Wald vor Bäumen nicht ſehen“,
begnügen ſich jene Metaphyſiker mit dem bloßen Begriffe des
Waldes, ohne ſeine Bäume zu ſehen. Der Begriff der „Natur-
philoſophie“, in welchem ganz naturgemäß jene beiden Wege
der Wahrheitsforſchung, die empiriſche und die ſpekulative
Methode, zuſammenlaufen, wird ſogar noch heute in weiten
Kreiſen beider Richtungen mit Abſcheu zurückgewieſen.
Dieſer unnatürliche und verderbliche Gegenſatz zwiſchen
Naturwiſſenſchaft und Philoſophie, zwiſchen den Ergebniſſen der
Erfahrung und des Denkens wird unſtreitig in weiten gebildeten
Kreiſen immer lebhafter und ſchmerzlicher empfunden. Das be-
zeugt ſchon der wachſende Umfang der ungeheuren populären
„naturphiloſophiſchen“ Literatur, die im Laufe des letzten halben
Jahrhunderts entſtanden iſt. Das bezeugt auch die erfreuliche
Thatſache, daß trotz jener gegenſeitigen Abneigung der beobach-
tenden Naturforſcher und der denkenden Philoſophen dennoch
hervorragende Männer der Wiſſenſchaft aus beiden Lagern ſich
gegenſeitig die Hand zum Bunde reichen und vereinigt nach der
Löſung jener höchſten Aufgabe der Forſchung ſtreben, die wir
kurz mit einem Worte als „die Welträthſel“ bezeichnen.
Die Unterſuchungen über dieſe „Welträthſel“, welche ich in
der vorliegenden Schrift gebe, können vernünftiger Weiſe nicht
den Anſpruch erheben, eine vollſtändige Löſung derſelben zu
bringen; vielmehr ſollen ſie nur eine kritiſche Beleuchtung
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